der russische General Sergej Surowikinund und der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu
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Russland

Hinweise auf „Säuberungen“ in der Armee

In Russland versucht Präsident Wladimir Putin nach dem Aufstand der Söldnergruppe Wagner seine angekratzte Autorität wiederherzustellen. Im Zuge dessen wird offenbar im Hintergrund „aufgeräumt“, wie etwa das bekannte russische Militärblog Rybar berichtet: Ins Visier genommen würden mutmaßliche Verbündete von Wagner im Militär. Ranghöchste Militärs sind von der Bildfläche verschwunden – der Kreml gibt sich verschlossen.

Ins Visier Putins geriet etwa der stellvertretende Oberbefehlshaber der russischen Invasionstruppen in der Ukraine, General Sergej Surowikin. Er soll – wie am Vortag über die „New York Times“ kolportiert wurde – von den Plänen für den letztlich gescheiterten Aufstand gewusst haben. Der Kreml tat das zwar in einer Reaktion als „Klatsch und Tratsch“ ab, doch wurde er laut unbestätigten Berichten verhaftet.

Das kolportierten mehrere Medien, darunter die „Moscow Times“, unter Berufung auf Quellen im russischen Verteidigungsministerium. Die Verhaftung stehe „im Zusammenhang mit (Wagner-Chef Jewgeni, Anm.) Prigoschin“. Surowikin sei seit Samstag nicht mehr gesehen worden, berichteten „Moscow Times“ und das Militärblog Rybar übereinstimmend. Über seinen Verbleib sei nichts sicher bekannt, es gebe die Version, dass er verhört werde.

Russland: Mitglieder des Militärs verschwunden

In Russland versucht Präsident Wladimir Putin nach dem Aufstand der Söldnergruppe Wagner seine angekratzte Autorität wiederherzustellen. Ranghöchste Mitglieder des Militärs sind von der Bildfläche verschwunden.

Surowikin im Moskauer Lefortowo-Gefängnis?

Zuvor schrieb der Militärblogger Wladimir Romanow, Surowikin sei bereits am Sonntag festgenommen worden. Laut Romanow wird Surowikin im Lefortowo-Gefängnis in Moskau festgehalten. Surowikin war im Oktober 2022 zum Oberbefehlshaber der russischen Truppen in der Ukraine ernannt worden, ehe er nach Kritik wegen militärischer Rückschläge im Jänner von Generalstabschef Waleri Gerassimow abgelöst wurde. Wegen seines ihm nachgesagten brutalen Vorgehens im Syrien-Krieg nennen ihn russische Medien „General Armageddon“.

Eine offizielle Stellungnahme des Präsidialamts in Moskau war nicht zu erhalten. Auf die Frage, ob er für Klarheit sorgen könne, antwortete Sprecher Dmitri Peskow vor der Presse: „Nein, leider nicht.“ Ausweichend antwortete Peskow auch auf die Frage, ob Putin Surowikin noch immer vertraue. „Er ist der Oberbefehlshaber und arbeitet mit dem Verteidigungsminister und dem Generalstabschef zusammen.“ Fragen zu strukturellen Einheiten innerhalb des Verteidigungsministeriums sollten an dieses gerichtet werden.

„Mangelnde Entschlossenheit“

In weiteren reichweitenstarken russischen Militärblogs hieß es, dass auch weitere hochrangige Offiziere vom Inlandsgeheimdienst FSB befragt würden – es gehe darum, ihre Loyalität zu überprüfen. Das berichtete auch Rybar. Jener ehemalige Pressesprecher des russischen Verteidigungsministeriums, der den Kanal betreibt, gab an, dass eine „Säuberung“ im Gange sei.

Es hieß, die Behörden versuchten, Militärs auszusortieren, die bei der Niederschlagung des Aufstands „mangelnde Entschlossenheit“ an den Tag gelegt hätten, und das angesichts von Berichten, wonach Teile der Streitkräfte offenbar wenig unternommen hätten, um die Wagner-Kämpfer in der Anfangsphase der Rebellion aufzuhalten. Die Entwicklungen seien zu einem Vorwand für eine gravierende „Säuberung“ in den Reihen der russischen Streitkräfte geworden.

Gerassimow von Bildfläche verschwunden

Auch von Waleri Gerassimow, Generalstabschef und Oberbefehlshaber der Streitkräfte in der Ukraine, fehlt derzeit jede Spur – er zeigte sich weder in der Öffentlichkeit noch kam er im staatlichen TV vor. Auch in Mitteilungen des Verteidigungsministeriums wurde er seit mittlerweile drei Wochen nicht mehr erwähnt. Er genießt wie Verteidigungsminister Sergej Schoigu keine große Beliebtheit – gehört aber gemeinsam mit Putin zum kleinen Kreis jener, die über einen Atomwaffeneinsatz entscheiden können.

General Valery Gerasimov
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Surowikin wurde im Jänner von Generalstabschef Gerassimow (Bild) als Oberbefehlshaber der russischen Truppen in der Ukraine abgelöst

Das US-amerikanische Institute for the Study of War (ISW) schreibt in einer aktuellen Einschätzung, dass Putin wohl versuchen könnte, gleichzeitig auf die Kritik der Wagner-Rebellen einzugehen und mögliche Sympathisanten des Aufstands abzuschrecken. „Der Kreml sieht die Unbeliebtheit Schoigus und Gerassimows als direkte Bedrohung der Fähigkeit Putins, sich weiter die Unterstützung wichtiger Kreise und des Militärs zu sichern“, schreibt das ISW.

Schoigu und Gerassimow wurden von Prigoschin zuletzt immer intensiver kritisiert. Putin nährte am Dienstagabend bei einem Treffen mit russischen Medienvertretern im Kreml unter Ausschluss der Öffentlichkeit Spekulationen über ein umfassenderes Vorgehen. Bei diesem Treffen präsentierte er sich als ein Staatslenker, der alles unter Kontrolle hat. Er betonte auch, dass er die Verträge Prigoschins mit dem russischen Verteidigungsministerium unter die Lupe nehmen wolle.

Auch Verbleib Prigoschins unklar

Fraglich war am Donnerstag auch, wo sich Prigoschin aufhält. Der frühere russische Geheimdienstoffizier und prominente Militärblogger Igor Girkin, genannt Strelkow, schrieb, Prigoschin sei „allem Anschein nach“ in seiner Heimatstadt St. Petersburg. Von dort steuerte der 62-Jährige auch seine prorussischen und antiwestlichen Desinformationskampagnen im Internet. Auch ISW schrieb, Prigoschin könne nach Russland zurückgekehrt sein, um Details einer Vereinbarung über die Zukunft seiner Truppe und seiner selbst mit den Behörden auszuhandeln.

Staatsfernsehen zeigt mutmaßlich Putin in Menschenmenge

Und Putin? Nach Angaben russischer Staatsmedien habe er am Mittwoch erstmals seit dem Aufstand Moskau verlassen und eine Reise in die russische Kaukasus-Republik Dagestan unternommen. Das führte erneut zu Spekulationen, ob es sich dabei um einen Doppelgänger gehandelt haben könnte. Aufnahmen des staatlichen TV zeigten Putin mutmaßlich in einer Menschenmenge in der Stadt Derbent am Kaspischen Meer.

Putin gilt eigentlich als äußerst distanziert – dass sich der Kreml-Chef in eine Menschenmenge begibt, ist ungewöhnlich; in Moskau hält Putin selbst bei politischen Treffen meist großen Abstand. Laut der von russischen Oppositionellen gegründeten Rechercheplattform Dossier Center reist Putin seit Kriegsbeginn aus Angst vor einem Anschlag nur noch im Panzerzug statt im Flugzeug.

Gezielte Inszenierung von Normalität?

Auf einem via Telegram veröffentlichten Video der Staatsagentur RIA Nowosti soll zu sehen sein, wie Putin Mittwochabend in der Dunkelheit von Bewohnern und Bewohnerinnen Derbents umringt wird und ihnen die Hände schüttelt. Dann bittet ein Mädchen den Staatschef in dem Gedränge mehrmals um ein Selfie. Auf einer Aufnahme ist zu sehen, wie Putin dem Mädchen ein Bussi auf den Kopf gibt, den Arm um sie legt und sich dann mit ihr fotografieren lässt.

Putin war nach Angaben von Kreml-Sprecher Peskow in die Teilrepublik gereist, um sich dort um Tourismusfragen zu kümmern. Dagestan ist als Ferienziel bei vielen Russen und Russinnen beliebt. Die Reise Putins in die kremltreue Republik soll offenbar Normalität demonstrieren. Sie könnte auch als Signal an die Moral der Soldaten und ihr Umfeld zu verstehen sein – in den Teilrepubliken war sehr stark rekrutiert worden.

Der Republikschef Dagestans, Sergej Melikow, sagte bei einem Treffen mit Putin nach Angaben der Staatsagentur TASS in Bezug auf den Aufstand, alle Bewohner und Bewohnerinnen Dagestans unterstützten die Entscheidungen „des Präsidenten und Oberbefehlshabers“. Putin erwiderte, er habe „keine Zweifel“ daran gehabt, wie die Reaktionen in Dagestan und im ganzen Land ausfallen würden.