Trauermarsch nach dem Tod eines 17-Jährigen in Nanterre bei Paris
AP/Michel Euler
Polizei tötete Teenager

Tausende trauern in Pariser Vorort

Nach dem tödlichen Schuss der Polizei auf einen 17-Jährigen in Frankreich gehen die Proteste in die nächste Runde. Am Donnerstag schlossen sich Tausende Menschen einem Trauermarsch für den getöteten Nahel im Pariser Vorort Nanterre an, zu dem dessen Mutter aufgerufen hatte. Schon am Nachmittag kam es vereinzelt zu Ausschreitungen. Paris kündigte einerseits Sperren, andererseits ein enorm verstärktes Polizeikontingent an.

Laut der französischen Polizei versammelten sich in Nanterre über 6.000 Menschen zu der Trauerveranstaltung für den 17-Jährigen. Auch die Mutter des Teenagers war anwesend, viele der Protestierenden trugen Weiß und forderten „Gerechtigkeit für Nahel“, wie es auf ihren T-Shirts stand. Die Teilnehmenden sprachen sich auch gegen Polizeigewalt aus, auf Schildern war zu lesen: „Die Polizei tötet“.

Der Marsch im Pariser Vorort verlief zuerst friedlich, im Laufe des Nachmittags wurden aber Bilder veröffentlicht, die brennende Autos in der Gegend des Marschs zeigten. Laut der Tageszeitung „Le Monde“ wurde auch Tränengas gegen die Demonstrierenden eingesetzt, die sich zum Teil vom Rest des Trauermarschs abgesetzt hatten. Am Abend kam es zu Ausschreitungen, laut Medien sollen Beamte mit Molotow-Cocktails beworfen worden sein, die Polizei überwachte die Lage mit Hubschraubern und zog Spezialkräfte in Nanterre zusammen.

Ausschreitungen bei Trauermarsch in Paris

Bei einer Verkehrskontrolle in Paris am Dienstag kam es zu einem tödlichen Schuss eines Polizisten auf einen 17-Jährigen. Bei einem Trauermarsch am Donnerstag im Westen von Paris ist es zu Ausschreitungen gekommen.

Gewalt für Macron „nicht zu rechtfertigen“

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bezeichnete die Gewalt der vergangenen Tage als „nicht zu rechtfertigen“: „Die letzten Stunden waren geprägt von Szenen der Gewalt gegen Polizeiwachen, aber auch gegen Schulen, Rathäuser und also im Grunde gegen Institutionen und die Republik“, sagte Macron, der den Einsatzkräften dankte. „Für mich müssen die nächsten Stunden vor allem zu Besinnung und Respekt führen“, sagte der Präsident. Auch der Trauermarsch müsse in diesem Sinne stattfinden, forderte er im Vorfeld.

Trauermarsch nach dem Tod eines 17-Jährigen in Nanterre bei Paris
APA/AFP/Bertrand Guay
Tausende schlossen sich dem Trauermarsch an

Nach dem tödlichen Schuss der Polizei am Dienstag kam es die zweite Nacht in Folge zu schweren Ausschreitungen. Der 17-Jährige wurde bei einer Verkehrskontrolle in Nanterre erschossen. Der Staatsanwaltschaft zufolge hatte er trotz Aufforderung der Polizei seinen Wagen nicht gestoppt. Nach Angaben der französischen Staatsanwaltschaft wurde gegen einen Polizisten eine vorläufige Mordanklage wegen der Schüsse erhoben – er ist nun in Untersuchungshaft.

Frankreich mobilisiert 40.000 Einsatzkräfte

Im Zuge der Proteste seien landesweit 150 Menschen festgenommen worden, so Innenminister Gerald Darmanin. Dutzende Polizisten seien bei Auseinandersetzungen mit Protestierenden verletzt worden, sagte der Minister. Als Reaktion mobilisierte die Polizei für Donnerstagabend landesweit 40.000 Beamte.

Die Mutter des 17-Jährigen von der Polizei erschossenen Jugendlichen Nahel in Nanterres bei Paris
AP/Michel Euler
Die Mutter des getöteten Teenagers rief zum Protest auf

5.000 dieser für die kommende Nacht mobilisierten Polizisten sollen laut Darmanin im Großraum Paris eingesetzt werden. Paris kündigte für den Abend auch umfassende Sperren des öffentlichen Verkehrs an, „zum Schutz der Bediensteten und der Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel“, wie es hieß. Auch in anderen Städten wurden ähnliche Maßnahmen getroffen.

Behördengebäude angezündet

In der zweiten Protestnacht waren in verschiedenen Städten zahlreiche Gebäude von Behörden attackiert oder in Brand gesetzt worden. „Eine Nacht unerträglicher Gewalt gegen Symbole der Republik: Rathäuser, Schulen und Polizeistationen werden in Brand gesteckt oder angegriffen“, schrieb Darmanin auf Twitter.

In Nanterre, wo der Jugendliche gewohnt hatte, kam es zu den heftigsten Auseinandersetzungen. In der Nacht auf Donnerstag setzte dort eine aufgebrachte Menge Autos in Brand und schoss mit Feuerwerkskörpern auf die Polizei. In Lille im Norden und in Toulouse im Südwesten kam es ebenfalls zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten. Ausschreitungen gab es nach Polizeiangaben auch in Amiens, Dijon und im Departement Essonne südlich von Paris.

Tod von Jugendlichem für Macron „unentschuldbar“

Am Mittwoch hatte Macron den gewaltsamen Tod des 17-Jährigen als unentschuldbar bezeichnet. „Wir haben einen Jugendlichen, der getötet wurde, das ist unerklärlich und unentschuldbar“, sagte er in Marseille. „Nichts rechtfertigt den Tod eines jungen Mannes.“ Er forderte die Justiz dazu auf, ihre Arbeit zu tun.

Ausgebrannte Autos in Nanterre (Frankreich)
APA/AFP/Bertrand Guay
Schon in den zwei Nächten davor kam es zu Ausschreitungen

Ein in den sozialen Netzwerken veröffentlichtes und von Reuters verifiziertes Video zeigt zwei Polizisten neben einem Auto, von denen einer aus nächster Nähe auf den jugendlichen Fahrer schießt, als dieser davonfährt. Der junge Mann sei kurz darauf an seinen Verletzungen gestorben, sagte der örtliche Staatsanwalt.

NGOs sehen systematischen Rassismus bei Strafverfolgung

In Frankreich kommt es seit Längerem immer wieder zu Polizeigewalt und Ausschreitungen – vor allem in den ärmeren Vororten rund um die Großstädte, in denen Menschen verschiedener ethnischer Herkunft leben. Menschenrechtsgruppen erklären dazu, es gebe in den Strafverfolgungsbehörden in Frankreich systematischen Rassismus.

Die Situation in Paris beeinträchtigte auch den Besuch von Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP). Sämtliche offizielle Termine mussten am aus Sicherheitsgründen abgesagt werden, wie es hieß. Raab sagte dazu in einem Pressegespräch: „Wenn wir mitten in Europa Viertel haben, wo es nicht mehr möglich ist, sie zu besuchen, ist das eine sehr erschütternde Sachlage.“

Primosch (ORF) zu Ausschreitungen in Paris

Cornelia Primosch (ORF) meldet sich aus Paris und spricht über die Ausschreitungen bei einem Trauermarsch. Bei einer Verkehrskontrolle in Paris am Dienstag kam es zu einem tödlichen Schuss eines Polizisten auf einen 17-Jährigen. Bei einem Trauermarsch am Donnerstag kam es zu Ausschreitungen.

Ruf nach Polizeireform in Frankreich

In Frankreich wird indes vor allem der Ruf nach einer Reform der Polizei laut. Eine grundlegende Reform forderte nicht nur Linkspolitiker Jean-Luc Melenchon, sondern auch die Polizeigewerkschaft CGT Interieur, wie die Zeitung „Le Parisien“ am Donnerstag berichtete. Der Einsatz der Staatsmacht und das Funktionieren der Polizei müssten reformiert werden, so die Gewerkschaft. „Es ist eine andere Polizei, die wir benötigen.“

Erst 2017 wurde ein Gesetz erlassen, das den Waffengebrauch erleichtert hatte – etwa dann, wenn Menschen sich einer Verkehrskontrolle widersetzen und die Beamten aus Notwehr zur Waffe greifen. 13 Tote gab es 2022 in solchen Situationen, bei denen allerdings Kriminelle teils direkt auf die Polizisten zurasten, berichtet die dpa.