Die letzte Ausgabe der „Wiener Zeitung“
APA/AFP/Alex Halada
„Wiener Zeitung“

Letzte gedruckte Ausgabe erschienen

Die „Wiener Zeitung“ ist am Freitag ein letztes Mal als gedruckte Zeitung auf den Markt gekommen. Sie galt als die älteste noch erscheinende Zeitung der Welt. Künftig wird das republikseigene Blatt mit einer deutlich geschrumpften Redaktion als Onlinemedium geführt. Die Umstellung basiert auf einem Gesetz der Regierung, das für heftige Kritik sorgte.

Erstmals erschien die „Wiener Zeitung“ am 8. August 1703, damals noch als „Wiennerisches Diarium“. Sie war damit die älteste noch erscheinende Tageszeitung der Welt. Donnerstagabend wurden in der Druckerei Herold in Wien zum letzten Mal für die „Wiener Zeitung“ die Druckmaschinen angeworfen. Anwesend waren laut APA viele Beschäftigte, darunter Thomas Seifert und Judith Belfkih, die die Redaktion zuletzt interimistisch geleitet hatten.

Gegenüber der APA sprach Seifert mit Blick auf den Entschluss der Regierung von einem „medienpolitischen Vandalenakt kulturloser Barbaren“. Er empfinde eine Mischung aus Wut, Wehmut und Trauer über das Ende von 320 Jahren Zeitungsgeschichte. Die Regierung habe es verabsäumt, einen Käufer zu finden.

Die letzte Ausgabe der „Wiener Zeitung“
APA/Roland Schlager
Die Printausgabe der „Wiener Zeitung“ ist mit Freitag Geschichte

Auch Ex-Chefredakteur Walter Hämmerle war anwesend. „Was für ein unglaublich sinnloses Unterfangen. Ich glaube, die Entscheider ahnen, dass es sich um eine monumentale Fehlentscheidung handelt, diese lange Tradition einfach einzustellen“, sagte er.

„116.840 Tage – 1 Zeitung“

„Die letzte Ausgabe ist von Nostalgie getragen. Wir erinnern an die lange Geschichte der Zeitung und verneigen uns vor den Leserinnen und Lesern“, so Seifert. Auf der weitgehend weißen Titelseite wird anhand mehrerer Zahlen die Geschichte der Zeitung vor Augen geführt: „116.840 Tage, 3.839 Monate, 320 Jahre, 12 Präsidenten, 10 Kaiser, 2 Republiken, 1 Zeitung“.

Im Blattinneren finden sich etwa Interviews mit den zwei Altkanzlern Franz Vranitzky und Wolfgang Schüssel und auch mit Arnold Schwarzenegger. Ex-Bundespräsident Heinz Fischer erweist der „Wiener Zeitung“ seine letzte Reverenz, die Redakteurinnen und Redakteure verabschieden sich mit Kurztexten. Die Auflage wurde für die letzte Ausgabe auf 50.000 Stück weit über das Normalniveau aufgestockt. Der Umfang wurde ebenfalls erweitert.

Pflichtveröffentlichungen weggefallen

Mit der Einstellung der „Wiener Zeitung“ schrumpft die Zahl der Tageszeitungen hierzulande auf 13. Anlass für die Gesetzesänderung durch die schwarz-grüne Bundesregierung war, dass die Pflichtveröffentlichungen im Amtsblatt der „Wiener Zeitung“ wegfallen, womit der Großteil des Umsatzes der Wiener Zeitung GmbH wegbricht.

Die letzte Ausgabe der „Wiener Zeitung“
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An dem Gesetz, das zur Einstellung der gedruckten Ausgabe führte, gibt es scharfe Kritik

Die Veröffentlichungen der Unternehmen erfolgen künftig digital. Pro Jahr sind 16,5 Millionen Euro aus dem Budget für die Wiener Zeitung GmbH vorgesehen. 7,5 Millionen davon sind für die Redaktion reserviert, sechs Millionen für einen „Media Hub Austria“, der eine praxisorientierte Journalismusausbildung bieten soll.

Neuer Onlineauftritt ab Samstag

Der neue Onlineauftritt der „Wiener Zeitung“ startet am Samstag. „Die neue ‚Wiener Zeitung‘ erhält die Aufgabe, Verständnis für politische Sachverhalte zu fördern, das demokratische Bewusstsein zu festigen und die Bereitschaft zur politischen Mitarbeit zu stärken“, hielt „Wiener Zeitung“-Geschäftsführer Martin Fleischhacker auf APA-Anfrage fest.

Punkten wolle man mit „lösungsorientiertem Journalismus und Datenjournalismus“. Auf Tagesaktualität werde bewusst verzichtet, andere Medienhäuser sehe man nicht als Konkurrenz.

Interimistisch geleitet wird der Onlineauftritt von der langjährigen „Wiener Zeitung“-Redakteurin und Produktentwicklerin Katharina Schmid und Sebastian Pumberger, der zuletzt bei „profil“ an der digitalen Umwandlung des Nachrichtenmagazins arbeitete.

Gewerkschaft empört über „personellen Kahlschlag“

Mit der Umstellung geht ein markanter Personalabbau einher. Unternehmensweit sind insgesamt 63 Vertragsauflösungen geplant, davon 35 aus der Redaktion. Die Chefredaktion geht, auch drei Belegschaftsvertreter werden freigestellt. Künftig werden ungefähr 20 Personen ständig in der Redaktion beschäftigt sein.

Die Gewerkschaft GPA zeigte sich über den „personellen Kahlschlag“ empört und kündigte an, speziell gegen die Kündigungen der Belegschaftsvertreter, die „jetzt massiv unter Druck gesetzt werden“, mit rechtlichen Mitteln vorzugehen.

Letzte Ausgabe der „Wiener Zeitung“

Am Freitag erscheint nach 320 Jahren die letzte Ausgabe der „Wiener Zeitung“ als Tageszeitung. ÖVP und Grüne stellen die Zeitung ein, über hundert Menschen verlieren ihren Job und Österreich ein weiteres Stück Medienvielfalt.

Im Gesetz ist nach Maßgabe der finanziellen Mittel Spielraum für eine Printausgabe der „Wiener Zeitung“ vorgesehen. „Es ist geplant, dass die erste Printausgabe mit Jahresbeginn 2024 erscheint. Das Produkt und Erscheinungsintervall befinden sich in Entwicklung“, so Fleischhacker. Auch künftig soll es ein Redaktionsstatut geben, das die Unabhängigkeit sicherstellt. Auch werde ein wissenschaftlicher Beirat eingerichtet, so der Geschäftsführer.

„Media Hub Austria“: Branche hat Bedenken

Bei Branchenvertretern sorgte nicht nur die Einstellung der Tageszeitung für Kritik, sondern auch der „Media Hub Austria“. So befürchtete etwa der Presseclub Concordia eine „einschneidende Verstaatlichung journalistischer Aus- und Fortbildung“ in Weisungslinie des Bundeskanzleramts.

Fleischhacker bezeichnete diese Bedenken als substanzlos. So werde die Unabhängigkeit durch einen Beirat sichergestellt und führe die angestrebte breite Basis an Kooperationspartnern zusätzlich zu Transparenz, meinte er.

Der Presseclub Concordia sprach angesichts der Einstellung der Tageszeitung von einem „unwürdigen Ende“ und einem „undurchsichtigen Neustart“. „Dieses Gesetz ist ein Tiefpunkt in der schon bisher nicht sehr hochstehenden Medienpolitik dieses Landes“, so Concordia-Präsident Andreas Koller. Die Republik als Eigentümerin hätte die moralische Verpflichtung gehabt, ein tragfähiges Zukunftskonzept zu entwickeln.

Scharfe Kritik von SPÖ und NEOS

SPÖ-Chef Andreas Babler ortete einen „bitteren Tag für Österreich als Medienstandort und Kulturland“. Er wolle diesen „medienpolitischen Skandal“ nicht akzeptieren und betonte, Mittel und Wege zu suchen, um die „Wiener Zeitung“ als gedruckte Tageszeitung zurückzuholen, sobald man wieder in Regierungsverantwortung sei.

NEOS-Mediensprecherin Henrike Brandstötter sprach von einem „Totalversagen der Regierung“. Die älteste Tageszeitung der Welt sei gestorben, um als PR-Maschine der Regierung Wiederauferstehung zu feiern. „Das ist ein weiterer großer Schritt in Richtung Mediensystem a la Orban.“