Außenminister Alexander Schallenberg
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Schallenberg

„Sky Shield“ mit Neutralität vereinbar

Die Teilnahme Österreichs am europäischen Luftraumverteidigungssystem „Sky Shield“ wirft wie erwartet Fragen zur Neutralität auf. In der ORF-„Pressestunde“ am Sonntag verneinte Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) eine Unvereinbarkeit. Die FPÖ sieht das anders.

Die Teilnahme Österreichs war am Samstag von Bundeskanzleramt und Verteidigungsministerium bekanntgegeben worden. Mit „Sky Shield“ werde ein satellitengestützter Schutzschirm über die teilnehmenden Länder gelegt, der Drohnen und Raketen frühzeitig erkennen und abwehren könne, hieß es.

Die Bedrohungslage habe sich durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine stark verschärft, so Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP). Für Österreich sei der Schritt ein „Meilenstein“, sagte Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP). Beide betonten auch, dass Österreichs Neutralität dadurch nicht gefährdet sei.

Keine Beistandsklausel

Auch Schallenberg verteidigte in der „Pressestunde“ den Beitritt zur „Sky Shield“-Initiative. „Sky Shield“ sei keine NATO-Initiative und kein Beitritt zu einer Militärallianz, sondern lediglich „die Zusammenarbeit einer Reihe von Staaten“, betonte der Außenminister. Es gehe bei der Initiative um „Pooling and Sharing“, also das Zusammenlegen militärischer Fähigkeiten.

Beteiligung an „Sky Shield“

Alexander Schallenberg, Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten, ÖVP, stellte sich den Fragen von Alexandra Föderl-Schmid („Süddeutsche Zeitung“) und Peter Fritz (ORF) zu „Sky Shield“.

Schallenberg verwies darauf, dass sich mit Frankreich ein wichtiges NATO-Mitglied nicht an der Initiative beteilige. Er räumte ein, dass Österreich, abgesehen von NATO-Aspirant Schweden, derzeit der einzige Nicht-NATO-Staat ist, der sich der Initiative anschließen will.

Die Neutralität Österreichs bleibe bei einer Teilnahme an „Sky Shield“ zu 100 Prozent gewährt und sei „mitnichten“ ein Problem. Dass es sich bei „Sky Shield“ möglicherweise um eine Militärallianz handeln könnte, stellte er in Abrede, gebe es doch keine Beistandsklausel: „Es gibt keinen Automatismus“, sondern das Teilen von Information.

FPÖ sieht Neutralitätsprinzipien in Gefahr

Die FPÖ hingegen sieht die Neutralität in Gefahr. Parteichef Herbert Kickl sah am Sonntag eine „verheerende neutralitätspolitische Entscheidung“, wie er in einer Aussendung betonte. „Österreich verliert damit seine Position der Stärke, die es gerade im aktuellen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine nützen könnte, um als Vermittler auftreten zu können“, so Kickl, der eine Reaktion des Bundespräsidenten einforderte.

Die Beteiligung an dem Projekt gefährde in höchstem Maße den Schutz Österreichs, den es durch den Neutralitätsstatus habe. Bei „Sky Shield“ seien ausschließlich NATO-Staaten involviert – mit Ausnahme Schwedens, das die NATO-Mitgliedschaft allerdings anstrebe. „Ein gemeinsamer Raketenschirm mit der NATO ist neutralitätsrechtlich ausgeschlossen. Und er kann Österreich in einen Krieg mit Russland führen“, so Kickl.

Komme es zu einem Krieg zwischen der NATO und Russland, könne Österreich „weder die Einhaltung des Abstinenz- noch des Paritätsprinzips gewährleisten. Im Gegenteil: Es ist zum Zeitpunkt des Beitrittes zu dieser Initiative schon glasklar, dass in diesem Fall Österreich das Abstinenz- und das Paritätsprinzip verletzen wird“, so der FPÖ-Chef.

Schlagabtausch der Parteizentralen

Die FPÖ-Aussendung veranlasste die ÖVP zu einer eigenen Aussendung, auf die wiederum zwei der FPÖ folgten. ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker schrieb, Kickl wolle „dass die österreichische Bevölkerung schutzlos Bedrohungen ausgeliefert wird – und instrumentalisiert daher aus reinem Eigennutz die Neutralität". Schon als Innenminister war Herbert Kickl ein Risiko für die innere Sicherheit Österreichs, jetzt ist er als FPÖ-Obmann ein Sicherheitsrisiko. Wäre Kickl die Sicherheit der Menschen in unserem Land ein Anliegen, würde er diesen Schritt von Bundeskanzler Karl Nehammer in Richtung mehr Schutz für Österreich unterstützen“, so Stocker.

Position zur FPÖ

Schallenberg könne sich „beim besten Willen“ keinen Bundesminister Kickl vorstellen, sagte er in der „Pressestunde“.

FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker konterte, die ÖVP sei „mit ihrem Latein offenbar am Ende“, das zeigten „die seit Wochen praktizierten ‚Copy & Paste‘-Pressedienste aus der ÖVP-Parteizentrale“. Was Stocker der FPÖ vorwerfe, sei „in Wahrheit eine Selbstanklage“. Und FPÖ-Außenpolitiksprecher Axel Kassegger verwies darauf, dass Schallenberg selbst in einem Interview mit dem Deutschlandfunk bekräftigt habe, dass sich Österreich keiner Verteidigungsallianz anschließen werde.

Auch NEOS meldete sich zu Wort: Verteidigungssprecher Douglas Hoyos begrüßte, dass die Bundesregierung „langsam aus ihrem sicherheitspolitischen Winterschlaf erwacht“. Nun dürfe es aber nicht bei einer Absichtserklärung bleiben, da der Beitritt zu „Sky Shield“ nicht ausreiche, um Österreichs Sicherheit zu gewährleisten. „Es ist höchste Zeit für ein klares Bekenntnis zur europäischen Verteidigungsunion“, so Hoyos.

Derzeit 17 europäische Staaten

Die „European Sky Shield Initiative“ (ESSI) ging vom EU- und NATO-Land Deutschland aus und ist eine Reaktion auf den russischen Überfall auf die Ukraine. Beteiligt sind seit Oktober zudem die NATO-Mitglieder Großbritannien, die Slowakei, Lettland, Ungarn, Bulgarien, Belgien, Tschechien, Finnland, Litauen, die Niederlande, Rumänien, Slowenien, Estland sowie Norwegen. Im Februar schlossen sich auch Dänemark und Schweden dem Projekt an. „Sky Shield“ soll vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine helfen, bestehende Lücken im derzeitigen Schutzschirm für Europa zu schließen.

Nicht dabei sind derzeit Frankreich und Italien. Vor allem Paris präferiert ein rein europäisches System, das allerdings erst entwickelt werden muss. Erst jüngst drang der Zwist zwischen Paris und Berlin in dieser strategischen Angelegenheit wieder an die Öffentlichkeit. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron stößt sich daran, dass für die ESSI auch Technologie aus Israel und den USA eingekauft werden soll. Unter anderem ist der Ankauf des israelischen Raketensystems Arrow 3 geplant.

Berlin betont nötigen Lückenschluss

Der deutsche Verteidigungsminister Pistorius (SPD) hatte zuletzt versucht, den Streit herunterzuspielen. Aus seiner Sicht gibt es keinen grundsätzlichen Dissens. Auch Deutschland verfolge das Ziel einer europäischen Luftverteidigung und Rüstungsindustrie, doch sei jetzt Eile geboten. Beim nun wegen der Krawalle in Frankreich verschobenen Staatsbesuch Macrons in Deutschland wäre „Sky Shield“ ein zentrales Thema gewesen.

Derzeit ist die Raketenabwehr in Europa im Wesentlichen auf einen Angriff aus dem Iran ausgelegt, nicht aber etwa aus Russland. Die Lücken für diese Distanzen sollen mit ESSI geschlossen werden.