Colleen Ballinger als „Miranda Sings“
AP/Invision/Willy Sanjuan
Fans ausgebeutet

Schwere Vorwürfe gegen YouTube-Liebling

Die US-Amerikanerin Colleen Ballinger galt einst als YouTube-Liebling – nun sieht sich die Schöpferin der Kunstfigur Miranda Sings mit einer Vielzahl an Vorwürfen konfrontiert. Im Fokus stehen unangemessene Chats mit minderjährigen Fans, Vorfälle bei Bühnenshows sowie die Ausbeutung von Jugendlichen. Ballinger wies die Anschuldigungen via kurioses Ukulele-Video zurück, die Liste an Vorwürfen wird dennoch laufend länger.

Vorgebracht wurden die Anschuldigungen in den vergangenen Tagen und Wochen von Ballingers Fans, mit denen die 36-Jährige via Social Media über die Jahre teils enge Beziehungen aufgebaut haben soll. Unter anderem wird Ballinger Grooming vorgeworfen – beim Grooming handelt es sich um die Kontaktaufnahme Erwachsener mit Kindern in Missbrauchsabsicht.

Einige Vorwürfe betreffen zudem Ballingers direktes Umfeld, also ihren Bruder Trent Ballinger und ihren besten Freund Kory DeSoto. Den beiden wird vorgeworfen, Ballingers Bekanntheit ausgenutzt zu haben, um sich das Vertrauen minderjähriger Fans der Youtuberin zu erschleichen. Durch die über Jahre gewachsene Fangemeinde geht seither eine Schockwelle.

Unterwäsche an Minderjährigen geschickt

Ins Rollen gebracht wurde die Causa Anfang Juni von zwei früheren Anhängern der US-Komikerin. Einer davon ist der irische Youtuber Adam McIntyre. Der inzwischen 20-Jährige behauptete bereits in einem YouTube-Video 2020, Ballinger sei eine unangemessene persönliche Beziehung mit ihm eingegangen, als er zwischen 13 und 16 Jahre alt war.

In dem Video hielt er auch Unterwäsche in die Kamera, die Ballinger ihm damals zum „Scherz“ geschickt hatte. Weiters schilderte er, dass er eine Zeit lang Inhalte für Ballingers Social-Media-Accounts entwickelte. Nachdem ein Posting des Minderjährigen einen Shitstorm ausgelöst hatte, soll Ballinger den Burschen ignoriert haben. Ballinger bestätigte dessen Schilderungen 2020 und bezeichnete ihr Verhalten als „völlig dumm“. Weitere Kritik blieb vorerst aber aus, vielmehr berichtete McIntyre von Anfeindungen durch Ballingers Fans.

Colleen Ballinger in „Haters Back Off“
IMAGO/Everett Collection/Serguei Baschlakov/Netflix
Millionen Fans und ein Netflix-Deal: Mit der schrulligen Kunstfigur Miranda Sings schuf Ballinger eine Internetsensation

Anzügliche Nachrichten an Fans

Neuen Zündstoff lieferte im Juni 2023 ein – inzwischen gelöschtes – Video, das ein weiterer Fan der Influencerin bei YouTube geteilt hatte. Das Video von Kodee Tyler Dahl (33) handelte von einer Chatgruppe namens „Colleeny’s Weenies“ (also Coolleenys Würstchen bzw. Pimmel). Darin soll die Youtuberin und dreifache Mutter sexuell anzügliche Nachrichten an ihre teils minderjährigen Anhänger geschickt haben.

Unter anderem soll sich Ballinger nach der „bevorzugten Stellung“ der Gruppenmitglieder erkundigt haben. Außerdem soll sie McIntyre – der ebenfalls Teil der Gruppe war – im Gruppenchat vorgeschlagen haben, seine Jungfräulichkeit in einem Frage-Antwort-Video bei YouTube zu thematisieren. Als der damals noch minderjährige Bursch schrieb, dass sein Hinterteil „heute richtig gut aussieht“, bat Ballinger diesen um Fotos, wie aus im Netz kursierenden Screenshots hervorgeht. ORF.at konnte diese nicht verifizieren.

Podcast-Partnerin geht auf Distanz

McIntyre stellte daraufhin in den vergangenen Wochen mehrere Videos online, in denen er Ballinger emotionales Grooming von Fans vorwarf. Zudem warf er Ballinger in einem Tweet vom Montag vor, dass diese dem damals noch minderjährigen McIntyre Nacktfotos der Youtuberin Trisha Paytas geschickt habe. Gleiches machte zuvor ein weiterer Fan Ballingers publik – er war eigenen Angaben zufolge aber volljährig.

Paytas, die bis zuletzt einen Podcast mit Ballinger führte, äußerte sich in einer Reaktion am Montag schockiert über die Vorfälle. Ballingers mutmaßliche Nachrichten bezeichnete sie als „ekelhaft“ und „illegal“ – ferner gab Paytas an, dass Ballinger die Anschuldigungen ihr gegenüber vehement abgestritten habe.

Fans werfen Ballinger Erniedrigung bei Shows vor

Nach Dahls und McIntyres Videos teilten in den letzten Wochen weitere Fans ihre Erfahrungen mit dem Internetstar. Eine ehemalige Anhängerin namens „Becky“ schilderte bei Twitter, TikTok und gegenüber dem Magazin „Rolling Stone“, wie sie von Ballinger im Zuge einer Miranda-Sings-Show auf der Bühne erniedrigt worden war. So sei sie als damals 16-Jährige von Ballinger für eine Yoga-Challenge auf die Bühne gebeten worden, schilderte sie. Auf einem Video ist zu sehen, wie Ballinger dem am Bühnenboden liegenden Mädchen die Beine spreizt – bevor ein Furzgeräusch ertönt.

„Sie ermutigte ihre Fans, knappe Kleidung zu tragen, sodass wir (von ihr) auf die Bühne gebeten werden. Und dann beutete sie uns und unsere Körper für ihren eigenen Nutzen aus. Also ja, ich habe kein Problem damit, sie Sexualstraftäterin zu nennen“, schrieb „Becky“ bei Twitter.

Es ist nicht der einzige Vorfall bei Shows der Komikerin, die in den vergangenen Wochen für heftige Debatten und Kritik seitens heranwachsender Fans sorgt. Unmut löste auch ein kürzlich wieder aufgetauchtes Video aus dem Jahr 2016 aus. Darin ist zu sehen, wie Ballingers Kunstfigur Miranda Sings einem Buben anbietet, Snacks aus ihrer Hose zu fischen.

Schrullige Kunstfigur mit Millionen Fans

Die schrullige Kunstfigur Miranda Sings wurde von Ballinger 2008 geschaffen. Binnen kürzester Zeit wurde Miranda Sings, deren Markenzeichen rot übermalte Lippen sind, zur Internetsensation. Mehr als zehn Millionen Menschen folgen ihr bei YouTube, fast 14 Millionen sind es auf TikTok. Ballinger kooperierte in den vergangenen Jahren nicht nur mit zahlreichen Internetstars, sondern erschien auch in einem Musikvideo von Popstar Ariana Grande. Außerdem erhielt sie ihre eigene Netflix-Show „Haters Back Off!“.

Letztere bleibt von der Kontroverse rund um ihren Star nicht gefeit. Die TV-Assistentin April Quioh beschrieb ihre Beteiligung an der Produktion auf ihrem Blog als „sehr unangenehm“. Konkret ging es dabei um mehrfache Vorschläge Ballingers, die auf eine sexuelle Beziehung der – ahnungslosen – Kunstfigur Miranda mit ihrem Onkel anspielten. Überdies warf Quioh der Youtuberin rassistisches Verhalten vor.

Ballinger stritt Vorwürfe per Gesangsvideo ab

Auf Quiohs Vorwürfe reagierte Ballinger bisher nicht. Allerdings bezog sie erst kürzlich bei YouTube zu einigen weiteren Vorwürfen Stellung – konkret in Form eines zehnminütigen Songs, den Ballinger samt Ukulele vortrug. Zu Beginn ihrer Karriere habe sie ihren Fans Nachrichten geschickt – „aber nicht auf eine gruselige Art und Weise“, sang sie. Ihre Fans hätte sie als Freunde gesehen und keine Grenzen gekannt, so Ballinger weiter.

Weiters sang sie, dass ihrer Ansicht nach Eltern dafür verantwortlich seien, zu überprüfen, welche Inhalte ihre Kinder konsumieren. Sie sei kein „Groomer“, nur eine „Verliererin“, sang sie. Auch eine „Sexualstraftäterin“ sei sie nicht, „auch wenn viele von euch das denken, weil ich vor fünf Jahren einen Furzwitz gemacht habe“, so Ballinger. Sie beteuerte, seither ihr Verhalten geändert zu haben. Sie habe nie „böse Absichten“ gehabt.

Ballinger-Gefolgschaft im Zwiespalt

Fans und Medien brachen seit Aufkommen der Vorwürfe gegen Ballinger und ihr Umfeld eine Debatte über die Abgründe von „Internet-Fandoms“ und enge Beziehungen zwischen Influencerinnen bzw. Influencern und Fans vom Zaun. Diese hätten „die Türen für weit verbreiteten Missbrauch geöffnet“, schrieb etwa der „Rolling Stone“ jüngst. Gegenüber NBC News gaben mehrere Fans an, ihre loyale Gefolgschaft in Zukunft überdenken zu wollen.

Influencerinnen und Influencer seien nicht in der Lage, die grundlegende parasoziale Beziehung zu steuern, wurde McIntyre von „Rolling Stone“ zitiert. Man könne sie aber nähren und missbrauchen, sagte er. „Dann wird sie ein Problem. Und ich denke, das ist es, was Colleen tut.“

Jamie Cohen, der am Queens College der City University of New York zu digitaler Kultur und Medien forscht, meinte, frühe YouTube-Stars wie Ballinger hätten keine Regeln gekannt – parasoziale Beziehungen seien für sie zum Erfolgsrezept geworden. Heute gebe es aber mehr Transparenz, sagte er zum „Rolling Stone“ – das wisse auch die neue Influencer-Generation. „Man kann seine Fans nach ‚#MeToo‘ nicht mehr ausbeuten.“