Blick in den Plenarsaal
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NR-Beschlüsse

Reformen bei Pflege und Primärversorgung

Der Nationalrat hat am Donnerstag seinen Sommerkehraus fortgesetzt. Beschlossen wurden Neuerungen in der Primärversorgung, sie wurden mit den Stimmen von ÖVP, Grünen, SPÖ und NEOS angenommen. Die Errichtung entsprechender Einheiten im Gesundheitswesen wird erleichtert und entbürokratisiert, den Ärztekammern ihre Vetomöglichkeit genommen. Auch ein weiterer Teil der Pflegereform wurde auf den Weg gebracht.

Aus den aktuell 44 bestehenden Primärversorgungseinheiten (PVE) sollen bis 2025 120 in ganz Österreich werden. Aktuell sind 30 in Planung, davon fünf für Kinder. Statt bisher 340.000 Patienten und Patientinnen sollen so mindestens 705.500 Menschen pro Jahr versorgt werden. Auch andere Gesundheitsberufe als Ärzte können Gesellschafter werden, Ärzte müssen aber mehr als 50 Prozent am Kapital der Gesellschaft halten. Rechtlich ermöglicht werden auch reine Kindermedizineinrichtungen.

Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) zeigte sich zufrieden: „Was wir heute beschließen, ist ein erster, aber ein ganz wesentlicher Baustein einer umfassenden Gesundheitsreform, die wir jetzt versuchen, im Zuge des Finanzausgleichs auf den Boden zu bringen.“

Die Abgeordneten Ralph Schallmeiner und Josef Smolle, die die Novelle für die Grünen bzw. die ÖVP verhandelt hatten, hoben in ihren Beiträgen auch hervor, dass künftig auch schon zwei Personen eine PVE gründen können und 100 Mio. Euro an Fördermitteln aus dem Aufbau- und Resilienzplan der EU bereitstünden.

Kritik von SPÖ und FPÖ

Bei der SPÖ bemühte man sich zu betonen, dass das Primärversorgungsgesetz ursprünglich in der Ära von Christian Kern und Pamela Rendi-Wagner beschlossen worden war. Rudolf Silvan bemängelte aber, dass Maßnahmen gegen den Ärztemangel fehlten.

Gerhard Kaniak (FPÖ) sprach in diesem Zusammenhang gar von einem Desaster. „Geld alleine und das, was sie hier vorgelegt haben, wird nicht reichen, um die Probleme zu beseitigen“, unterstrich er. Zustimmung zum Gesetz kam hingegen von NEOS. Dass Rauch den Mut zeige, „sich gegen diverse Stakeholder aufzubäumen“, begrüßte NEOS-Abgeordnete Fiona Fiedler.

Nationalrat reformiert Primärversorgung

Der Nationalrat hat am Donnerstag eine Reform der Primärversorgungszentren beschlossen. Die Gründung soll künftig erleichtert, bürokratische Hürden sollen abgeschafft werden. Auch andere Gesundheitsberufe als Ärzte können Gesellschafter werden. Den Ärztekammern wird ihre bisherige Vetomöglichkeit gegen neue Zentren genommen.

Neuer Eltern-Kind-Pass fixiert

Mit Koalitionsstimmen beschlossen wurde danach die Umsetzung des neuen Eltern-Kind-Passes, nachdem dieses Vorhaben im Juni an einem Formalfehler gescheitert war. Mit Jänner 2024 soll das neue nun digital aufgesetzte Vorsorgeprogramm in Kraft treten, bis 2026 soll der Leistungsumfang um zusätzliche Angebote während der Schwangerschaft bzw. für Neugeborene erweitert werden. Dafür braucht es noch eine Verordnung.

Beschlossen wurden auch weitere Neuerungen im Pflegebereich, darunter die Ausweitung der Befugnisse von Pflegepersonal, Erleichterungen bei der Anerkennung ausländischer Berufsausbildungen und ein einfacherer Zugang zu Weiterbildungsmaßnahmen.

So können diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegende künftig bestimmte Medizinprodukte wie Verbandsmaterialien, Gehhilfen oder Inkontinenzprodukte selbstständig verordnen. Ihre Ausbildung und Berufserfahrung wird außerdem in höherem Ausmaß auf die Bachelor-Ausbildung an Fachhochschulen angerechnet.

Mehr Möglichkeiten für „Pensionistinnen-WGs“

Um die gemeinsame Betreuung alter Menschen in „Pensionistinnen-WGs“ zu ermöglichen, werden 24-Stunden-Betreuerinnen und -Betreuer künftig bis zu drei betreuungspflichtige Menschen in einem Haushalt betreuen dürfen, auch wenn diese nicht in einem Angehörigenverhältnis zueinander stehen. Zivildiener werden künftig unterstützende Tätigkeiten bei der Basisversorgung an den von ihnen betreuten Personen durchführen dürfen, wenn sie ein entsprechendes Ausbildungsmodul absolviert haben.

Barrierefreiheit wird deutlich ausgeweitet

Ein weiterer zentraler Beschluss – er erfolgte einstimmig – betrifft den Ausbau der Barrierefreiheit. Abgezielt wird vor allem auf elektronische Geräte. So müssen Mobiltelefone, PCs, Fahrkartenautomaten und ähnliche Geräte ebenso barrierefrei sein wie beispielsweise Onlineshops. Das gilt ab Juni 2025, freilich mit Ausnahmen.

Beim Barrierefreiheitsgesetz handelt es sich technisch gesehen um die Umsetzung einer EU-Bestimmung. Neben den Geräten sind Dienstleistungen wie E-Banking, E-Commerce, E-Ticketing, Videotelefonie, Online-Messenger-Dienste, E-Books und SMS-Dienste umfasst. Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitern und einem Jahresumsatz bzw. einer Jahresbilanzsumme von maximal zwei Millionen Euro fallen nicht unter das Gesetz.

Bei Zuwiderhandeln ist unter anderem die Verhängung einer Verwaltungsstrafe bis zu 80.000 Euro und als Ultima Ratio auch ein Produktrückruf möglich. Für die SPÖ ist die finanzielle Strafandrohung zu gering. Die Opposition hätte insgesamt gewünscht, dass Verbesserungen über den Schwerpunkt Informations- und Kommunikationstechnologie hinaus vorgenommen würden.

Mehr Mittel für Freiwillige

Gegen die FPÖ beschlossen wurde ein Freiwilligenpaket, das vor allem mehr Mittel bringt. Vereinbart ist etwa eine höhere Entschädigung beim freiwilligen Sozial- und beim freiwilligen Umweltjahr. Die Untergrenze werde künftig bei 75 Prozent der ASVG-Geringfügigkeitsgrenze liegen, derzeit sind es 50 Prozent.

Über Förderungen sollen die Träger dazu motiviert werden, die Geringfügigkeitsgrenze zur Gänze auszuschöpfen. Zudem werden Teilnehmende am Freiwilligenjahr künftig bundesweit einheitlich ein Klimaticket bekommen, wenn sie für Fahrten zwischen dem Hauptwohnsitz und dem Einsatzort bzw. für Fahrten im Auftrag der Einsatzstelle ein öffentliches Verkehrsmittel benötigen.

Abgelehnt wurde die Novelle von der FPÖ mit dem Argument, dass sie für klassische ehrenamtliche Organisationen wie die freiwillige Feuerwehr nichts bringe. NEOS stimmte dem Paket zu, wiewohl kritisiert wurde, dass mit der Novelle das Freiwillige Integrationsjahr endgültig abgeschafft werde.

Mehr Geld für Sozialdienst im Ausland

Deutlich besser dotiert wird der Gedenk-, Friedens- und Sozialdienst im Ausland. Statt derzeit 1,2 Millionen wird der Bund künftig bis zu drei Millionen aufbringen. Zudem dürfen Jugendliche, die einen Auslandsdienst absolvieren, im Falle von Katastrophen oder anderen außerordentlichen Notständen diesen im Inland fortsetzen.

Etabliert wird ein Staatspreis für ehrenamtliches Engagement. Zudem wird eine Service- und Kompetenzstelle für freiwilliges Engagement geschaffen, deren zentrales Instrument eine Onlineplattform ist, die sowohl Organisationen als auch Freiwilligen umfassende Beratungs-, Service-, Vernetzungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten anbieten soll. Staatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP) sieht diese Stelle als zentral.

Abgespecktes Krisensicherheitsgesetz beschlossen

Nur mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ÖVP und Grüne wurde das neue Krisensicherheitsgesetz beschlossen. Vorgesehen ist mit dem Gesetz etwa die Einrichtung eines Bundeskrisensicherheitskabinetts unter Federführung des Bundeskanzleramts und die Errichtung eines Bundeslagezentrums im Innenministerium.

Zudem sollen Kontaktstellen zur raschen Koordination im Krisenfall benannt werden. Das Bundesheer sollte in Erweiterung seiner Aufgaben künftig für Assistenzleistungen im Krisenfall sowie für Präventionsmaßnahmen herangezogen werden können – genau das wurde per Abänderungsantrag nun wieder aus dem Entwurf entfernt, weil es einer Verfassungsbestimmung bedurft hätte.

SPÖ: „Von Anfang an ein Murks“

Die Opposition lief gegen das Vorhaben dennoch verbal Sturm. „Diese Gesetzesvorlage ist von Anfang an ein Murks“, ärgerte sich etwa Reinhold Einwallner (SPÖ). Es sei demokratie- und sicherheitspolitisch ein Unding. Kernstück sei eine Fantasie von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), einen Regierungsbunker zu bauen – und das um 50 statt ursprünglich geplant 20 Mio. Euro. Das Parlament werde beim Ausrufen einer Krise nicht ausreichend eingebunden, es reiche eine einfache Mehrheit im Hauptausschuss. Das sei „demokratiepolitisch mehr als bedenklich“.

FPÖ: „Besonderes Schurkenstück“

Hannes Amesbauer (FPÖ) ortete gar „ein besonderes Schurkenstück dieser Bundesregierung“, was ihm umgehend einen Ordnungsruf einbrachte. Das Gesetz sei inhaltlich und legistisch „grottenschlecht“ und von „totalitären Fantasien“ getragen. Es sei zwei Jahre lang auf dem Tisch gelegen, ohne mit jenen, von denen man Unterstützung für die Zweidrittelmehrheit wollte, auch nur ein einziges inhaltliches Gespräch zu führen.

„Sie schalten das Parlament im Krisenfall aus, das muss man klar benennen“, sagte er weiter. Auch die – letztlich gestrichenen – Pläne zum Bundesheer lehnte er ab. „Wir wollen das österreichische Bundesheer nicht im Inneren gegen die eigene Bevölkerung einsetzen, das ist ja unerhört“, so Amesbauer: „Lassen Sie die Finger von Ihren Allmachtsfantasien.“

„Die einzige Krise, die wir besser verstehen anhand dieses Gesetzes, ist die Regierungskrise“, meinte auch Douglas Hoyos-Trauttmansdorff (NEOS). Das Gesetz sei in der Begutachtung „zerfetzt“ worden, und der geplante Krisenkoordinator sei ein „Feigenblatt für das Nichtstun der Regierung in der Vorsorge“.

Koalition verteidigt Gesetz

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) sah das gänzlich anders. Das Gesetz mache ein gesamtstaatliches Krisenmanagement in der richtigen Richtung möglich, betonte er. ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker sekundierte: Die Kritik der Opposition sei parteipolitisch motiviert. Mehrheitsentscheidungen als undemokratisch zu bezeichnen, wertete er als bedenklich. Sein Fazit: „Mit diesem Gesetz ist Österreich auf eventuelle kommende Krisen besser vorbereitet.“

Ähnlich argumentierte David Stögmüller (Grüne). „Wir bringen Krisenmanagement ins 21. Jahrhundert“, erklärte er. Es werde nun verrechtlicht, was bisher nur auf einem Ministerratsvortrag beruht habe, ohne Kontrolle und ohne Einbeziehung des Parlaments. Der Staat bleibe durch das Gesetz im Krisenfall handlungsfähig, es komme ein Krisenkoordinationszentrum, „und wir verlieren nicht den Blick auf den Parlamentarismus“.