Serbischer Präsident Aleksandar Vucic, Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban
Reuters/Leonhard Foeger
Migrationsgipfel

Mehr Kooperation, aber Ärger über Orban

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat Ungarns Premier Viktor Orban und Serbiens Präsidenten Aleksandar Vucic nach Wien geladen. Gemeinsam will man irreguläre Migration stärker und abseits von EU-Initiativen bekämpfen. Dazu sollen noch mehr Polizeikräfte an die Außengrenzen geschickt werden. Die laute Kritik an den Gästen war auch am Freitag zu hören, auch von Nehammer selbst.

Es war der dritte Migrationsgipfel dieses Formats und der erste mit Nehammer als Gastgeber. Auch die Außen- und Innenminister sowie die Spitzen der Polizei der drei Länder nahmen an den Gesprächen teil. Schwerpunkt des Gipfels war die Stärkung des Grenzschutzes.

Konkretes Ergebnis war die Unterzeichnung eines vierseitigen Kooperationsmemorandums im Bereich Polizeiarbeit durch die jeweiligen Innenminister. Die Gründung einer gemeinsamen Grenzschutz-Taskforce wurde vereinbart sowie eine intensivere Zusammenarbeit im Kampf gegen Schlepper. Wie es aus dem Bundeskanzleramt hieß, plant Österreich die Entsendung weiterer Polizisten an die ungarisch-serbische Grenze. Von derzeit 20 Beamten sei eine Aufstockung bis auf 70 möglich.

Nehammer mit Kritik an Ungarn

„Wir müssen feststellen, dass das Asylsystem der EU kaputt ist, nicht funktioniert“, so Nehammer nach dem Treffen bei einer gemeinsamen Pressekonferenz. Gemeinsam hätten die drei Länder „die Asylbremse deutlich angezogen“. Die polizeiliche Kooperation sei gut, nun solle ein Übereinkommen unterzeichnet werden, um organisierte Schlepperkriminalität einzudämmen. Nehammer drängte auch auf bilaterale Abkommen mit afrikanischen Staaten, um legale Zuwanderung zu forcieren. Angesichts von 200.000 offenen Stellen brauche Österreich legale Zuwanderung.

Orban sagte, ohne Ungarn und Serbien gäbe es in Österreich und der EU Hunderttausende Migranten mehr. Orbans Regierung fährt einen extrem restriktiven Kurs und lässt kaum Asylanträge von Migrantinnen, Migranten und Geflüchteten zu. Die Menschen machen sich dann oft weiter auf den Weg nach Österreich. Nehammer übte daran auch ungewöhnlich deutlich Kritik. „Es stimmt zwar, dass sich die irregulären Migranten nicht in Ungarn aufhalten, aber zu 80 Prozent durch Ungarn nach Österreich kommen, und wir haben dann 109.000 Asylanträge, und Ungarn hat 45“, sagte er.

Orban nahm die Kritik aber nicht auf. „Wir sind der einzige migrantenfreie Ort in Europa“, sagte der ungarische Premier, der im Bundeskanzleramt auch einmal mehr eine Attacke gegen den jüdischen US-Milliardär und Philanthropen George Soros ritt. Orban kritisierte zudem die EU erneut scharf, speziell das neue Asylpaket, bei dem eine „Zwangsverteilung“ innerhalb Europas „eine Einladung“ an Migranten sei, sich auf den Weg zu machen.

Weniger Asylanträge

Die früheren beiden Gipfel dieser Art hatten teilweise Erfolge gezeitigt: Wichtigstes Ergebnis war damals die Zusage Serbiens, die Visafreiheit für Bürgerinnen und Bürger bestimmter Staaten wie Indien und Tunesien zu beenden, nachdem Österreich einen starken Anstieg von Asylanträgen von Menschen aus Indien und Tunesien festgestellt hatte. In der Folge ging die Zahl der Asylanträge in Österreich zurück.

Paschinger (ORF) zum Migrationsgipfel

Julian Paschinger (ORF) berichtete über den Migrationsgipfel, auf dem Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) den ungarischen Amtskollegen Viktor Orban und den serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic empfing.

Von Jänner bis Mai wurden um 20,5 Prozent weniger Anträge im Vergleich zum Vorjahreszeitraum verbucht, im Mai war es ein Minus von 30 Prozent, während die Asylanträge in der restlichen EU um 30 Prozent zunahmen, wie es von der Regierung gegenüber der APA hieß. „Die Ergebnisse der letzten Treffen sprechen für sich“, so Nehammer im Vorfeld. Solange es keine „völlige Neuaufstellung des EU-Asylsystems“ gebe, „müssen wir uns selbst helfen“.

Pfiffe und Buhrufe auf Ballhausplatz

Die Kritik an der Zusammenarbeit aber bleibt laut. Orban und Vucic werden wiederholte und grundlegende Angriffe auf Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaat vorgeworfen. Dass die beiden Gäste in Wien nicht unumstritten sind, zeigte sich schon bei deren Empfang durch Nehammer vor dem Bundeskanzleramt unter den Rufen und Pfiffen von Demonstrantinnen und Demonstranten.

Etwa ein Dutzend Aktivistinnen der NGOs SOS Balkanroute und Omas gegen Rechts protestierten lautstark gegen das Treffen. „Das Hofieren von Autokraten am Ballhausplatz, die die Demokratie in Europa immer wieder gefährden, ist nicht nur eine Schande, sondern ein Schlag ins Gesicht für alle progressiven Kräfte am Balkan und in Osteuropa“, hieß es in einer Aussendung von SOS Balkanroute. Österreich müsse sich hüten, sich an Orban und Vukic ein Beispiel zu nehmen, so Susanne Scholl von Omas gegen Rechts.

Ungarn mit 22 Asylanträgen in halbem Jahr

Die weiterhin hohe Zahl an irregulären Migrantinnen und Migranten in Österreich zeige zudem, dass Orban und Vucic im Kampf gegen illegale Migration nicht besonders effektiv seien, meinten schon im Vorfeld andere NGOs. So wiesen die Menschenrechtsorganisationen Amnesty International und asylkoordination österreich am Donnerstag in einer Aussendung darauf hin, dass Serbien im ersten Halbjahr 800 Asylanträge registriert habe und Ungarn gerade 22.

Vucic und Orban auf Migrationsgipfel in Wien

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) begrüßte seinen ungarischen Amtskollegen Viktor Orban und den serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic am Freitag zum Migrationsgipfel. Nehammer war erstmals Gastgeber des Formats, das im vergangenen Herbst zur Bekämpfung der irregulären Migration auf der Balkan-Route ins Leben gerufen worden war.

„Im selben Zeitraum wurden in Österreich etwa 24.000 Schutzsuchende registriert, wovon der überwiegende Großteil über Serbien und Ungarn nach Österreich gekommen ist.“ In Ungarn seien in den vergangenen zehn Jahren insgesamt weniger Schutztitel erteilt worden als in Österreich in den letzten beiden Monaten, so die NGOs.

Empörung über Freilassung von Schleppern

Speziell an Ungarn gab es weitere Kritik an einem umstrittenen Schritt im heurigen Frühjahr. Orbans Regierung erließ eine Verordnung, durch die Hunderte inhaftierte Schlepper aus dem Ausland freigelassen wurden. Sie sollten Ungarn innerhalb von 72 Stunden verlassen. Die Begründung dafür lautete, dass die Inhaftierung ausländischer Straftäter zu teuer komme.

Das führte zu einem Eklat, sogar die orbanfreundliche FPÖ übte damals Kritik. Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) nannte die Maßnahme damals ein „völlig falsches Signal“ und zitierte den ungarischen Botschafter ins Außenamt.

Kritik auch vom Regierungspartner

Auch die mitregierenden Grünen übten Kritik. Von erfolgreicher polizeilicher Kooperation mit Ungarn könne keine Rede sein. Orban habe „das Anrecht verloren, als ernstzunehmender Partner wahrgenommen zu werden“, so Ewa Ernst-Dziedzic, grüne Sprecherin für Außenpolitik.

Ein „voller Reinfall, der Österreich nichts gebracht hat“, so SPÖ-Sicherheitssprecher Reinhold Einwallner. Die Zusammenkunft sei „eine Bühne für Orban (gewesen), auf der dieser seine Unwahrheiten verbreiten und Österreich drohen konnte“. Nehammer lasse sich „weiterhin am Nasenring von Rechtsbrechern durch die Manege führen und täuschen“, so die NEOS-Abgeordnete Stephanie Krisper: „In seiner Panik vor dem, was in den nächsten Tagen und bei der nächsten Wahl auf die ÖVP zukommt“, mache der Kanzler „auf Kickl“ und schade damit dem Ansehen Österreichs in Europa.

FPÖ-Chef Herbert Kickl sah im ungarischen Premier hingegen ein Vorbild für Österreich. „ÖVP-Bundeskanzler Nehammer soll nicht nur mit Viktor Orban reden, sondern wie Viktor Orban auch gegen die illegale Masseneinwanderung handeln“, so Kickl. FPÖ-Sicherheitssprecher Hannes Amesbauer monierte, Nehammer habe „wieder seine substanzlose Ankündigungsshow abgezogen und diese auch noch dazu missbraucht, sich mit ‚Ungarn-Bashing‘ wieder Schulterklopfer des Brüsseler EU-Establishments zu holen“.