Dutzende Personen während des Aufnahmeverfahrens für das Medizinstudium in Wiener Messegelände
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Quoten, Plätze, Engpässe

Zugang zu Medizinstudium bleibt Zankapfel

In Wien, Graz, Innsbruck und Wels sind am Freitag insgesamt 11.735 Bewerberinnen und Bewerber angetreten, um einen Medizinstudienplatz zu ergattern. Nur 1.850 werden das Studium im Herbst beginnen dürfen. Auch deshalb wird das Auswahlverfahren auch heuer wieder von Diskussionen begleitet, denn Kritiker und Kritikerinnen sehen darin den Ärztemangel prolongiert. Doch gibt es auch Plädoyers für die Beibehaltung der derzeitigen Auswahlquote. Und auch deutsche Studierende bleiben Thema.

Was die Anzahl der Studienplätze betrifft, sind die Argumentationsansätze sehr unterschiedlich. So hatte etwa Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) vor einer weiteren Verschlechterung des Gesundheitssystems gewarnt. „Wir sind erst am Beginn eines wahren Ärztemangels“, sagte er dem „Standard“ (Freitag-Ausgabe), er forderte eine Verdopplung der Ausbildungsplätze – mehr dazu in wien.ORF.at. Auch Klubobmann Philip Kucher schloss sich dem Ansatz an.

Anders beurteilten das in der Vergangenheit stets die Rektorinnen und Rektoren der Medizinunis – Österreich bilde genügend Ärztinnen und Ärzte aus, damit sie auch Kassenarztstellen übernehmen, müsse dieses System attraktiver werden, so der Tenor. Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer schloss sich dieser Ansicht am Freitag an: „Die Rektoren haben da recht, das ist ganz klar, wir bilden schon viel zu viel aus“, wie er im Ö1-Morgenjournal sagte.

Wiener Vizerektorin ortet Verteilungsproblem

Einen österreichweiten Ärztemangel erkennt auch die Vizerektorin für Lehre an der MedUni Wien, Anita Rieder, nicht, wie sie am Freitag sagte. Viel eher sei es ein regionales und zum Teil auch nationales Verteilungsproblem der in den letzten Jahren ausgebildeten Ärzte und Ärztinnen. Problemfelder seien unter anderem die schlechte Bezahlung, die „Migration in die lukrative und nur teilweise versorgungsrelevante Privatmedizin“ und der internationale Wettbewerb um Jungmediziner und -medizinerinnen.

Auch der Forderung nach mehr Studienplätzen könne man in der MedUni Wien nichts abgewinnen. Österreich liege mit der Zahl der Absolventen und Absolventinnen im internationalen Spitzenfeld und bilde in Bezug auf die Einwohnerzahl wesentlich mehr Menschen aus als vergleichbare Länder. Bis 2028 erfolge ohnehin ein schrittweiser Ausbau auf 2.000 Studienplätze österreichweit. Diese Zahl sei noch möglich, ohne dass die Qualitätsstandards darunter leiden müssten.

„Wir haben zu wenig Gesundheit“

Die Idee, dass man Medizin stets deshalb studiere, um Arzt bzw. Ärztin zu werden, sei „immer schon dumm“ gewesen, so Gesundheitsökonom Pichlbauer im Ö1-Morgenjournal. Man brauche etwa auch Menschen, die in die Forschung gehen, und müsse – wie in jedem anderen Fach auch – immer mit einer Drop-out-Quote rechnen. Doch habe man ohnehin eine vergleichsweise hohe Arztquote, so Pichlbauer. Man habe viele Ärzte, „aber zu wenig Gesundheit“. Arbeitskräfte und Infrastruktur seien vielfach falsch eingesetzt.

Auch die Vorsitzende der Österreichischen HochschülerInnenschaft (ÖH) an der MedUni, Carolin Vollbrecht (Frakion Wiener unabhängige Medizinstudierende, WUM), sieht den Vorschlag, Studienplätze zu verdoppeln, kritisch. Sie weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass darunter Qualitätsstandards leiden würden.

ÖH will mehr Studienplätze

Indes kritisierte das Vorsitzteam der ÖH, dass das strenge Aufnahmeverfahren bei vielen Bewerbern und Bewerberinnen zu großer psychischer Belastung und verstärktem Konkurrenzdenken untereinander führe. Außerdem würden die derzeit verfügbaren Studienplätze nicht ausreichen, um den „chronischen Mangel“ an Ärztinnen und Ärzten auszugleichen, wie es in einer Aussendung hieß.

Ein weiteres Problem sei, dass das Aufnahmeverfahren oft mit teuren Vorbereitungskursen einhergehe. „Diese Art der sozialen Selektion führt dazu, dass Bildung gerade im medizinischen Bereich noch immer stark vererbt wird“, kritisierte Nina Mathies (VSSTÖ) vom Vorsitzteam.

Innsbrucker MedUni-Rektor zum Ärztemangel

Wolfgang Fleischhacker, Rektor der Medizinischen Universität Innsbruck, erklärt im ZIB2-Interview, dass der Ärztemangel vor allem ein Verteilungsproblem sei. Ihm fehlt es in dieser Debatte an einer profunden Auseinandersetzung mit dem Gesundheitssystem. Zudem sei es wichtig, dass die Attraktivität der Arbeitsplätze gefördert wird.

„Numerus-Clausus-Flüchtlinge“ im Fokus

Eine weitere aktuelle Diskussion rund um Medizinstudienplätze betrifft die Frage, ob mehr österreichische Studierende einen Studienplatz bekommen sollen, was konkret vor allem zulasten jener Studierender gehen würde, die aus Deutschland nach Österreich kommen. Grundlage dessen ist ein seit Jahren diskutierter Dauerbrenner: Dabei geht es um Studierende, die aufgrund der Zulassungsbeschränkung gemessen am Schulnotenschritt in Deutschland (Numerus clausus) keinen Studienplatz bekommen.

Weil es das in Österreich nicht gibt, können sie – vorausgesetzt, der Aufnahmetest wird bestanden – hierzulande Medizin studieren. Zuletzt war die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) dafür eingetreten, den „Numerus-Clausus-Flüchtlingen“ einen Riegel vorzuschieben. Unterstützung bekam sie durch ein Gutachten des Europarechtsexperten Walter Obwexer, der der Auffassung war, dass Österreich die Zulassungsbeschränkungen des jeweiligen Heimatlandes für ausländische Medizinstudierende anwenden dürfe.

Skepsis in der Frage der Umsetzbarkeit

Der Vizerektor für Lehre und Studierendenangelegenheiten der Medizinuni Innsbruck, Wolfgang Prodinger, sprach sich am Freitag für eine „Medizinerquote“ sowohl in der Human- als auch in der Zahnmedizin aus. Es müsse weiter für eine Mehrheit von österreichischen Medizinabsolventen und Absolventinnen gesorgt werden.

Zugleich gab er sich aber skeptisch, dass „Änderungen“ bei jenen Studierenden aus Deutschland, die dem Numerus clausus entkommen wollen, umsetzbar seien. Letzten Endes bleibe es außerdem „eine politische Entscheidung“. Zugleich aber verteidigte Prodinger die Medizinstudierenden aus Deutschland: „Diese haben Österreich auch gutgetan.“

Auch Gesundheitsökonom Pichlbauer sah das am Freitag ähnlich: Man habe die Quote zuerkannt bekommen und dehne damit ohnehin bereits EU-Recht. Das Zurückgehen in „die alte Zeit“ sei nicht der richtige Ansatz. Zudem verwies er auf den Umstand, dass Österreich nicht nur Absolventen „exportieren“ würde, sondern auch aus anderen Ländern Mediziner kämen, um hierzulande Turnusärzte zu werden.

Polaschek zurückhaltend, Rauch: „Bringt nicht viel“

ÖVP-Bildungsminister Martin Polaschek war in Bezug auf deutsche Studierende zuletzt noch vorsichtig geblieben. Man prüfe Mikl-Leitners Vorstoß gerade „sehr intensiv“, sagte er. Polaschek setzte eine eigene Arbeitsgruppe mit Fachleuten aus Europa- und Verfassungsrecht ein, inwieweit man auf Basis der Expertise an die EU-Kommission herantreten sollte.

Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) reagierte Freitagnachmittag auf Twitter: „Mehr Medizinstudienplätze zu schaffen oder die Zahl ausländischer Studierender einzuschränken, würde nicht viel bringen. Eine Berufspflicht für Medizinstudierende wird uns ebenfalls nicht weiterhelfen. Mit Zwang gewinnt man keine motivierten Mitarbeiterinnen.“

Die Wiener Vizerektorin für Lehre, Rieder, betonte hingegen, dass – auf den Tag genau – vor 18 Jahren durch den Europäischen Gerichtshof festgehalten wurde, dass Bewerbern aus der EU ein Studium grundsätzlich ermöglicht werden müsse – genauso aber auch andersherum. Von den 7.500 Anmeldungen in Wien hatten heuer 1.830 kein österreichisches Maturazeugnis. Mit 1.400 kam der Großteil davon aus Deutschland. Ähnlich in Innsbruck, wo von den 1.448 Bewerbungen aus EU-Ländern 1.333 auf Deutschland entfielen.

Soziale Kompetenz erstmals eruiert

In der Vergangenheit wurde stets der Vorwurf erhoben, dass potenziell gute Ärzte und Ärztinnen durch das Auswahlverfahren nicht erkannt werden könnten, weil Empathie und soziale Fähigkeiten bei den Aufgabestellungen praktisch keine Rolle spielten. Ein Umstand, dem heuer Rechnung getragen wurde – erstmals wurde versucht, Sozialkompetenzen zu eruieren. Insgesamt macht dieser Teil aber nur ein Zehntes des Tests aus.

Erstmals mussten die Kandidaten und Kandidatinnen heuer ein „soziales Dilemma“ lösen, Emotionen erkennen und darauf reagieren und durch richtige Antworten zeigen, dass es ihnen gelingt, „unruhige Patienten“ zu beruhigen.