Wolodymyr Selenskyj auf der Schlangeninsel
APA/AFP/Ukraine Presidency
500 Tage Krieg

Durchhalteparolen von Schlangeninsel

Zum 500. Tag seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj den Durchhaltewillen seines Landes betont. Die Ukraine werde „niemals durch die Besatzer erobert werden, denn wir sind das Land der Tapferen“, sagte Selenskyj in einem am Samstag veröffentlichten Video, das ihn bei einem Besuch auf der symbolträchtigen Schlangeninsel im Schwarzen Meer zeigt.

Das am Samstag unter anderem vom ukrainischen Verteidigungsministerium veröffentliche Video zeigt Selenskyj, wie er mit einem Boot auf der Schlangeninsel im Schwarzen Meer ankommt und Blumen an einer Gedenkstätte niederlegt. „Ich möchte von hier aus, von diesem Ort des Sieges, jedem unserer Soldaten für diese 500 Tage danken“, sagte der ukrainische Präsident mit Blick auf die Dauer des russischen Angriffskrieges.

Die Schlangeninsel gilt seit Beginn des Krieges als Symbol des ukrainischen Widerstands. Die Besatzung des später gesunkenen russischen Kriegsschiffes „Moskwa“ hatte die auf der Insel stationierten ukrainischen Grenzschützer am ersten Tag der am 24. Februar vergangenen Jahres begonnenen Invasion aufgefordert, sich zu ergeben.

Selenskyj auf Schlangeninsel

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat, wie im Netz veröffentlichte Videoaufnahmen nahelegen, die strategisch wichtige und lange umkämpfte Schlangeninsel im Schwarzen Meer besucht. Die Schlangeninsel gilt seit Beginn des russischen Angriffskrieges als Symbol des ukrainischen Widerstands.

„F…k dich, russisches Kriegsschiff!“, antwortete darauf ein Grenzschützer in einem Funkspruch, der weltweit Schlagzeilen machte. Kurze Zeit später nahm die russische Armee die Insel ein. Die ukrainischen Soldaten wurden gefangen genommen und kamen später im Zuge eines Gefangenenaustausches frei. Ende Juni 2022 eroberten die ukrainischen Streitkräfte die Insel wieder zurück.

ISW sieht ukrainische Fortschritte im Kampf um Bachmut

Die Schlangeninsel sei laut Selenskyj frei und werde wie die gesamte Ukraine niemals völlig besetzt werden. Wie der ukrainische Präsident in dem am Samstag veröffentlichten Video weiter ausführte, kämen die ukrainischen Truppen derzeit auch an anderen Stellen der Front voran. Internationale Militärexperten sind sich bei der Einschätzung der bisher erzielten Geländegewinne aber uneins.

Während einige von einer für die Ukraine bisher eher ernüchternd verlaufenen Offensive sprechen, war am Samstag etwa vom Washingtoner Institut für Kriegsstudien (ISW) für den Raum Bachmut von beachtlichen Fortschritten die Rede. Die ukrainischen Streikräfte setzten dem ISW-Bericht zufolge zudem ihre Operationen an mindestens drei weiteren Frontabschnitten fort.

Bachmut, eine Stadt mit einst mehr als 70.000 Einwohnerinnen und Einwohnern, war von russischen Truppen nach monatelangen Kämpfen im Mai erobert und komplett zerstört worden. Auch vonseiten des ukrainischen Generalstabs ist von offensiven Operationen nördlich und südlich von Bachmut die Rede. Laut dem Kommandeur der ukrainischen Landstreitkräfte, Olexandr Syrskyj, habe man im Raum Bachmut die Kontrolle über nicht näher genannte zuvor verlorene Stellungen zurückgewonnen.

Nach Ansicht britischer Militärexperten habe die russische Besatzungsarmee in der Ukraine trotz intensivierter Kämpfe kaum Reserven, um den Sektor um die Stadt Bachmut zu verstärken. Das ging am Samstag aus dem Geheimdienstbericht des Verteidigungsministeriums in London hervor. Demzufolge gehörten die Kämpfe dort in den vergangenen sieben Tagen wieder zu den heftigsten der gesamten Front, nachdem sie im Juni vorübergehend abgeflaut waren.

Tote und Verletzte in Lyman

Auch Russland setzte Berichten zufolge seine Angriffe auf Ziele in der Ukraine fort. In der ostukrainischen Stadt Lyman sind nach Angaben des ukrainischen Innenministeriums mindestens acht Menschen durch russischen Beschuss ums Leben gekommen, 13 weitere wurden verletzt. „Gegen 10.00 Uhr morgens haben die Russen mit Raketenwerfern die Stadt beschossen“, sagte der Chef der ukrainischen Militärverwaltung von Donezk, Pawlo Kyrylenko. Es seien gezielt Wohnhäuser unter Feuer genommen worden.

Die Stadt Lyman im Norden der Region Donezk wurde im Mai 2022, vier Monate nach Beginn des russischen Angriffskrieges, nach schweren Kämpfen von moskautreuen Truppen besetzt. Im Herbst gelang den Ukrainern im Zuge ihrer Gegenoffensive die Rückeroberung der Stadt. Allerdings verläuft die Front immer noch in unmittelbarer Nähe von Lyman. Derzeit trennen die Stadt nur etwas mehr als zehn Kilometer von den russischen Truppen.

UNO: Bereits über 9.000 tote Zivilisten

Nach Angaben der UNO-Mission zur Überwachung der Menschenrechte in der Ukraine (HRMMU) sind seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine bereits mehr als 9.000 Zivilistinnen und Zivilisten getötet worden, darunter 500 Kinder. Der Krieg verlange der ukrainischen Bevölkerung weiterhin einen „schrecklichen Tribut“ ab, sagte HRMMU-Vizechef Noel Calhoun anlässlich des 500. Kriegstages.

Erdogan: Ukraine verdient Mitgliedschaft in NATO

Derweil äußerte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan seine Unterstützung für eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine. „Es gibt keinen Zweifel daran, dass die Ukraine die Mitgliedschaft in der NATO verdient“, sagte Erdogan am späten Freitagabend nach einem Treffen mit Selenskyj in Istanbul. Gleichzeitig forderte er Russland und die Ukraine auf, zu „Friedensgesprächen zurückzukehren“.

Selenskyj bei Erdogan

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat am Freitag erstmals seit der russischen Ukraine-Invasion den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Istanbul besucht.

Für August kündigte Erdogan einen Türkei-Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin an. Bei den Gesprächen solle es unter anderem um die Verlängerung des am 17. Juli auslaufenden Abkommens zur Ausfuhr ukrainischen Getreides gehen. Das NATO-Land Türkei hat ungeachtet des Ukraine-Krieges bisher ein gutes Verhältnis sowohl zur Ukraine als auch zu Russland aufrechterhalten.

Der Kreml hatte im Vorfeld erklärt, er beobachte das Treffen genau. Moskau hatte zuletzt versucht, seine wachsende internationale Isolation durch den Aufbau enger Beziehungen zu Erdogan zu durchbrechen. „Wir werden die Ergebnisse dieser Gespräche sehr genau verfolgen“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. „Es wird für uns interessant sein herauszufinden, was besprochen wurde. Es ist wichtig.“

38-Tage-Ausbildung für Krieg gegen Ukraine

Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu inspizierte nach offiziellen Angaben am Samstag indes die Ausbildung neuer Einheiten für den Krieg gegen die Ukraine. „Der Leiter der russischen Militärbehörde hat die Vorbereitung und Durchführung von Fahr- und Schießübungen der Panzerbesatzungen des T-90 überprüft“, teilte das Verteidigungsministerium mit. Die Inspektion habe auf den Übungsplätzen Südrusslands stattgefunden.

Den Angaben zufolge werden die neuen Zeitsoldaten in einem 38-tägigen Intensivkurs für den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine geschult. Es gehe um das Zusammenwirken verschiedener Truppengattungen auf dem Schlachtfeld. So trainierten gleichzeitig motorisierte Schützenverbände, Panzer- und Artillerieeinheiten.

Seit Wagner-Revolte wieder verstärkt in Medien

Offiziell bestreitet Moskau bisher Pläne zu einer weiteren Mobilmachung. Neue Zeitsoldaten, die sich per Vertrag an das Verteidigungsministerium bänden, reichten für den Bedarf an der Front aus, heißt es. Schoigu geriet zuletzt immer stärker in die Kritik. So richtete sich zuletzt auch eine Kurzzeitrevolte der für Moskau kämpfenden Söldnertruppe Wagner explizit gegen die russische Militärführung.

Söldnerchef Jewgeni Prigoschin, der jahrelang selbst vom System der Auftragsvergabe beim Militär profitierte, beklagte plötzlich Korruption und Vetternwirtschaft sowie Inkompetenz. Schoigu war während des Aufstands abgetaucht. Nach dessen Ende erhöhte der Minister seine mediale Präsenz deutlich.

Streumunition: Guterres-Kritik an US-Plänen

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres kritisierte indes die Ankündigung der USA, Streumunition an die Ukraine zu liefern. Guterres wolle nicht, „dass weiterhin Streumunition auf dem Schlachtfeld eingesetzt wird“, erklärte ein Sprecher. Washington hatte am Freitag angekündigt, die von vielen Ländern geächtete Munition an die Ukraine zu liefern.

US-Präsident Joe Biden sprach von einer Übergangslösung und sagte, dass ihm die Entscheidung sehr schwergefallen sei. In einem am Freitag ausgestrahlten Interviewausschnitt mit dem US-Sender CNN sagte Biden, er habe über die Lieferung von Streumunition mit Verbündeten und Mitgliedern des US-Kongresses gesprochen. Die USA seien zwar keine Unterzeichner des Vertrags zur Ächtung von Streumunition, dennoch habe es eine Weile gedauert, bis er überzeugt gewesen sei, die umstrittene Munition zu liefern.

Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow schrieb am Samstag auf Twitter, die US-Entscheidung werde das Leben ukrainischer Soldaten retten und zur Befreiung von besetzten Gebieten beitragen. Einige NATO-Länder zeigten sich über den US-Vorstoß nicht begeistert. Sie sage zwar Ja zur legitimen Verteidigung der Ukraine, aber Nein zu Streubomben, teilte am Samstag etwa Spaniens Verteidigungsministerin Margarita Robles mit. Der britische Premier Rishi Sunak verwies lediglich darauf, dass Großbritannien Unterzeichner des Übereinkommens sei, das die Herstellung und den Einsatz von Streumunition verbiete.