NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, türkischer Präsident Tayyip Erdogan und schwedischer Premierminister Ulf Kristersson
AP/TT News Agency/Henrik Montgomery
NATO-Beitritt

Türkei beendet Blockade gegen Schweden

Nach langem Ringen gibt es in der Frage von Schwedens NATO-Beitritt eine Lösung. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat am Montag Schwedens Regierungschef Ulf Kristersson versichert, das Beitrittsprotokoll so bald wie möglich dem türkischen Parlament vorzulegen. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg bezeichnete am Dienstag die Einigung als „historisch“.

Die mit Erdogan am Vorabend getroffene Übereinkunft stärke die Verteidigung des Bündnisses deutlich und sei auch im Interesse der Türkei selbst, sagte Stoltenberg in Vilnius vor dem offiziellen Beginn des NATO-Gipfels. Er sei „absolut überzeugt“, dass die Türkei das Beitrittsprotokoll für Schweden nun ratifizieren werde und das Hauptproblem gelöst sei, sagte er. „Dieser Gipfel ist bereits historisch, bevor er begonnen hat.“

Erdogan war am Montag mit dem schwedischen Ministerpräsidenten Kristersson und Stoltenberg zusammengetroffen. Der Frage, wann der NATO-Betritt Schwedens vollzogen sein könnte, wich Stoltenberg in der anschließenden Pressekonferenz zur Verkündung der Zusage Ankaras allerdings aus. Er wiederholte nur, dass es eine klare Zusicherung gebe, die Ratifikationsdokumente dem Parlament zuzuleiten.

Kristersson sprach nach der Zusage der Türkei von einem „sehr großen Schritt“ seines Landes in Richtung NATO-Mitgliedschaft. „Das ist ein guter Tag für Schweden gewesen“, so Kristersson. Er sei sehr froh darüber, dass Erdogan, Stoltenberg und er sich auf eine gemeinsame Erklärung einigen konnten.

Stoltenberg: Türkei für NATO-Beitritt Schwedens

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gibt nach Angaben von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg seine Blockade des Bündnisbeitritts von Schweden auf. Erdogan habe bei einem Treffen mit dem schwedischen Regierungschef Ulf Kristersson zugestimmt, das Beitrittsprotokoll so bald wie möglich dem türkischen Parlament vorzulegen, sagte Stoltenberg bei einer Pressekonferenz in Vilnius.

„Keine weiteren Verpflichtungen eingegangen“

Der schwedische Ministerpräsident betonte zugleich, dass sein Land keine weiteren Verpflichtungen eingegangen sei, sondern lediglich die volle Erfüllung des beim NATO-Gipfel im Vorjahr mit der Türkei und Finnland beschlossenen Abkommens zugesagt habe.

Er gab an, dass es sich bei den zwischen den Ländern vereinbarten Punkten von schwedischer Seite um langfristige Verpflichtungen handle. So schloss Schweden mit der Türkei einen „Sicherheitspakt“ und sagte regelmäßige Treffen und einen „anhaltenden Kampf gegen den Terrorismus“ zu. „Das hier ist also nicht nur etwas, was wir tun, um NATO-Mitglied werden zu dürfen.“

Stoltenberg: „Macht alle Verbündeten stärker und sicherer“

Stoltenberg veröffentlichte auf Twitter ein Foto, das ihn beim Händedruck mit Erdogan und Kristersson zeigt und schrieb von einem „historischen Schritt, der alle NATO-Verbündeten stärker und sicherer macht“.

Überraschend mit EU-Beitrittsgesprächen verknüpft

Im Zuge der Unterredungen war auch noch EU-Ratspräsident Charles Michel mit Erdogan zusammengekommen. Michel teilte daraufhin via Twitter mit, die Beziehungen mit der Türkei beleben zu wollen. Er habe mit Erdogan „Möglichkeiten erörtert, die Zusammenarbeit der EU und der Türkei in den Vordergrund zu rücken und unsere Beziehungen wieder in Schwung zu bringen“, schrieb Michel. Unklar ist, ob Erdogan durch Michels Aussagen in seinen EU-Forderungen zufriedengestellt werden konnte.

Der Grund: Vor seinem Abflug nach Vilnius hatte Erdogan seine Zustimmung überraschend von einer eine Belebung der Beitrittsgespräche der Türkei zur EU abhängig gemacht. „Ebnet zunächst den Weg der Türkei in die Europäische Union, danach ebnen wir den Weg für Schweden, so wie wir ihn für Finnland geebnet haben“, sagte er in Istanbul an die EU-Staaten gerichtet.

Auch Ungarn muss noch ratifizieren

Schweden und Finnland hatten im Mai 2022 unter dem Eindruck des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine die Mitgliedschaft in der NATO beantragt. Finnland ist bereits Anfang April zum 31. Mitglied des Bündnisses geworden. Schweden fehlte dagegen die Zustimmung der Türkei und Ungarns, was in erster Linie an der türkischen Blockadehaltung gelegen hat. Ungarn hatte zuletzt erneut beteuert, sich der Aufnahme Schwedens nicht in den Weg stellen zu wollen, sollte die Türkei grünes Licht geben.

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban hatte erst am Freitag bei einem Besuch in Wien betont, dass seine Regierung den NATO-Beitritt Schwedens unterstütze. Das von Orbans rechtsnationaler FIDESZ kontrollierte Parlament hatte die Ratifizierung der Beitrittsurkunde zuvor aber nicht auf die Tagesordnung der letzten Sitzung vor der Sommerpause gesetzt, aus Sicht Kristerssons entgegen vorherigen Zusicherungen des ungarischen Premiers.

Blockade seit gut einem Jahr

Die türkische Führung blockierte den schwedischen Beitritt seit gut einem Jahr. Sie verwies stets darauf, dass das skandinavische Land nicht ausreichend gegen „Terrororganisationen“ vorgehe – dabei geht es ihr vor allem um die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK. Dass Ende Juni erstmals seit Monaten wieder ein Koran bei einer Demonstration in Stockholm angezündet worden war, belastete das Verhältnis zu Ankara zuletzt zusätzlich.

Stoltenberg hatte am Freitag bei der Ankündigung des Treffens mit Erdogan und Kristersson deutlich gemacht, dass er auf ein Ende der türkischen Blockade setze. Alle weiteren Verzögerungen würden nur von der PKK und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin willkommen geheißen, sagte er.

Biden begrüßt grünes Licht

US-Präsident Joe Biden erklärte in einer ersten Reaktion, er begrüße die Ankündigung. „Ich stehe bereit, mit Präsident Erdogan und der Türkei zusammenzuarbeiten, um die Verteidigung und Abschreckung im Euroatlantik-Raum zu verstärken. Ich freue mich, Regierungschef Kristersson und Schweden als unseren 32. NATO-Verbündeten zu begrüßen. Und ich danke Generalsekretär Stoltenberg für seine standhafte Führung.“

US-Präsident Joe Biden
Reuters/Kevin Lamarque
Biden bei seiner Ankunft in Vilnius

Keine Einigung auf NATO-Perspektive für Kiew

Unterdessen haben die NATO-Mitgliedsstaaten nach Angaben von NATO-Generalsekretär Stoltenberg noch keine endgültige Entscheidung über die Beitrittsperspektive der Ukraine getroffen. Konsultationen über die Bedingungen für den Weg der Ukraine zur NATO-Mitgliedschaft seien weiterhin im Gange, sagte er am Montag in Vilnius nach einem Treffen mit dem litauischen Staatspräsidenten Gitanas Nauseda.

Weiter betonte Stoltenberg, er sei jedoch sicher, dass die Verbündeten beim NATO-Gipfel eine gute, starke und positive Botschaft haben werden. Das zweitägige Spitzentreffen beginnt am Dienstag in Vilnius. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba hatte zuvor auf Twitter eine angebliche Einigung der NATO-Mitglieder begrüßt, nach der die Ukraine auf vereinfachtem Weg ähnlich wie zuvor Finnland dem Militärbündnis beitreten könne. Demnach hätten die NATO-Verbündeten einen Konsens darüber erzielt, auf den Aktionsplan zur Mitgliedschaft zu verzichten.

Stoltenberg sagte auf Nachfrage dazu nur, dass die 31 Verbündeten noch diskutieren und über genaue Formulierungen verhandeln. Daher werde er nicht näher darauf eingehen.

Selenskyj fordert „klares Signal“

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der auf dem NATO-Gipfel als Gast erwartet wird, forderte Montagabend noch ein „klares Signal“. Die Ukraine verdiene es, in der Allianz zu sein, sagte Selenskyj in einer via Telegram veröffentlichten Videobotschaft. „Nicht jetzt, denn jetzt herrscht Krieg, aber wir brauchen ein klares Signal, und dieses Signal wird jetzt gebraucht“, sagte Selenskyj.

NATO-Generalsekretär Stoltenberg sagte, die Mitglieder hätten noch keine endgültige Entscheidung über die Beitrittsperspektive der Ukraine getroffen. Konsultationen über die Bedingungen für den Weg der Ukraine zur NATO-Mitgliedschaft seien weiterhin im Gange.

Duda erwartet keine formelle Einladung an Kiew

Nach Angaben des polnischen Präsidenten Andrzej Duda wird der Gipfel kein Startsignal für die Aufnahme der Ukraine in die Allianz geben. Duda sagte in einem Interview mit „Bild“, „Welt“ und „Politico“: „Ich denke nicht, dass die Ukraine eine Einladung in die NATO bekommen wird im formellen Sinn. Die Einladung ist ja ein entscheidender Schritt zur Mitgliedschaft.“

Der Präsident stellte aber klar: „Ich würde es begrüßen, wenn es eine solche Entscheidung geben würde.“ Duda will in Vilnius dafür werben, dass die NATO-Außenminister bei ihrer Tagung im November mit der Einleitung des Bewertungsverfahrens der Ukraine ein deutliches Zeichen setzen, „dass das Verfahren der Aufnahme begonnen hat.“

Berlin: „Sehr substanzielle“ Ankündigungen

Zuvor war aus deutschen Regierungskreisen verlautet, dass es keine Einladung an die Ukraine, aber „sehr substanzielle“ Ankündigungen beim Gipfel geben werde. Weitere Details wurden nicht genannt. Die Marschflugkörper Taurus mit einer Reichweite von 500 Kilometern, deren Lieferung die Ukraine bereits im Mai beantragt hatte, sollen aber weiterhin nicht geliefert werden. „Da gibt es keine Neuigkeiten zu vermelden, was Taurus angeht“, hieß es. Deutschland ist bereits jetzt zweitwichtigster Waffenlieferant der Ukraine nach den USA.

US-Außenminister Antony Blinken hat unterdessen mit seinem ukrainischen Amtskollegen Kuleba telefoniert. Er habe ein wichtiges Gespräch mit Kuleba im Vorfeld des NATO-Gipfels in dieser Woche geführt, schrieb Blinken am späten Sonntagabend (Ortszeit) auf Twitter. Kuleba teilte ebenfalls auf Twitter mit, das Telefonat mit Blinken sei „produktiv“ gewesen.

NATO-Staaten billigen neue Abwehrpläne gegen Russland

Unterdessen haben sich die NATO-Staaten auf neue Pläne für die Abwehr von möglichen russischen Angriffen auf das Bündnisgebiet verständigt. Die Annahme der Dokumente erfolgte am Montag in einem schriftlichen Verfahren, wie die dpa von mehreren Diplomaten erfuhr. Die Entscheidung soll am Dienstag von den Staats- und Regierungschefs noch einmal bestätigt und dann offiziell verkündet werden.

Die insgesamt mehr als 4.000 Seiten starken Verteidigungspläne beschreiben nach Informationen der dpa detailliert, wie kritische Orte im Bündnisgebiet durch Abschreckung geschützt und im Ernstfall verteidigt werden sollten. Dafür wird auch definiert, welche militärischen Fähigkeiten notwendig sind. Neben Land-, Luft- und Seestreitkräften sind auch Cyber- und Weltraumfähigkeiten eingeschlossen.