Demonstranten blockieren in Jerusalem eine Autobahn
Reuters/Ronen Zvulun
Autobahnblockaden

Großproteste gegen Justizumbau in Israel

In Israel finden neue Großdemonstrationen gegen den von der rechtsreligiösen Regierung vorangetriebenen Justizumbau statt. Demonstrierende blockierten am Dienstag Autobahnen und wichtige Straßen. Die Opposition hatte zu einem Tag des Protests aufgerufen, nachdem das Parlament in der Nacht einen Gesetzesentwurf zur Einschränkung der Befugnisse des Höchstgerichts in erster von drei Lesungen gebilligt hatte.

Demonstriert wurde in Jerusalem, Tel Aviv und Kommunen in der Landesmitte. Die Demonstrierenden schwenkten israelische Fahnen und zündeten Leuchtfeuer. Die Polizei ging teils mit Wasserwerfern und berittenen Einheiten gegen die Protestierenden vor.

Medienberichten zufolge gab es zumindest 66 Festnahmen, die meisten davon in Tel Aviv. Einige der Betroffenen befinden sich wieder auf freiem Fuß. Auf dem internationalen Flughafen Ben Gurion versammelten sich nach Polizeiangaben 10.000 bis 15.000 Demonstrierende.

Demonstranten am Flughafen Ben Gurion in Lod bei Tel Aviv
AP/Tsafrir Abayov
Auch auf dem internationalen Flughafen Ben Gurion versammelten sich Tausende Demonstrierende

Die Protestwelle ist auch in Teilen der Armee zu spüren. 300 Reservistinnen und Reservisten der Abteilung für Cyberabwehr seien am Dienstag nicht zum Dienst erschienen, berichteten israelische Medien. Zudem werden rund 200 Reservistinnen und Reservisten der Luftstreitkräfte mit Vertreterinnen und Vertretern der Protestbewegung zusammentreffen.

Scharfe Kritik an Regierungsplänen

Die Massenproteste gegen den Justizumbau halten bereits seit Monaten an. Die Pläne der Regierung sehen unter anderem eine Beschränkung der richterlichen Macht gegen Regierungsentscheidungen vor. Die Opposition lehnt das als einen gefährlichen Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz ab. Zudem kritisiert sie, dass damit Korruption und Machtmissbrauch Tür und Tor geöffnet werde.

Regierung treibt Pläne voran

Netanjahu, der selbst wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht steht, war Ende Juni den Gegnern der Reform entgegengekommen und hatte angekündigt, den umstrittensten Teil fallen zu lassen. Dieser hätte es dem Parlament ermöglicht, Urteile des Obersten Gerichtshofs aufzuheben.

Netanjahu blieb am Montag bei der Debatte vor der Abstimmung in der Knesset bei seiner Haltung und argumentierte mit einer unverhältnismäßigen Einmischung der Justiz in politische Entscheidungen. „Es ist nicht das Ende der Demokratie, es stärkt die Demokratie“, sagte der Premier. „Auch nach der Änderung werden die Unabhängigkeit des Gerichts und die Bürgerrechte in Israel in keiner Weise beeinträchtigt werden. Das Gericht wird weiterhin die Rechtmäßigkeit von Regierungsmaßnahmen und Ernennungen überwachen.“

Israel: Heftige Proteste gegen Justizreform

In der Nacht auf Dienstag wurde in Israel ein Kernelement der umstrittenen Justizreform im Parlament durchgebracht. Dagegen gibt es nun wieder heftige Proteste.

Wegen der Massenproteste hatte Netanjahu das Vorhaben Ende März vorerst auf Eis gelegt. Ein Kompromiss mit der Opposition unter Vermittlung von Präsident Isaak Herzog kam nicht zustande. Ende Juni setzten die beiden wichtigsten Oppositionspolitiker Jair Lapid und Benni Ganz ihre Teilnahme an den Gesprächen aus. Im Parlament stimmte die Opposition am Montag geschlossen gegen den Umbau der Justiz.

Über Angemessenheitsklausel abgestimmt

Bei der Abstimmung in erster Lesung ging es um die Angemessenheitsklausel, von der die Richter und Richterinnen dem Gesetzesentwurf zufolge künftig keinen Gebrauch mehr machen können. Das könnte Auswirkungen auf die Ernennung von Ministerinnen und Ministern haben.

Demonstrant diskutiert mit einem Polizisten auf einem Pferd
Reuters/Nir Elias
Am Dienstag kam es in Israel erneut zu landesweiten Massenprotesten

Anfang des Jahres hatte sich das Höchstgericht gegen die Ernennung von Netanjahus Wunschminister Arie Deri gestellt. Die Richterinnen und Richter hatten argumentiert, die Ernennung zum Innen- und Gesundheitsminister sei wegen Deris mehrfacher Verurteilungen, unter anderem wegen Korruption und Steuerhinterziehung, „unangemessen“ und daher ungültig. Netanjahu war daraufhin gezwungen gewesen, Deri zu entlassen, hatte dem Gericht aber Missachtung des Wählerwillens vorgeworfen.

Weitere strittige Abstimmungen im Herbst

Weiteres Ziel der Regierungspläne ist, der Politik mehr Einfluss bei der Ernennung von Richterinnen und Richtern zu geben. Dieses Kernvorhaben der Reform soll Medienberichten zufolge in der nächsten Sitzungsperiode im Herbst auf die Agenda gesetzt werden.

Der Staat Israel hat keine schriftliche Verfassung und fußt stattdessen auf einer Sammlung von Grundgesetzen. Daher kommt dem Höchstgericht eine besondere Bedeutung bei der Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zu.

Aufrufe zur Deeskalation

Präsident Herzog rief die Parteien zur Deeskalation und zum Dialog auf: „Wir befinden uns am Höhepunkt einer tiefen, besorgniserregenden Krise.“ Der Vorsitzende des Dachverbands der Gewerkschaften (Histadrut) forderte von Netanjahu, das „wahnsinnige Chaos“ zu beenden. „Wenn die Situation ein Extrem erreicht und alle anderen Wege ausgeschöpft sind, werden wir eingreifen und unsere Macht nutzen“, drohte Arnon Bar-David.

Protestierende blockieren Autobahn in Tel Aviv

In Tel Aviv haben Demonstrierende aus Protest gegen einen Gesetzesentwurf für den geplanten Justizumbau, der in einer ersten Lesung vom Parlament gebilligt wurde, die Autobahn blockiert. Die Polizei setzte Wasserwerfer ein, um die Demonstration aufzulösen. Mehrere Menschen wurden verhaftet.

Die Histadrut mit rund 800.000 Mitgliedern hatte Ende März wegen einer kurzzeitigen Entlassung von Verteidigungsminister Joav Galant durch Netanjahu zu einem Generalstreik aufgerufen. Galant hatte zuvor das Vorgehen beim Umbau der Justiz öffentlich kritisiert. Netanjahu setzte damals das Vorhaben aus, Galants Entlassung wurde später rückgängig gemacht.

„Ausdruck aktiv gelebter Demokratie“

Auch die USA und internationale Verbündete Israels äußerten Bedenken. In einer Stellungnahme des österreichischen Außenministeriums hieß es am Dienstag, Israel genieße als „stabile und gefestigte Demokratie in einer von Spannungen geprägten Region einen besonderen Ruf“. Man sei überzeugt, dass sich die israelische Regierung dessen bewusst sei „und dieses Alleinstellungsmerkmal als Demokratie nicht leichtfertig aufs Spiel setzt“. Gewaltenteilung und eine unabhängige Justiz seien das „Rückgrat einer Demokratie“.

Zugleich seien die anhaltenden Proteste in Israel „auch Ausdruck einer besonders aktiv gelebten Demokratie und Bürgerbeteiligung“, hieß es aus dem Außenministerium. Auch wenn Vermittlungsversuche zwischen Regierung und Opposition bisher nicht gefruchtet hätten, müsse „eine tragbare und konstruktive Lösung gefunden werden, die diese Prinzipien respektiert“. Das betone Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) auch regelmäßig in seinen Gesprächen mit seinem israelischen Amtskollegen Eli Kohen.