NATO-Emblem neben ukrainischer Flagge
Reuters/Valentyn Ogirenko
Ukraine zu NATO

Beitrittsperspektive unter Vorbehalt

Die NATO-Staaten haben sich darauf verständigt, der Ukraine nach Ende des russischen Angriffskriegs grundsätzlich eine Aufnahme in die transatlantische Allianz zu ermöglichen. Das werde geschehen, wenn die Alliierten der Ansicht seien, dass die Bedingungen dafür erfüllt seien, heißt es in der Abschlusserklärung des NATO-Gipfels in Vilnius.

Eine entsprechende Einladung zum Beitritt werde in diesem Fall erfolgen, heißt es weiter. Ein konkreter Zeitplan wird in dem Dokument nicht genannt. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg betonte aber, dass das Bündnis dann im Fall der Ukraine auf den sonst üblichen Membership Action Plan (MAP) zur Heranführung von Beitrittskandidaten verzichten werde.

In dem Text heißt es: „Die Zukunft der Ukraine ist in der NATO. Wir bekräftigen unsere auf dem Gipfeltreffen 2008 in Bukarest eingegangene Verpflichtung, dass die Ukraine ein Mitglied der NATO wird (…).“ Zu einer Einladung der Ukraine zu einem Bündnisbeitritt wird die NATO der Erklärung zufolge allerdings erst in der Lage sein, „wenn die Verbündeten sich einig und Voraussetzungen erfüllt sind“. Als konkrete Beispiele werden „zusätzliche erforderliche Reformen im Bereich der Demokratie und des Sicherheitssektors“ genannt.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg
AP/Mindaugas Kulbis
Einen klaren Zeitplan für den Beitritt legte die Militärallianz unter Stoltenbergs Führung nicht fest

Vorbehalte bleiben

Mit der Einschränkung wird auf die Vorbehalte von Ländern wie Deutschland und den USA eingegangen. Sie hatten in den Verhandlungen darauf gedrängt, dass ein NATO-Beitritt weiter an die Erfüllung von Bedingungen geknüpft sein sollte. So muss nach Bündnisstandards zum Beispiel das Militär einer zivilen und demokratischen Kontrolle unterliegen.

Um die Beitrittsperspektive für die Ukraine hatte es im Bündnis wochenlang Streit gegeben. So unterstützen insbesondere östliche Bündnismitglieder den Wunsch der Ukraine, beim Gipfel eine formelle Einladung zu erhalten, nach einem Ende des russischen Angriffskriegs beizutreten. Sie konnten sich am Ende allerdings nicht gegen Länder wie Deutschland und die USA durchsetzen.

NATO: Keine Einladung für Ukraine

Die NATO spricht der Ukraine in Vilnius zwar keine offizielle Einladung zum Beitritt aus, verspricht aber neue Militärhilfe. Nach Ende des russischen Angriffskriegs soll die Aufnahme der Ukraine in die transatlantische Allianz möglich sein. Für Schweden hingegen wurde die Hindernisse für eine NATO-Mitgliedschaft aus dem Weg geräumt.

NATO-Ukraine-Kommission wird aufgewertet

Als weiterer Grund für die ausgebliebene Einladung gelten Sorgen vor einer unberechenbaren Reaktion Russlands, das mit seinem Krieg gegen die Ukraine einen NATO-Beitritt des Landes zu verhindern versucht. Als Kompromiss einigten sich die NATO-Staaten nun darauf, der Ukraine zu versprechen, vor der angestrebten Aufnahme nicht auf das übliche Heranführungsprogramm zu bestehen. „Das wird den Beitrittsprozess für die Ukraine von einem zweistufigen Prozess zu einem einstufigen machen“, erklärte Stoltenberg bereits kurz vor Beginn des Treffens.

Zudem will die NATO die Zusammenarbeit mit der Ukraine schon jetzt deutlich ausbauen. Dafür wird die bestehende NATO-Ukraine-Kommission zu einem NATO-Ukraine-Rat aufgewertet. Das soll es ermöglichen, auf Augenhöhe Schlüsselfragen der Sicherheit zu diskutieren und auch gemeinsam Entscheidungen zu treffen. Die Kommission wurde vor allem eingerichtet, um Reformen zu diskutieren, die für einen Beitritt zur westlichen Militärallianz notwendig sind.

Der neue Rat soll nun zum ersten Mal am Mittwoch beim Gipfel auf Ebene der Staats- und Regierungschefs tagen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wird dann dort gleichberechtigt mit den Staats- und Regierungschefs der 31 NATO-Staaten zusammensitzen.

Ukrainischer Präsident Selenskyj bei Rede
Reuters/Kacper Pempel
Selenskyj ließ sich in Vilnius von Tausenden feiern

Selenskyj forderte „klares Signal“

Stoltenberg betonte, es habe noch „nie eine stärkere Sprache der NATO zur Mitgliedschaft“ der Ukraine gegeben. Er reagierte damit auf Kritik von Selenskyj. Dieser hatte zuvor ein „klares Signal“ für einen Beitritt von dem NATO-Gipfel gefordert. Auf Telegram schrieb er: „Es ist beispiellos und absurd, wenn es keinen Zeitplan gibt, weder für die Einladung noch für die Mitgliedschaft der Ukraine.“

Vor Tausenden Menschen in Vilnius am Rande des NATO-Gipfels bekräftigte Selenskyj am Abend seine Forderung nach einer NATO-Mitgliedschaft. „Die NATO gibt der Ukraine Sicherheit. Die Ukraine macht die NATO stärker“, sagte Selenskyj auf einem Platz im Zentrum der litauischen Hauptstadt. Selenskyj sagte, er habe die Reise im Glauben an die Partner der Ukraine und an eine „starke NATO“ angetreten. „Eine NATO, die nicht zweifelt, keine Zeit verschwendet und sich nicht zu irgendeinem Angreifer umblickt.“

„Ich bin unseren Partnern dankbar für die Bereitschaft, neue Schritte zu ergreifen. Mehr Waffen für unsere Soldaten bedeuten mehr Schutz für das Leben aller in der Ukraine“, sagte Selenskyj. „Wir werden neue bedeutende Verteidigungsinstrumente mit in die Ukraine bringen.“ Am Mittwoch setzt die NATO ihr Gipfeltreffen fort. Stoltenberg wird dabei Bilanz ziehe, Selenskyj auf eine weitere Stärkung der Verteidigungsfähigkeit seines Landes drängen.

NATO will Militärausgaben aufstocken

Bei ihrem Gipfeltreffen beschlossen die NATO-Staaten zudem, künftig „mindestens zwei Prozent“ ihrer Wirtschaftsleistung für Militärausgaben aufzuwenden. Die Verbündeten der Allianz seien eine „dauerhafte Verpflichtung“ zu diesem Ziel eingegangen, sagte Stoltenberg. Derzeit erreichten elf Bündnisstaaten dieses Ziel. Im kommenden Jahr werde sich die Zahl der Mitgliedstaaten, die das Ziel erreichen, beständig erhöhen.

Grundsätzlich wollen die NATO-Staaten der Ukraine „so lang wie nötig“ weiter Unterstützung leisten. „Wir stehen unerschütterlich zu unserem Bekenntnis, die politische und praktische Unterstützung für die Ukraine weiter zu erhöhen, während diese ihre Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Unversehrtheit innerhalb ihrer international anerkannten Grenzen verteidigt“, heißt es in dem Text.

Langer Weg zur NATO

Nach dem Zerfall der Sowjetunion hatte sich die Ukraine ursprünglich als blockfreier Staat deklariert, doch mit der von Kiew unterstützten Erweiterung der NATO in Osteuropa entwickelte sich auch dort der Wunsch nach einem Beitritt. Auf dem Gipfel der Militärallianz 2008 in Bukarest hatten sich Deutschland und Frankreich zwar gegen eine Mitgliedschaft der Ukraine ausgesprochen. Dennoch wurde dem Land eine Beitrittsperspektive gewährt.

Stoltenberg: Putin „bekommt mehr NATO“

Mit Beratungen über die weitere Unterstützung der Ukraine und den Ausbau der Verteidigung gegen Russland hat ein zweitägiger NATO-Gipfel in Litauen begonnen. Die Ukraine sollte nach Auffassung von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg jetzt ein deutliches Signal für eine Aufnahme in die transatlantische Allianz erhalten. Der jüngste Beschluss über den Bündniseintritt Schwedens sei zudem auch ein klares Signal an Russlands Präsidenten Wladimir Putin. „Er zog in den Krieg, weil er weniger NATO wollte – er bekommt mehr NATO“, so Stoltenberg weiter vor Medienvertretern in Vilnius.

Seit 2019 hat Kiew das Ziel des NATO-Beitritts in der Verfassung verankert. Russland hat den 2022 begonnenen Angriffskrieg gegen das Nachbarland auch immer wieder damit gerechtfertigt, den NATO-Beitritt der Ukraine zur eigenen Sicherheit verhindern zu müssen.

Moskau droht

Russland bleibt bei seiner scharfen Ablehnung eines Beitritts. Ein beschleunigter Beitritt der Ukraine zur NATO birgt nach Darstellung des Kreml hohe Sicherheitsrisiken für Europa. „Potenziell ist das sehr gefährlich für die europäische Sicherheit“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Dienstag der Nachrichtenagentur Interfax zufolge.

US-Präsident Joe Biden lobte indessen Stoltenberg für dessen Führung. In diesem kritischen Moment für die Ukraine und die gesamte NATO sei es wichtig, dass Stoltenberg die NATO auch weiterhin anführe, sagte Biden am Dienstag vor einem Treffen mit dem Generalsekretär in Vilnius. „Man vertraut Ihnen. Niemand kennt die Situation, mit der wir konfrontiert sind, besser als Sie“, sagte er an Stoltenberg gerichtet.

Ja zu Schweden-Beitritt

Am Vorabend hatte es Bewegung im festgefahrenen Streit über die NATO-Mitgliedschaft Schwedens gegeben. Mit dem Ende der türkischen Blockade dagegen sieht Stoltenberg das Bündnis nun insgesamt gestärkt. Die mit Präsident Recep Tayyip Erdogan am Vorabend getroffene Übereinkunft stärke die Verteidigung des Bündnisses deutlich und sei auch im Interesse der Türkei selbst, sagte Stoltenberg. Er sei „absolut überzeugt“, dass die Türkei das Beitrittsprotokoll für Schweden ratifizieren werde und das Hauptproblem gelöst sei, sagte er.

Angesichts der grundsätzlichen Zustimmung der Türkei will auch Ungarn das Beitrittsprotokoll für Schweden billigen. „Der Abschluss des Ratifizierungsprozesses ist eine rein technische Frage“, schrieb der ungarische Außenminister Peter Szijjarto auf seiner Facebook-Seite. Ungarn ist neben der Türkei das einzige NATO-Land, das den Beitritt Schwedens bisher noch nicht ratifiziert hat.

Putin bekommt „mehr NATO“

Stoltenberg wertete die Erweiterung des Verteidigungsbündnisses als Zeichen für ein Scheitern der Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin. „Er zog in den Krieg, weil er weniger NATO wollte. Er bekommt mehr NATO“, sagte er. Dass Finnland schon Mitglied sei und Schweden nun Mitglied werde, zeige, dass Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine ein „großer strategischer Fehler“ gewesen sei. Er habe sowohl die Ukrainer und die Geschlossenheit der NATO als auch die politischen Konsequenzen in Ländern wie Schweden und Finnland unterschätzt.