Europäisches Parlament in Strassburg
ORF.at/Florian Bock
Mit knapper Mehrheit

EU-Parlament für Renaturierungsgesetz

Am Mittwoch haben die EU-Abgeordneten in Straßburg mit knapper Mehrheit für den Gesetzesvorschlag der EU-Kommission zur Wiederherstellung der Natur abgestimmt. Für das Renaturierungsgesetz stimmten 336 EU-Abgeordnete, dagegen waren 300. Neben den rechten Parteien lehnte auch die EVP den Entwurf, der ein zentrales Element des „Green Deal“ der EU-Kommission ist, ab.

Mit der Zustimmung des Parlaments können nun die Verhandlungen mit den ebenfalls beteiligten EU-Staaten beginnen. Diese hatten sich vor gut drei Wochen auf eine Position zu dem Vorhaben verständigt. Nun muss noch ein endgültiger Kompromiss gefunden werden, damit die neuen Vorgaben in Kraft treten können.

Kaum ein Gesetzesvorhaben der vergangenen Zeit hatte im Vorfeld für einen derart heftigen Schlagabtausch gesorgt. Das zeigte sich im Juni auch im Umweltausschuss des EU-Parlaments. 44 zu 44 ging die Abstimmung im Ausschuss aus – was ob einer fehlenden Mehrheit einer Ablehnungsempfehlung für das Parlamentsplenum gleichkam.

EVP als treibende Kraft dagegen

Vor allem die Europäische Volkspartei (EVP), zu der die ÖVP gehört, wetterte gegen das Vorhaben. Sozialdemokraten, Grüne und Teile der Liberalen warben hingegen dafür. Auch äußerten Tausende Wissenschaftler, Umweltschutzorganisationen und teils sogar große Konzerne wie IKEA und Nestle ihre Unterstützung.

Entsprechend stimmten die EU-Abgeordneten von SPÖ, Grünen und NEOS für den Gesetzesentwurf. Auch ÖVP-Mandatar Othmar Karas sprach sich dafür aus, während seine Parteikollegen sowie die EU-Parlamentarier der FPÖ dagegen votierten.

EU-Parlament stimmt für Renaturierungsgesetz

Das Europäische Parlament hat am Mittwoch für die Verabschiedung des EU-Gesetzes zur Wiederherstellung der Natur gestimmt.

Demonstrationen beider Seiten in Straßburg

Noch am Dienstag standen einander in Straßburg vor dem EU-Parlament Befürworter und Gegner der Gesetzespläne lautstark gegenüber: auf der einen Seite „Fridays for Future“ mit Greta Thunberg in ihrer Mitte, auf der anderen Seite Bäuerinnen und Bauern, die vor „sinnlosen Gesetzen“ warnten.

Die Gegner des Gesetzes konnten neben den rechtsnationalen Parteien auch die größte Fraktion im EU-Parlament hinter sich wissen. Die EVP unter ihrem Vorsitzenden Manfred Weber (CSU) war in den vergangenen Wochen lautstark in Opposition zu dem Gesetzesvorhaben der EU-Kommission gegangen.

Der ÖVP-EU-Abgeordnete Alexander Bernhuber bezeichnete das Ergebnis der Abstimmung als „inhaltliche Fehlentscheidung“ und forderte die EU-Kommission in einer Aussendung einmal mehr auf, den Gesetzesvorschlag noch einmal zurückzuziehen.

„Wir bleiben dabei: Wir sind für die Wiederherstellung ökologischer Lebensräume und machen das vielfach bereits. Aber wir müssen dieses Gesetz richtig machen: Der Vorschlag der Kommission würde zu einem Rückgang der land- und forstwirtschaftlichen Flächen führen, weil Produktionsflächen nicht mehr genutzt werden dürften. Das bedeutet nicht nur einen massiven Eingriff in das Eigentum der Grundbesitzer, sondern auch, dass wir aus Nicht-EU-Staaten Lebensmittel importieren müssten“, so Bernhuber.

Menschen bei einer Dmeonstration vor dem EU-Parlament in Strassburg
Reuters/Greens/Efa Group
Noch einen Tag vor der Abstimmung wurde in Straßburg lautstark für das Gesetz demonstriert – aber auch dagegen

Der ÖVP-EU-Abgeordnete Othmar Karas appellierte noch am Mittwoch an die EU-Kommission, einen überarbeiteten Vorschlag zum EU-Renaturierungsgesetz vorzulegen. „Die verkürzte Darstellung, dass es bei der heutigen Abstimmung um ein Ja oder Nein des EU-Parlaments zur Renaturierung geht, ist falsch“, so Karas. Biodiversität und der „Green Deal“ würden vom EU-Parlament nicht infrage gestellt. Aber die „Debatte ist völlig entgleist“, so Karas. Er sehe keine Chance auf einen Kompromiss.

Verhärtete Fronten im EU-Parlament

Der SPÖ-EU-Abgeordnete Günther Sidl nannte die Abstimmung „eine echte Zitterpartie“. Jetzt könne man „endlich erleichtert aufatmen. Der errungene Sieg ist ein echter Sieg für die Natur und unsere Zukunft. Heute ging es um weit mehr als nur ein einziges Gesetz: Das Renaturierungsgesetz wurde von der Europäischen Volkspartei in Geiselhaft genommen und stand stellvertretend für den Versuch der Aufkündigung des gesamten ,Green Deal‘. Dabei ging es schon lange nicht mehr um Inhalte, sondern um reine Wahlkampfstrategie auf Kosten unserer Umwelt.“

Europäischer „Green Deal“

Der Europäische „Green Deal“ sieht vor, dass die EU-weiten Emissionen bis 2050 auf null reduziert werden. Das Ziel ist rechtlich verbindlich im EU-Klimagesetz verankert. Bis 2030 sollen die Nettotreibhausgasemissionen um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden.

Die FPÖ-Delegation hätte nach eigenen Angaben jeglichen Vorschlag abgelehnt. Das Vorhaben enteigne Bauern und verursache Nahrungsmittelknappheit, warnte der freiheitliche Europaparlamentarier Roman Haider. Mit dem Ergebnis sei es nun ein „schwarzer Tag für Europa und seine Bürger“. Es sei „ein schwerer Schlag gegen die Ernährungssicherheit und die Agrarwirtschaft in Europa“, so Haider.

Der grüne EU-Abgeordnete Thomas Waitz zeigte sich hingegen erfreut, „dass trotz der ÖVP-Desinformationskampagne gegen Umweltschutz eine progressive Mehrheit das Gesetz weitergebracht hat“. Das Gesetz sei „für unser aller Überleben wichtig“. Laut Waitz geht es dabei „nicht nur um Lebensräume von Tieren und Insekten oder Naherholungsgebiete für Menschen, sondern auch um den Schutz vor Umweltkatastrophen und um zeitnahe Klimaanpassungsmaßnahmen“.

NEOS-Europaabgeordnete Claudia Gamon begrüßte die Einigung. „Die Renaturierung ist ein großer, wichtiger Schritt für Europa, für einen gemeinsamen Kraftakt aller EU-Länder, um den Zusammenbruch von Ökosystemen und die damit verbundenen katastrophalen Auswirkungen auf uns alle zu verhindern. Wir freuen uns sehr, dass es den Blockierern, zu denen vor allem die Europäische Volkspartei und somit auch die ÖVP gehören, nicht gelungen ist, unseren Kampf gegen die drohende Klimakatastrophe zu sabotieren."

Gewessler und Umweltschutzorganisationen erfreut

Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) begrüßte das Votum des EU-Parlaments. „Das EU-Gesetz zur Renaturierung ist ein wichtiger Schritt zum Schutz unserer Umwelt. Es sorgt dafür, dass wir der Natur wieder Platz zum Entfalten zurückgeben und darauf achten, dass wir nicht immer mehr Flächen zerstören und zubetonieren, sondern sie schützen“, teilte Gewessler laut Aussendung nach der Abstimmung mit. Sie zeigte sich zuversichtlich, dass man in den bevorstehenden Verhandlungen zwischen EU-Parlament, EU-Rat und EU-Kommission zu einem raschen Abschluss komme.

Erfreut über den Ausgang der Abstimmung zeigten sich auch die Umweltorganisationen. „Die Abstimmung im EU-Parlament über das Renaturierungsgesetz zeichnet den heutigen Tag als bedeutenden Meilenstein für die Natur und die Menschen in Europa. Mit dem Gesetz können wichtige Lebensräume für bedrohte Tier- und Pflanzenarten wiederhergestellt, das Klima verbessert und so letztendlich eine gesunde Natur als wertvolle Lebensgrundlage für uns alle gesichert werden“, sagte Olivia Herzog, Biodiversitätsexpertin bei Greenpeace in Österreich.

„Auch wenn der Gesetzesvorschlag geschwächt wurde, ist das ein Meilenstein. Die Wiederherstellung der Natur ist eine der wichtigsten Aufgaben unserer Generation“, sagte WWF-Biodiversitätssprecher Joschka Brangs. „Der Anschlag der Europäischen Volkspartei auf den Schutz von Umwelt und Natur ist gescheitert“, kommentierte die Umweltschutzorganisation Global 2000. „Das Europaparlament hat mit der Zustimmung zum EU-Renaturierungsgesetz der von Falschdarstellungen und ‚Fake News‘ geprägten Desinformationskampagne der Europäischen Volkspartei eine klare Absage erteilt.“

Gegen menschengemachten Klimawandel

Laut der EU-Kommission soll das Gesetzesvorhaben die Biodiversität verbessern und damit auch dem menschengemachten Klimawandel entgegenwirken. Über 80 Prozent der geschützten Lebensräume in der EU befinden sich nach Angaben der Kommission in einem schlechten Zustand. Der Gesetzesvorschlag sieht vor, bis 2030 mindestens 20 Prozent der Flächen und Meeresgebiete in der EU zu renaturieren. Bis 2050 sollen alle Ökosysteme, die einer Renaturierung bedürfen, wiederhergestellt werden. Dabei ist es – wie so oft in der EU-Gesetzgebung – an den Mitgliedsstaaten selbst, die entsprechenden Maßnahmen zu erarbeiten.

Allerdings sollen die Vorgaben explizit nicht nur Naturschutzgebiete betreffen, sondern auch bewirtschaftete Flächen wie Wälder, Felder und auch städtische Gebiete. So soll etwa die Grünfläche in den Städten in den kommenden drei Jahrzehnten um fünf Prozent anwachsen. Der Einsatz von Pestiziden soll stark reduziert und in „empfindlichen Gebieten“ gänzlich verboten werden. Monokulturen sollen zurückgedrängt und entwässerte, landwirtschaftlich genutzte Moorgebiete wiederhergestellt werden.

Österreich hatte sich im Juni bei der Abstimmung im EU-Umweltministerrat der Stimme enthalten. Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) begründete das mit der Haltung der Bundesländer, die in Österreich für Umweltschutz zuständig sind. Die neun Länder hatten sich im Vorfeld geschlossen gegen die Pläne der EU-Kommission gestellt.