Milan Kundera
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1929–2023

Milan Kundera ist tot

Der tschechische Schriftsteller Milan Kundera ist tot. Er sei sei am Dienstag mit 94 Jahren nach langer Krankheit gestorben, sagte die Sprecherin der Milan-Kundera-Bibliothek in seinem Geburtsort Brno, Anna Mrazova, am Mittwoch der Nachrichtenagentur AFP. Kundera war mit dem Roman „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ von 1984 weltberühmt geworden.

Seine Bücher wurden in alle Weltsprachen übersetzt und millionenfach verkauft. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen wie den Prix Medicis, den Ritterorden der französischen Ehrenlegion und den Jerusalem-Preis. Kundera, der 1929 in Brno geboren wurde, entstammte einer gebildeten Familie und trat im Alter von 18 Jahren wie viele seiner Generation mit Begeisterung der Kommunistischen Partei bei. Er schrieb Gedichte auf Stalin.

Seinen ersten großen Prosaerfolg feierte er mit losen Erzählungen über die „lächerliche Liebe“. Sie zeigten ungleiche Liebespaare in grotesken Situationen. Mit dem Stalinismus setzte sich Kundera in seinem Roman „Der Scherz“ auseinander. Später wurde er zu einem prominenten Vertreter der sozialistischen Demokratiebewegung des Prager Frühlings.

Mysterien der menschlichen Existenz im Fokus

In seinen Romanen spürte der französisch-tschechische Weltbürger den großen und kleinen Mysterien der menschlichen Existenz nach. Immer wieder konfrontierte er seine Leserinnen und Leser mit bedeutungsschweren Fragen wie: „Was also soll man wählen? Das Schwere oder das Leichte?“ Oder: „Aber war es Liebe?“

Sein Rang als Klassiker der Weltliteratur schien zementiert, seit sein Werk in der prestigeträchtigen französischen Edition „La Pleiade“ (Siebengestirn) erschienen war. Zu Lebzeiten wurde diese Ehre bisher nur wenigen anderen Autoren und Autorinnen zuteil.

Milan Kundera
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Milan Kundera im Jahr 2010 – der Schriftsteller wurde mit dem Roman „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ berühmt

Verfilmung machte Kundera international berühmt

Paradoxerweise war es eine Verfilmung, die Kundera endgültig den Weg zu internationaler Berühmtheit bahnte. Der Regisseur Philip Kaufman brachte „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ 1988 mit den Filmstars Daniel Day-Lewis und Juliette Binoche auf die Leinwand. Die erotische wie tragische Liebesgeschichte zwischen dem Chirurgen Tomas und der Kellnerin Teresa vor dem Hintergrund der Niederschlagung des Prager Frühlings berührte viele Menschen – und spielt vor dem Hintergrund seiner eigenen Geschichte.

Kundera selbst, einst Mitglied der Kommunistischen Partei, fiel nach dem Warschauer-Pakt-Einmarsch in die Tschechoslowakei 1968 in Ungnade. Die KP in der damaligen CSSR hatte Kundera 1970 aus ihren Reihen ausgeschlossen, kurze Zeit später wurde er mit einem Publikationsverbot belegt. 1975 zog er mit seiner Frau, der Fernsehansagerin Vera, nach Frankreich, 1979 wurde ihm die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft entzogen. 1981 erhielt er dann die französische.

Milan Kundera ist gestorben

Der tschechische Schriftsteller Milan Kundera ist tot. Er starb am Dienstag mit 94 Jahren nach langer Krankheit. Mit seinem Roman „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“, der auch verfilmt wurde, gelang ihm Mitte der 1980er Jahre der internationale Durchbruch.

Schwieriges Verhältnis zu Tschechien

Ab 1993 schrieb Kundera seine Bücher in französischer Sprache. Zu seiner früheren Heimat unterhielt er nur beschränkte Kontakte und erlaubte auch Übersetzungen seiner Bücher in die tschechische Sprache nicht. 2019 wurde Kundera wieder tschechischer Staatsbürger. Die Initiative dafür ging auf den früheren frankophilen Regierungschef Andrej Babis zurück, der den Autor in Paris besucht hatte. Seinem zentralen Thema, dem Leben im Exil, widmete sich Kundera in vielen seiner Bücher.

Milan Kundera Buchhandlung in Brno
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Die Milan-Kundera-Bibliothek in Brno

„Ich glaube, dass Bücher in die Bibliothek gehören“

Im Jahr 2020 überließ er seine Privatbibliothek und sein Archiv der Mährischen Landesbibliothek in Brno, die heuer schließlich eingeweiht wurde. „Ich glaube, dass Bücher in die Bibliothek gehören, also ist es logisch, dass ich sie der Mährischen Landesbibliothek schenke“, sagte Kundera damals. Doch noch im selben Jahr sorgte eine neue Biografie über den Starautor für reichlich Gesprächsstoff, da deren Autor Jan Novak darin das politische Leben Kunderas vor seiner Emigration kritisch in den Blick nahm.

TV-Hinweis

In Erinnerung an Milan Kundera zeigt „kulturMontag“ am Montag um 23.15 Uhr in ORF2 das Porträt „Milan Kundera – Die Ironie des Seins“.

Kunderas Frühwerk wie die intimen Gedichte der „Monologe“ von 1957 und das Theaterstück „Die Schlüsselbesitzer“, 1963 in Tschechien mit dem Staatspreis ausgezeichnet, gehören nicht zum Kanon. Kunderas letzter Roman „Das Fest der Bedeutungslosigkeit“ erschien 2015 auch auf Deutsch. Der Autor blieb sich selbst treu: Der Leser beobachtet vier ältere Herren auf ihren Streifzügen durch Paris, während sie über den Philosophen Hegel nachdenken und Theorien über die Erotik des weiblichen Bauchnabels aufstellen. Die Kritiken reichten vom „Alterswerk eines großen Autors“ bis zu „langweilig, unlebendig, ausgedacht und leer“.

Immer wieder wurde er auch als Kandidat für den Literaturnobelpreis genannt. Auch in Österreich wurde Kunderas Oeuvre geschätzt, für das er unter anderem 1987 den Österreichischen Staatspreis für europäische Literatur erhielt.

Große Trauer

Die Trauer um den Schriftsteller ist groß – mehrere tschechische Politiker würdigten Kundera am Mittwoch. Er habe mit seinem Werk ganze Generationen von Leserinnen und Lesern auf allen Kontinenten erreicht und Weltruhm erlangt, schrieb der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala am Mittwoch auf Twitter.

Ex-Ministerpräsident Babis erinnerte sich an eine Begegnung in Paris vor einigen Jahren: „Ich habe ihn als einen großartigen Menschen kennengelernt, der die Tschechische Republik mit seinem Werk wie kein anderer berühmt gemacht hat“, sagte er der Agentur CTK.

Die Weltliteratur habe einen ihrer markantesten Gegenwartsautoren verloren, merkte der tschechische Kulturminister Martin Baxa an: „Sein Nachdenken über die Grundwerte der europäischen Kultur, sein Interesse am Einzelnen, sein Beitrag zur Geschichte des Romans sind und bleiben unübersehbar.“

Schweigeminute im EU-Parlament

Das EU-Parlament gedachte des verstorbenen Schriftstellers mit einer Schweigeminute. Kundera habe die europäische Einheit verkörpert und den kommunistischen Totalitarismus angeprangert, sagte der Antragsteller, der französische Europaabgeordnete Bernard Guetta, zur Begründung.

Auch das Abgeordnetenhaus in Prag hielt eine Gedenkminute ab. Kunderas Verleger Jo Lendle verabschiedete sich von ihm mit den Worten: „Milan Kunderas Werk zeigt den Menschen in seiner Schönheit und in seinem Schrecken. Die Literatur des 20. Jahrhunderts wäre unvollständig ohne ihn.“

Österreichs Grünen-Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer betrauerte in einer Aussendung den Verlust eines Schriftstellers „europäischen Rangs“: „Sein unüberhörbares und uneingeschränktes Bekenntnis zu Europa und sein Ausdruck der Achtung für Demokratie und Freiheit sind in Zeiten, in denen das Selbstverständnis dieser Werte gefährdet ist, unverzichtbar.“