Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj
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NATO-Gipfel

Licht und Schatten für Ukraine

Der NATO-Gipfel in der litauischen Hauptstadt Vilnius hat für die Ukraine Licht und Schatten gebracht. Zum einen kündigten die G-7-Staaten eine langfristige Sicherheitspartnerschaft mit dem Land an, das von Russland angegriffen wurde. Zum anderen konnten sich die NATO-Staaten nicht auf einen klaren Beitrittsweg der Ukraine einigen. Für Russland hatte das Militärbündnis aber eine klare Botschaft.

Monatelang hatte Selenskyj darauf gedrängt, dass sein Land in Vilnius von der NATO für die Zeit nach dem Krieg eine offizielle Einladung zum Beitritt bekommt. Staats- und Regierungschefs verhinderten das allerdings. In der Gipfelerklärung heißt es zwar: „Die Zukunft der Ukraine ist in der NATO.“ Eine Einladung sei aber erst möglich, „wenn die Verbündeten sich einig und Voraussetzungen erfüllt sind“. Als konkrete Beispiele werden Reformen „im Bereich der Demokratie und des Sicherheitssektors“ genannt.

Zugleich signalisierte die NATO an die Adresse des russischen Präsidenten Wladimir Putin, dass er nicht darauf hoffen könne, dass die Alliierten müde werden, der Ukraine Waffen, Munition und Geld zur Verfügung zu stellen. Man werde die Unterstützung „so lang wie nötig fortsetzen“. Geplant ist nun unter anderem ein mehrjähriges Programm, um die ukrainischen Streitkräfte in die Lage zu versetzen, künftig mit NATO-Truppen zusammenzuarbeiten.

G7-Gipfel
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Selenskyj war beim NATO-Gipfel in Vilnius selbst anwesend

Bilaterale Zusicherungen im Blick

Am Rande des Gipfels einigten sich hingegen die G-7-Staaten auf langfristige Sicherheitsgarantien für die Ukraine. In einer veröffentlichten Erklärung kündigte die Gruppe an, sie wolle „spezifische, bilaterale und langfristige Sicherheitszusagen und -Regelungen“ für die Ukraine erarbeiten. Die Zusagen bleiben aber weit hinter der Sicherheitsgarantie zurück, die ein NATO-Beitritt bieten würde. Dann würde die militärische Beistandspflicht aller Mitglieder inklusive der Entsendung von Soldaten im Fall eines Angriffs gelten.

G-7

Der Gruppe der sieben führenden Industriestaaten (G-7) gehören die USA, Kanada, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien und Japan an.

„Unser Engagement für die Ukraine wird nicht nachlassen, wir werden für Freiheit und Unabhängigkeit eintreten, heute, morgen und so lange, wie es dauert“, sagte US-Präsident Joe Biden. Er sicherte der Ukraine langfristige Unterstützung zu. Er nannte den Sicherheitspakt ein „starkes Signal“ der internationalen Unterstützung für die Ukraine. Selenskyj selbst bezeichnete das Ergebnis des NATO-Gipfels als bedeutenden Erfolg für sein Land.

NATO-Gipfel in Litauen zu Ende

Die ORF-Korrespondenten Christian Wehrschütz in Kiew und Miriam Beller in Moskau analysieren die Auswirkungen des NATO-Gipfels in Litauen.

„Es eröffnet uns gänzlich neue Möglichkeiten im Sicherheitsbereich, und ich danke allen, die das möglich gemacht haben“, sagte Selenskyj. Sein Land habe nun Sicherheitsgarantien auf dem Weg in das Verteidigungsbündnis NATO. „Die ukrainische Delegation bringt einen wichtigen Sieg der Sicherheit für die Ukraine nach Hause, für unser Land, für unsere Menschen, für unsere Kinder.“

„Es gibt eine gute Verstärkung bei den Waffen. Das sind Flugabwehr, Raketen, gepanzerte Fahrzeuge und Artillerie“, sagte Selenskyj zudem am Mittwochabend in seiner täglichen Videoansprache über die Lieferzusagen westlicher Partner.

Selenskyj zunächst mit scharfer Kritik

Am Dienstag hatte Selenskyj hingegen noch scharf kritisiert, dass die Ukraine in Vilnius keine offizielle Einladung zum Beitritt erhalten hat. Er sprach auch von einer Schwäche des Westens, die Russland in die Hände spiele. Blockiert worden war die Einladung vor allem von den USA und Deutschland, den beiden wichtigsten Waffenlieferanten der Ukraine. Sie wollen dem von Russland angegriffenen Land zunächst wie bisher mit konkreter Militärhilfe unter die Arme greifen, damit es sich besser selbst verteidigen kann.

Deutschlands Kanzler Olaf Scholz lobte die Ergebnisse des Gipfels. „Die Zeiten sind herausfordernd, die Sicherheit in Europa steht unter Druck“, sagte Scholz, „deshalb war Vilnius ein sehr erfolgreicher Gipfel. Er hat die NATO gestärkt, die Bereitschaft zur Verteidigung unterstrichen und den Zusammenhalt in der Allianz erhöht.“ Zugleich betonte er: „Die NATO ist ein Verteidigungsbündnis, das niemanden bedroht, es ist aber bereit und in der Lage, jeder militärischen Bedrohung zu begegnen.“

Die G-7-Vereinbarung zielt darauf ab, dass der Ukraine auch moderne Ausrüstung in den Bereichen „Luft und See“ geschickt werden. Welche Staaten welche Militärhilfe leisten wollten, blieb noch offen. Auch eine zeitliche Perspektive wird nicht gegeben. Bisher unterstützen die G-7-Staaten vor allem die Landstreitkräfte der Ukraine durch Waffenlieferungen. Westliche Kampfjets und Kriegsschiffe wurden bisher nicht geliefert.

Kreml: Sicherheitsgarantien „sehr gefährlich“

Der Kreml bezeichnete die langfristigen Sicherheitszusagen der G-7 für die Ukraine als Gefahr für Russlands Sicherheit. „Wir halten das für einen extremen Fehler und potenziell für sehr gefährlich“, sagte der Sprecher von Präsident Wladimir Putin, Dmitri Peskow. Wenn die G-7-Staaten der Ukraine Zusagen irgendeiner Art gäben, ignorierten sie das internationale Prinzip der „Unteilbarkeit der Sicherheit“.

„Das heißt: Indem sie der Ukraine Sicherheitsgarantien geben, verletzen sie Russlands Sicherheit“, so Peskow. Moskau hoffe noch auf „Weisheit“ im Westen. Andernfalls machten die Länder Europa „für viele, viele Jahre noch viel gefährlicher“.

Angesichts der Kritik von NATO-Generalsekretär Stoltenberg an China sprach Peskow von einem „idealen Zeitpunkt“, die Beziehungen zwischen Moskau und Peking auf hohem Niveau aufrechtzuerhalten. Stoltenberg hatte in Vilnius gesagt, das zunehmend forsche Auftreten Pekings beeinträchtige auch die Sicherheit des Verteidigungsbündnisses. Das russische Außenministerium warf indes der NATO die Rückkehr „zu Schemas des Kalten Kriegs“ vor.

Selenskyj erteilt Gebietsabtretungen Absage

Selenskyj erteilte nach dem Gipfel Gebietsabtretungen an Russland erneut eine Absage. „Sogar wenn es nur ein Dorf ist, in dem nur ein Opa lebt“, sagte er bei einer Pressekonferenz. Er sei davon überzeugt, dass weder der deutsche Kanzler Scholz noch US-Präsident Biden in dieser Frage „Verrat“ an Kiew verüben werden.

Auch „irgendein eingefrorener Konflikt“ sei für die Ukraine weiter keine Option. „Das wird es niemals geben“, sagte Selenskyj. Seine Position sei den Partnern sehr gut bekannt. Zuvor hatte das ukrainische Staatsoberhaupt noch einmal eingeräumt, dass sein Land erst nach dem Ende des Krieges mit Russland Mitglied in der NATO werden könne.

Chef der Sicherheitskonferenz übt Kritik

Der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, kritisierte die NATO dafür, dass sie der Ukraine keine Einladung zu einem Beitritt nach Ende des russischen Angriffskrieges ausgesprochen hatte. „Es gibt die Angst, dass es durch eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine in Richtung eines neuen Weltkriegs gehen könnte“, sagte Heusgen dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Donnerstag).

„Ich glaube, da spielt Vorsicht und Zurückhaltung eine Rolle aus der Sorge heraus, dass schon eine Einladung für eine spätere Mitgliedschaft als Eskalation des Konflikts von NATO-Seite gesehen wird.“ Die Realität sei aber eine andere: „Es ist Wladimir Putin, der immer wieder eskaliert.“ Heusgen sagte mit Blick auf die Nichteinladung weiter: „Das ist natürlich mehr als ein Schönheitsfleck.“ Er habe gehofft, „dass wir weiter gekommen wären. Von daher bin nicht zufrieden“.