Icons von Mastodon und Threads
ORF/Dominique Hammer
Chance oder Gefahr?

Threads bringt Mastodon zum Beben

Seit vergangener Woche gibt es ein Duell der Kurznachrichtendienste: Twitter bekommt Konkurrenz vom Instagram-Ableger Threads, es geht um Hunderte Millionen Nutzerinnen und Nutzer. Kaum noch Thema ist hingegen Mastodon – doch ausgerechnet der unscheinbare Dritte soll für Threads künftig eine ganz wesentliche Rolle spielen. Viele Mastodon-User sehen darin eine Kooperation wider Willen und protestieren gegen den Netzgiganten. Dabei könnte die ungewohnte Verbindung der beiden Dienste soziale Netzwerke dauerhaft umkrempeln.

Seit der Übernahme von Twitter durch Elon Musk spielen sich teils chaotische Szenen in dem Kurznachrichtendienst ab, ebenso lang gibt es Rufe nach einer brauchbaren Alternative. Gleich zu Beginn dieser Debatte wurde gerne Mastodon als „Twitter-Klon“ genannt – doch während der Andrang erst groß war, überwog bei vielen Neulingen schnell die Enttäuschung. Denn schon die Anmeldung geriet für viele zur Hürde – weil sie ganz anders abläuft als bei den meisten sozialen Netzwerken.

Was erst furchtbar verwirrend klingen mag, ist eigentlich eine der größten Stärken von Mastodon und auch ganz einfach erklärt. Mastodon ist dezentral – und vielleicht am ehesten mit E-Mails zu vergleichen. Um E-Mails zu schicken kann man sich bei Diensten wie Gmail, Hotmail, GMX und Co. anmelden und trotzdem weltweit Mails verschicken. Um Mastodon nutzen zu können, muss man auch zuerst einen passenden Anbieter (Server) aussuchen, kann aber dann mit allen anderen Mastodon-Userinnen und -Usern in den Austausch treten.

Meta entdeckt das Fediverse

Das hat viele Vorteile. Sollte etwa einer dieser Mastodon-Server ausfallen, läuft der Rest des Netzes ungestört weiter. Ist man mit den Regeln oder der Philosophie eines Servers nicht einverstanden, kann man auf einen anderen umziehen – und die eigenen Daten übersiedeln im Idealfall problemlos mit. Und auch im Hinblick auf den Datenschutz ist das praktisch, denn jeder Server erhält im Idealfall nur so viel Daten wie für die Kommunikation nötig. Kurzum: Als offener Dienst hängt Mastodon aus Prinzip nie von der Laune einer Einzelperson ab.

Threads Logo auf einem Handy
ORF/Dominique Hammer
Mit Threads will Meta Konkurrenz für Twitter werden und setzt dabei auf offene Technologien

Dadurch kann sich, vereinfacht gesagt, auch jeder an das Netz von Mastodon „anhängen“ – das will auch Threads in naher Zukunft tun. In einem Blogpost heißt es bei Instagram, dass Posts künftig auch auf anderen Plattformen angezeigt werden können, um „neues Publikum“ zu erreichen. Deshalb will man Threads in naher Zukunft an das ActivityPub-Protokoll anschließen, wie das Mastodon und einigen weiteren Diensten zugrundeliegende System heißt. Der Zusammenschluss dieser Einzeldienste und Serverbetreiber heißt Fediverse.

Und Threads hebt ganz klar hervor, dass man in diesem Fediverse mit Leuten kommunizieren kann, deren Daten nicht im Besitz der Facebook-Mutter Meta sind. Außerdem soll man mit dem eigenen Account ganz einfach umziehen können und damit dem oft als „Datenkrake“ bezeichneten Konzern problemlos den Rücken kehren. Das alles hätte eigentlich schon zum Start von Threads verfügbar sein sollen, durch die mutmaßliche Hudelei durch die vorgezogene Veröffentlichung im Zuge der Twitter-Turbulenzen soll die Anbindung nun bald hinzugefügt werden.

Facebook-Einfluss spaltet Mastodon-Betreiber

Bei den Betreiberinnen und Betreibern der Mastodon-Server führt die Threads-Ankündigung zu gespaltenen Reaktionen. Dass die Facebook- und Instagram-Mutter Meta keinen guten Ruf genießt, dürfte angesichts der oft an Datenschutz interessierten Mastodon-Nutzern nicht verwundern. Unter dem Namen „Fedipact“ protestierten zahlreiche größere Betreiber gegen den Meta-Einstieg und kündigten gleich im Voraus an, die Vernetzung mit Threads zu blockieren – auch das erlaubt Mastodon an sich.

Doch an der Frage, ob ein solcher Schritt sinnvoll ist, lädt sich die Debatte auf. Neben der Kritik gibt es auch viele Befürworter – auch prominente Namen mischten sich ein, zum Beispiel der Blogger Chris Messina, der als Erfinder des Hashtags gilt. In einem Posting schrieb er, dass es natürlich allen freistünde, Threads aus dem Fediverse auszuschließen – wenngleich das für Meta wohl keine Bedeutung hätte. „Würdest du das Fediversum lieber auf seine derzeitige Population von rund acht Mio. Menschen beschränken oder es auf rund 2,35 Mrd. und mehr skalieren?“

Der Netzaktivist Tristan Louis sieht durch die Threads-Blockade die Gefahr, dass sich statt des offenen Mastodon das wesentlich stärker regulierte Bluesky von Twitter-Gründer Jack Dorsey durchsetzen könnte. Er vergleicht den Einstieg von Threads in das Fediverse mit jenem von America Online (AOL) ins Internet in den 1990ern: „Das bringt viele Menschen hinein, sorgt für etwas Reibung, aber macht das Internet letztlich zu einem besseren Ort.“

Unklar, welche Ziele Meta verfolgt

Und freilich steht die Frage im Raum, ob Meta mit Threads letztlich ganz andere Ziele verfolgt – und wenn ja, ob diese auf Kosten von ActivityPub gehen. Dass sich der Konzern nach außen hin öffnet, gab es in der langen Geschichte schon einmal – Facebooks Chatfunktion setzte einst auf dem offenen und ebenfalls dezentralen Standard XMPP auf. Heute fast unvorstellbar ist, dass man mit einer einzigen App gleichzeitig Facebook- und Google-Nutzern schreiben konnte, werbefrei. Doch irgendwann wurde die XMPP-Verbindung gekappt – auch daran werden sich skeptische Mastodon-Administratoren wohl noch gut erinnern.

Mark Zuckerberg
AP/Nick Wass
Meta-Chef Mark Zuckerberg rief zuerst das Metaverse aus und setzt jetzt offenbar auf das Fediverse

Und doch könnte der Threads-Vorstoß in Richtung Mastodon auch viele Vorzüge mit sich bringen. Allein dass das Netz von wenigen Millionen auf potenziell über eine Milliarde Nutzerinnen und Nutzer anwachsen könnte, würde wenigstens viel Aufmerksamkeit bringen. Und Meta könnte nicht an den eigentlichen Vorzügen von Mastodon und Co. rütteln: Die dezentrale Speicherung von Daten, mit der Dienste robuster werden und gleichzeitig die Privatsphäre der Nutzer besser gewahrt wird, sind Grundpfeiler von ActivityPub, die auch Meta nicht umstoßen kann.

Umbruch bei sozialen Netzwerken als greifbare Möglichkeit

Wenn dieser Versuch erfolgreich läuft, könnten andere Dienste dem Beispiel Metas folgen und damit soziale Netzwerke ganz grundlegend auf den Kopf stellen. Dass plötzlich die Userinnen und User entscheiden können, wem die eigenen Daten gehören, wäre eine Kehrtwende in der Branche. Fraglich ist freilich, wie daraus ein Geschäftsmodell werden kann – denn das genaue Kennenlernen der eigenen Nutzer ist für Meta seit jeher das größte Standbein des Konzerns.

Interesse an ActivityPub meldete mittlerweile auch der Blogdienst Tumblr an, der auch auf das Protokoll setzen könnte. Schon jetzt gibt es bei der Blogsoftware Wordpress eine entsprechende Anbindung. Ob der Kurswechsel auch EU-Vorgaben, wonach Dienste, in erster Linie Messenger-Apps, künftig untereinander kompatibel sein müssen, entgegenkommen könnte, ist nicht klar, wäre aber durchaus denkbar. Immerhin konnte Threads bisher nicht in der EU starten, weil der neue „Digital Services Act“ der Meta-App rechtlich im Weg steht.

Mastodon wird dem jetzt jedenfalls aus erster Reihe zuschauen müssen, so will es das technische Protokoll darunter. Metas Langzeitplänen sieht zumindest Mastodon-Gründer Eugen Rochko gelassen entgegen, wie er in einem Blogeintrag schrieb: „Selbst wenn Threads ActivityPub aufgeben würde, wären wir wieder genau da, wo wir jetzt sind.“