Demonstration in Tel Aviv, Israel
AP/Ariel Schalit
28 Wochen

Protestwelle in Israel reißt nicht ab

Einmal mehr sind in Israel am Samstag landesweit Zehntausende Menschen gegen die umstrittene Justizreform der rechts-religiösen Regierung von Benjamin Netanjahu auf die Straße gegangen. Alleine in Tel Aviv waren es Medienberichten zufolge mehr als 150.000 Menschen. Die seit mittlerweile 28 Wochen andauernden Proteste sollen noch weiter zulegen.

Israels Regierung will einen Teil der Justizreform im Eiltempo auf den Weg bringen: In rund einer Woche will sie ein Gesetz verabschieden, das dem Höchsten Gericht die Befugnis nehmen soll, Entscheidungen der Regierung oder einzelner Minister oder Ministerinnen als „unangemessen“ zu bewerten. Der Gesetzesentwurf wird in diesen Tagen im Justizausschuss für die finale Abstimmung im Parlament vorbereitet.

Wegen des Gesetzesentwurfs nehmen die Proteste derzeit wieder deutlich an Fahrt auf. Kritiker und Kritikerinnen befürchten, das Gesetz könne Korruption und die willkürliche Besetzung hochrangiger Posten begünstigen. Die Regierung wirft den Richtern und Richterinnen vor, sich zu sehr in politische Entscheidungen einzumischen.

Luftbild des „SOS“-Schriftzuges bei Demonstration in Israel
APA/AFP/Ahmad Gharabli
150.000 Menschen demonstrierten laut Berichten alleine in Tel Aviv

Weitere Proteste geplant

Für Dienstag sind bereits die nächsten Kundgebungen geplant. An einem „Tag des Widerstands“ sollen unter anderem wieder Straßen im ganzen Land blockiert werden. Am Samstag sprachen laut „Haaretz“ zahlreiche, auch bekannte, Gegner unter anderem aus der Politik vor den Demonstrierenden in Tel Aviv und vielen anderen Städten.

Erst am Dienstag wurde in Jerusalem, Tel Aviv und in Kommunen in der Landesmitte demonstriert, nachdem das Parlament in der Nacht einen Gesetzesentwurf zur Einschränkung der Befugnisse des Höchstgerichts in erster von drei Lesungen gebilligt hatte. Dabei wurden knapp 80 Menschen verhaftet, berichtet „Haaretz“. Die Demonstrierenden schwenkten israelische Fahnen und zündeten Leuchtfeuer. Die Polizei ging teils mit Wasserwerfern und berittenen Einheiten gegen die Protestierenden vor.

Demonstration in Tel Aviv, Israel
Reuters/Corinna Kern
Die Demonstrierenden wollen nicht aufgeben

Reservisten wollen Dienst verweigern

Hunderte Reservisten kündigten derweil an, ihren Dienst nicht mehr antreten zu wollen, sollte das Gesetz kommen. Hunderte weitere könnten ihrem Beispiel folgen. Am Dienstag erschienen bereits 300 Reservistinnen und Reservisten der Abteilung für Cyberabwehr nicht zum Dienst. Aus Protest gegen die Reform waren zahlreiche Reservisten in der Vergangenheit nicht zum Dienst erschienen.

Auch mehr als tausend Ärzte und Ärztinnen drohten mit Arbeitsniederlegungen. Sie fürchten durch die Justizreform negative Auswirkungen auf die Wirtschaft, Demokratie und Sicherheit des Landes – und damit auch auf das Gesundheitssystem.

Erneute Proteste in Israel gegen die Justizreform

Angesichts der umstrittenen Reformpläne zur Schwächung der Justiz sind in Israel wieder Zehntausende zu Protesten auf die Straßen gegangen. Am Abend demonstrierten alleine in Tel Aviv trotz äußerst schwülen Wetters Medienberichten zufolge mehr als 150.000 Menschen gegen die Pläne der rechts-religiösen Regierung von Benjamin Netanjahu.

Anfang des Jahres hatte sich das Höchstgericht gegen die Ernennung von Netanjahus Wunschminister Arie Deri, Vorsitzender der Schas-Partei, gestellt. Die Richterinnen und Richter hatten argumentiert, die Ernennung zum Innen- und Gesundheitsminister sei wegen Deris’ mehrfacher Verurteilungen, unter anderem wegen Korruption und Steuerhinterziehung, „unangemessen“ und daher ungültig. Netanjahu war daraufhin gezwungen gewesen, Deri zu entlassen, hatte dem Gericht aber Missachtung des Wählerwillens vorgeworfen.

Regierung treibt Pläne voran

Netanjahu, der selbst wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht steht, war Ende Juni den Gegnern und Gegnerinnen der Reform entgegengekommen und hatte angekündigt, den umstrittensten Teil fallen zu lassen. Dieser hätte es dem Parlament ermöglicht, Urteile des Obersten Gerichtshofs aufzuheben.

Wegen der Massenproteste hatte Netanjahu das Vorhaben Ende März vorerst auf Eis gelegt. Ein Kompromiss mit der Opposition unter Vermittlung von Präsident Isaak Herzog kam nicht zustande. Ende Juni setzten die beiden wichtigsten Oppositionspolitiker Jair Lapid und Benni Ganz ihre Teilnahme an den Gesprächen aus. Im Parlament stimmte die Opposition am Montag geschlossen gegen den Umbau der Justiz.

Weitere strittige Abstimmungen im Herbst

Weiteres Ziel der Regierungspläne ist, der Politik mehr Einfluss bei der Ernennung von Richterinnen und Richtern zu geben. Dieses Kernvorhaben der Reform soll Medienberichten zufolge in der nächsten Sitzungsperiode im Herbst auf die Agenda gesetzt werden.

Der Staat Israel hat keine schriftliche Verfassung und fußt stattdessen auf einer Sammlung von Grundgesetzen. Daher kommt dem Höchstgericht eine besondere Bedeutung bei der Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zu.