Tunesische Nationalgarde stoppt Boot von Migranten
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Migration

Absichtserklärung für EU-Tunesien-Deal steht

Angesichts steigender Zahlen von flüchtenden Menschen und ihrer lebensgefährlichen Fahrten über das Mittelmeer haben die EU und Tunesien eine noch stärkere Zusammenarbeit bei dem Thema beschlossen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die Regierungschefs der Niederlande und Italiens sowie Tunesiens Präsident Kais Saied verkündeten am Sonntag die Unterzeichnung einer entsprechenden Absichtserklärung.

Damit kann die EU-Kommission für das wirtschaftlich schwer angeschlagene Land in Nordafrika Finanzhilfen in Höhe von bis zu 900 Millionen Euro auf den Weg bringen. Über den Deal wird seit Wochen verhandelt. Bereits vor rund einem Monat war eine EU-Delegation zu Gesprächen in Tunesien. Im Gegenzug für die Finanzhilfen soll Tunesien künftig stärker gegen Schlepper und illegale Überfahrten vorgehen, um dort die Abfahrten von Menschen in Richtung Europa zu reduzieren.

Vor allem die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni drängte auf eine Vereinbarung, um die von Tunesien ablegenden Migrantenboote auf deren Weg nach Süditalien und damit in die Europäische Union früh zu stoppen.

Mark Rutte, Ursula von der Leyen, Giorgia Meloni und Kais Saied
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Der niederländische Premier Mark Rutte, EU-Kommissionchefin Usula von der Leyen, Tunesiens Präsident Kais Saied und Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni bei der gemeinsamen Pressekonferenz

„Fünf Säulen“

„Unsere Teams haben hart gearbeitet, um schnell ein starkes Paket zu schnüren, das eine Investition in unseren gemeinsamen Wohlstand, unsere Stabilität und künftige Generationen darstellt.“ Jetzt sei es an der Zeit die Maßnahmen umzusetzen, teilte Von der Leyen mit Blick auf die Absichtserklärung mit.

Der EU-Kommissionschefin zufolge umfasst die mit Tunesien getroffene Absichtserklärung die bereits im Juni vereinbarten „fünf Säulen“ EU-Finanzhilfe, Stärkung der wirtschaftlichen Beziehungen, Zusammenarbeit bei grüner Energie, Migration und Förderung der zwischenmenschlichen Kontakte.

Meloni: „Wichtiges Ziel erreicht“

„Nach viel diplomatischer Arbeit haben wir ein sehr wichtiges Ziel erreicht“, sagte Meloni. Das Memorandum ermögliche eine „integrierte Bewältigung der Migrationskrise“. Sie hoffe zudem auf weitere ähnliche Abkommen mit anderen nordafrikanischen Ländern. Kommenden Sonntag sei in Rom auch eine Migrationskonferenz geplant, an der Saied sowie weitere Staats- und Regierungschefs des Mittelmeer-Raums teilnehmen sollen.

Tunesien ist eines der wichtigsten Transitländer für Flüchtende auf dem Weg nach Europa. Ankunftsland ist vielfach Italien, weswegen die Regierung in Rom zuletzt verstärkt auch wieder eine Lösung auf europäischer Ebene einforderte. Ganz im Gegensatz zu Melonis Wahlversprechen, die Zahl der an Italiens Küste ankommenden Menschen wieder rückgängig zu machen, sind die Migrationszahlen in diesem Jahr wieder stark angestiegen. Allein bis Freitag zählte das Innenministerium in Rom mehr als 75.000 Menschen, die seit Jahresbeginn an Italiens Küsten ankamen – im Vorjahreszeitraum waren es rund 31.900.

Migranten an der Grenze zwischen Libyen und Tunesien
AP
Der Weg Richtung Europa führte zuletzt für viele Flüchtende über Tunesien

Rutte: „Wichtiger Schritt“

Das Abkommen sei gegen Menschenhändler gerichtet, enthalte Vereinbarungen zur Stärkung der Grenzkontrollen und zur verbesserten Registrierung und Rückführung, teilte der niederländische Premier Mark Rutte mit. Das seien „wichtige Maßnahmen, um die Bemühungen zur Beendigung der irregulären Migration zu verstärken“, so Rutte, der trotz der vor wenigen Tagen erfolgten Rücktrittserklärung bis auf Weiteres niederländischer Regierungschef bleibt.

Migrationspakt mit Tunesien unterzeichnet

Angesichts der lebensgefährlichen Fahrten über das Mittelmeer haben die EU und Tunesien eine Absichtserklärung unterzeichnet, die eine stärkere Zusammenarbeit beim Thema Migration gewährleisten soll. Im Gegenzug für Finanzhilfen der EU soll Tunesien künftig stärker gegen Schlepper vorgehen und die Abfahrten von Menschen in Richtung Europa reduzieren.

Die Absichtserklärung ist in den Verhandlungen ein wichtiger Schritt nach vorn. Bis das Geld an Tunis fließen kann, braucht es aber auch noch Einigung von anderer Seite: Ein Kredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Höhe von 1,9 Milliarden Dollar an Tunesien hängt in der Luft, weil Präsident Saied keine verbindliche Zusage zu den dafür verlangten Reformen machen will.

Tunesien will nicht EU-Grenzpolizei werden

Saied hatte bereits im Februar ein härteres Vorgehen in Sachen Migration angekündigt und in diesem Zusammenhang auch von zunehmender Gewalt und Kriminalität im Land gesprochen. Seitdem nahmen Anfeindungen und rassistische Übergriffe zu.

Kritikerinnen und Kritiker werfen Saied vor, sich auf den Ausbau seiner Macht zu konzentrieren und nicht auf Lösungen für die schwere Wirtschaftskrise im Land. Nach Kritik der EU an seinem Machtausbau war das Verhältnis zuletzt angespannt. Saied schloss auch aus, sein Land zu einer Grenzpolizei für Europa werden zu lassen. Tunesiens Regierung sieht eine langfristige Ansiedlung von Flüchtenden im Land zudem kritisch. Viele Tunesierinnen und Tunesier fürchten, dass genau das Ergebnis eines EU-Deals sein könnte.

Was die nun getroffene Vereinbarung betrifft, sei Tunesien laut Saied nun „fest entschlossen, sie schnellstmöglich umzusetzen“. Er sprach beim Thema Migration von einer „unmenschlichen Situation“, die im Kollektiv gelöst werden müsse.

Dutzende in Wüste gerettet

Neue Vorwürfe gegen die Vorgangsweise der tunesischen Behörden gegen flüchtende Menschen kamen am Sonntag indes von einem AFP-Reporter. Dessen Angaben zufolge haben
libysche Grenzschützer mindestens 80 in der Wüsten-Grenzregion zu Tunesien gestrandete Menschen gerettet.

Die Männer, Frauen und Kinder aus Ländern südlich der Sahara waren den AFP-Angaben zufolge in dem Wüstengebiet von den tunesischen Behörden ausgesetzt und ohne Wasser und Nahrung zurückgelassen worden.

In den vergangenen Tagen waren bereits mehr als 600 in die Wüste gedrängte Menschen vom tunesischen Roten Halbmond gerettet worden, die Anfang Juli nahe dem Ort Ras Dschedir 40 Kilometer nördlich von al-Assah ausgesetzt worden waren. Tunesischen Aktivistinnen und Aktivisten zufolge hielten sich am Freitag noch bis zu 150 Menschen in grenznahen Wüstengebieten auf.

Auseinandersetzungen in Sfax

Nach Auseinandersetzungen mit Bewohnern der Hafenstadt Sfax waren in den vergangenen Tagen Hunderte in die Wüste geflohen oder gewaltsam dorthin vertrieben worden. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen wurden sie von der tunesischen Polizei dorthin getrieben und in unwirtlichen Regionen nahe Libyen im Osten und Algerien im Westen ihrem Schicksal überlassen.

Sfax gilt als einer der Starthäfen für Geflüchtete aus afrikanischen Ländern, die von dort in Booten nach Europa aufbrechen. Die zweitgrößte Stadt Tunesiens liegt rund 130 Kilometer von der italienischen Insel Lampedusa entfernt. Das dortige Erstaufnahmelager ist derzeit völlig überfüllt.