Patch auf der Uniform von Soldaten der israelischen Luftwaffe
IMAGO/Björn Trotzki
Justizumbau

Israels Regierung im Clinch mit Reservisten

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hat sich empört gezeigt über eine angedrohte Dienstverweigerung von Militärreservisten. Ursache ist einmal mehr der umstrittene Justizumbau im Land, gegen den seit mehr als einem halben Jahr durchgehend protestiert wird. Am Dienstag begann ein weiterer „Tag des Widerstands“.

Durch anhaltende Massenproteste hatte Netanjahu, der selbst wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht steht, die Reform im März vorübergehend auf Eis gelegt, dann abgeschwächt. Er hatte angekündigt, den umstrittensten Teil fallen zu lassen. Dieser hätte es dem Parlament ermöglicht, Urteile des Obersten Gerichtshofs aufzuheben.

Nun aber soll die Reform im Eiltempo vorangetrieben werden. In der kommenden Woche soll ein wichtiger Teil der Justizreform im Parlament verabschiedet werden. Das Gesetz soll dem höchsten Gericht die Befugnis nehmen, Entscheidungen der Regierung bzw. einzelner Minister oder Ministerinnen als „unangemessen“ zu bewerten.

Israel: Erneut Proteste in mehreren Städten

Am Dienstag hat in Israel ein weiterer angekündigter „Tag des Widerstands“ gegen die umstrittene Justizreform begonnen. Laut Medienberichten versammelten sich in Tel Aviv bereits in der Früh Hunderte Menschen zu Protesten und blockierten den Eingang zur Börse. Auch Straßen und eine Militäreinrichtung wurden blockiert. Die Rede war im Vorfeld des Protesttags auch von Plänen, den Zugsverkehr zu stören. Mehrere Teilnehmer an den Protesten wurden laut lokalen Medien vorübergehend festgenommen. In Tel Aviv soll es auch zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen sein.

Weiteres Ziel der Regierungspläne ist, der Politik mehr Einfluss bei der Ernennung von Richterinnen und Richtern zu geben. Dieses Kernvorhaben der Reform soll Medienberichten zufolge in der nächsten Sitzungsperiode im Herbst auf die Agenda gesetzt werden. Weil der Staat Israel keine schriftliche Verfassung hat, kommt dem Höchstgericht eine besondere Bedeutung bei der Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zu. Kritikerinnen und Kritiker sehen die Gewaltenteilung und damit die Demokratie in Gefahr. Manche warnen gar vor der schleichenden Einführung einer Diktatur.

Drohung mit „allen notwendigen Maßnahmen“

Teil der Widerstandsbewegung waren schon früh viele Armeereservistinnen und -reservisten. Mehrere tausend von ihnen hatten kürzlich angedroht, ihren Dienst zu verweigern, sollte die Regierung ihr Vorhaben umsetzen. „Es kann nicht sein, dass eine Gruppe innerhalb der Armee einer gewählten Regierung droht, indem sie sagt: ‚Wenn Sie nicht so handeln, wie wir wollen, werden wir aufhören, das Land zu verteidigen‘“, sagte Netanjahu am Montag bei der wöchentlichen Kabinettssitzung in Jerusalem.

Benjamin Netanjahu, Eli Cohen und Yossi Fuchs während einer Pressekonferenz in Jerusalem
Reuters/Ohad Zwigenberg
Netanjahus Regierung legte die Reform vorübergehend auf Eis, nun macht sie Tempo

Die Aufforderung zur Dienstverweigerung und die Dienstverweigerung selbst seien gesetzeswidrig. „In einer Demokratie ist das Militär der gewählten Regierung unterstellt und nicht umgekehrt.“ Netanjahu sagte, die Drohung der Reservisten sei eine Gefahr für „die Sicherheit aller israelischen Bürger“. „Die Regierung wird dagegen vorgehen und alle notwendigen Maßnahmen ergreifen“, so Netanjahu weiter, ohne dabei auf mögliche Maßnahmen einzugehen.

Armee auf Reservisten angewiesen

Die Reservisten machen einen Großteil der israelischen Armee aus, vor allem die Luftwaffe ist auf sie angewiesen. Die Dienstverweigerung einiger hundert von ihnen könnte die Einsatzfähigkeit dieser Teilstreitkraft nach Ansicht von Expertinnen und Experten enorm einschränken – und damit den Druck auf die Regierung des Landes erhöhen.

Demonstration in Tel Aviv, Israel
Reuters/Oren Alon
Seit vielen Wochen demonstrieren zahlreiche Menschen gegen den Umbau der Justiz

Bereits im März waren zahlreiche Reservisten aus Protest gegen die Reform nicht zum Dienst erschienen. Auch etliche Kampfpiloten hatten sich öffentlich gegen die Reform gestellt, Kritik gab es damals sogar aus Geheimdienstkreisen. Verteidigungsminister Joav Galant hatte die Regierungspläne kritisiert und war deshalb entlassen worden. Wenige Wochen später holte Netanjahu ihn wieder zurück in die Regierung. Nun kritisierte Galant die Reservisten für ihre angedrohte Dienstverweigerung.

Erneut Proteste in mehreren Städten

Hunderte Demonstranten versammelten sich in der Früh in der Küstenstadt Tel Aviv und stürmten kurzzeitig die Börse. Rund tausend Menschen, darunter viele Reservisten der Armee, versperrten Berichten zufolge zudem den Zugang zu einem Hauptquartier des Militärs. Im Norden des Landes blockierten Demonstranten Medien und Organisatoren zufolge eine Autobahn.

Dutzende Demonstranten drangen am Dienstag in die Tel Aviver Börse ein und ließen nachgemachte Banknoten als Symbol von Korruption herabregnen. Die Polizei meldete zugleich ein halbes Dutzend Schnellstraßenblockaden und mindestens 19 Festnahmen. In einer Stadt nördlich von Tel Aviv wurde eine Demonstrantin von einem Auto angefahren und verletzt. Polizeiangaben zufolge handelte es sich dabei um einen Unfall. Auch in Jerusalem, Haifa, Rehovot in der Landesmitte und anderen Städten fanden Kundgebungen statt.

Herzog im Weißen Haus erwartet

Die Polizei sah sich zuletzt Kritik ausgesetzt, weil sie deutlich härter gegen die Demonstrierenden vorging als in den Vorwochen. Mehrere Minister hatten das gefordert. Die aktuelle Regierung ist die am weitesten rechts stehende, die das Land je hatte.

Ebenfalls am Dienstag wird Israels Staatschef Jizchak Herzog in Washington zum Antrittsbesuch bei US-Präsident Joe Biden erwartet. Bisher hatte das Weiße Haus eine Einladung an Netanjahu seit seiner Wiederwahl im November wegen des Justizumbaus verweigert, Washington lehnt diese strikt ab. In einem am Sonntag ausgestrahlten CNN-Interview sagte Biden auf die Frage, warum er Netanjahu bisher nicht eingeladen habe, die USA hätten „andere Kontakte“ wie zum Beispiel Herzog. Am Montag aber wurde Netanjahu doch noch nach Washington eingeladen.