Chinesischer Außenminister Qin Gang
Reuters/Michael Kappeler
Verbleib unklar

Spekulationen über Chinas Außenminister

Seit mehr als drei Wochen ist Chinas Außenminister Qin Gang nicht mehr öffentlich in Erscheinung getreten. Auf einem Südostasiengipfel ließ er sich zuletzt von Spitzendiplomat Wang Yi vertreten, offiziell „aus gesundheitlichen Gründen“. Am Montag hieß es dann vom Ministerium auf Nachfrage nur noch, man habe „keine Informationen“ dazu. Außerhalb Chinas sorgt seine Abwesenheit allerdings für allerhand Spekulationen.

Zuletzt war Qin am 25. Juni zu Gesprächen mit Diplomatinnen und Diplomaten aus Vietnam, Russland und Sri Lanka aufgetreten. Das letzte veröffentlichte Foto zeigt ihn dabei mit dem russischen Vizeaußenminister Andrej Rudenko. Nur wenige Tage vor einem für den 10. Juli geplanten Treffen Qins mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell in Peking sagte China das Treffen ab – ohne Begründung.

Letzte Woche räumte die chinesische Regierung ein, dass der 57-jährige Qin aus gesundheitlichen Gründen nicht an einem Gipfeltreffen mehrerer südostasiatischer Länder in der indonesischen Hauptstadt Jakarta teilnehmen konnte. Einzelheiten oder aktuelle Informationen dazu wurden nicht genannt.

Russischer Vizeaußenminister Andrej Rudenko und chinesischer Außenminister Qin Gang
AP/Ministry of Foreign Affairs of the People’s Republic of China
Beim Empfang des russischen Vizeaußenministers Andrej Rudenko am 25. Juni wurde Qin zum letzten Mal gesehen

In Peking haben Journalistinnen und Journalisten dem Außenministerium wiederholt Fragen gestellt, unter anderem am Montag, wann Qin wieder an seinen Arbeitsplatz zurückkehren würde. Sie erhielten dabei allerdings lediglich die Auskunft, dass die Beamtinnen und Beamten „keine Informationen“ zur Verfügung stellen könnten.

Auch Xi Jinping 2012 verschwunden

Die Geheimhaltung des Privatlebens und der Gesundheit hoher Beamtinnen und Beamter ist in der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) tief verwurzelt. Aus immer noch ungeklärtem Grund verschwand der chinesische Staatspräsident Xi Jinping kurz vor seiner Machtübernahme im Jahr 2012 abrupt für zwei Wochen aus der Öffentlichkeit und verpasste ein Treffen mit der damaligen US-Außenministerin Hillary Clinton.

Das plötzliche Verschwinden hochrangiger Beamtinnen und Beamter aus dem öffentlichen Leben wird oft auch als mögliches Anzeichen für Probleme angesehen. Es könne aber auch ein Beispiel dafür sein, wie die Abneigung der Partei, schlechte Nachrichten zu verbreiten, die Kontrolle über die Berichterstattung beeinträchtigt, so der Forscher Willy Wo-Lap Lam von der Jamestown Foundation in Washington in der „New York Times“ („NYT“).

Geheimhaltung sei die gewählte Vorgehensweise, denn für die KPCh sei „Information eine Waffe“. In diesem Fall sei das Geheimnis um einen so wichtigen Beamten – den Außenminister – allerdings verblüffend, so Lam.

Diskussion auf sozialen Netzwerken zensiert

Der Fall um Qin heizte nun vor allem im Ausland die Spekulationen um den Verbleib des Ministers an. Zuletzt schien sogar eine Diskussion über seine Abwesenheit auf der chinesischen Social-Media-Plattform Weibo zensiert worden zu sein, da eine Suche nach „Wo ist Qin Gang?“ keine Ergebnisse lieferte. Einige Kommentare dürften von der Zensur allerdings übersehen – oder zugelassen – worden sein.

„Auf der Pressekonferenz des Außenministeriums wurde nichts über den Verbleib des alten Qin Gang gesagt, abgesehen von gesundheitlichen Aspekten, was die Leute zwangsläufig misstrauisch macht“, zitierte der „Guardian“ einen Kommentar vom Montag. Andere Kommentare spekulierten über andere unbewiesene Gründe für Qins Abwesenheit.

Auch Zeitungsartikel zensiert

Der Journalist und Analyst Phil Cunningham sagte, fünf Sätze über Qin seien ohne Vorankündigung aus einem Artikel über die Beziehungen zwischen den USA und China herausgeschnitten worden, den er für die pekingfreundliche Hongkonger Zeitung „South China Morning Post“ („SCMP“) geschrieben hatte.

Die Absätze wiesen darauf hin, dass es ein unglücklicher Zeitpunkt für einen ehemaligen Botschafter in Washington sei, von der politischen Bühne zu verschwinden, und warfen die Frage auf, ob das auf Krankheit oder „politische Missgunst“ zurückzuführen sei. „Qin Gang ist verschwunden. Er ist nicht nur aus dem Nachrichtenzyklus in China verschwunden, sondern auch aus meinem Artikel!“ schrieb Cunningham auf dem Kurznachrichtendienst Twitter.

Mögliche Querelen mit der Partei

Lam brachte in der „NYT“ auch mögliche Querelen mit der Führung der KPCh ins Spiel. Sollte sich herausstellen, dass Qin mit dieser in Konflikt geraten ist, könnte das auch ein schlechtes Licht auf Präsidenten Xi werfen. Dieser habe nämlich den Aufstieg Qins stark beschleunigt.

Qin wurde im Juli 2021 zum Botschafter Chinas in Washington ernannt und nach nur 17 Monaten im Amt zum Außenminister befördert. Berichten zufolge sollte er zudem in Zukunft die Nachfolge von Wang Yi als oberster Außenpolitiker der KPCh antreten. Zuvor war er Vizeaußenminister und von 2014 bis 2017 Protokollchef von Xi.

Er gilt als nationalistischer Hardliner – bekannt für seine scharfen Sprüche –, auch wenn er als Botschafter in den USA weniger konfrontativ auftrat als zuvor in Peking. Als chinesischer Außenminister ist Qin dafür verantwortlich, chinesische Interessen in der Welt zu vertreten. Im Juni empfing er den US-amerikanischen Außenminister Antony Blinken, um die Spannungen zwischen den beiden Ländern zu verringern.

Medienberichte bringen Affäre ins Spiel

Eine weitere Theorie über Qins lange Abwesenheit titelte am Samstag die japanische Nachrichtenagentur Kyodo News unter Berufung auf Medienberichte aus Taiwan. Demzufolge soll Qin eine Affäre mit einer chinesischen Journalistin haben, aus der auch ein gemeinsamer Sohn hervorgehe.

Besonders heikel daran: Der Bub soll in den USA zur Welt gekommen sein und daher die amerikanische Staatsbürgerschaft besitzen. Eine Sprecherin des chinesischen Außenministeriums sagte dazu angesprochen auf die Gerüchte, man habe kein Wissen über diese Angelegenheit.

Trotz Pekings Zurückhaltung über Qins Verschwinden, gebe es auch unter chinesischen Beamtinnen und Beamten Spekulationen, sagte Deng Yuwen, Ex-Redakteur für eine kommunistische Zeitung in China und nun Politikkommentator in den USA, gegenüber der „NYT“. „Wenn die Außenwelt über Qin Gang spekuliert, dann tun das natürlich auch viele Leute innerhalb des Systems.“