Szene der Oper „Ernani“
Bregenzer Festspiele/Karl Forster
Bregenzer Festspiele

„Ernani“ zwischen Comedy und Gemetzel

Es war ein heiterer Start für die Bregenzer Festspiele: Die diesjährige Hausoper „Ernani“ von Giuseppe Verdi, sonst eher seltener Gast in Opernhäusern, wurde bei ihrer Premiere am Mittwochabend vom Publikum gefeiert. In der Inszenierung von Lotte de Beer gab es Blut, Chaos, Stunts und natürlich große Emotionen, oft stark überzeichnet, was auch für zahlreiche Lacher sorgte. Im Kampf der Männeregos um das Glück in der Liebe gab es lautstarke Gewinner – und doch viele leise Töne.

Weiße Flächen, klare Formen: Zu Beginn gibt sich „Ernani“ nüchtern minimalistisch, viel bleibt davon aber nicht übrig. Denn schon bald zieren Blutspritzer die einst weißen Wände, die plötzlich an einen Horrorfilm erinnern, entsprechende Publikumsreaktionen inklusive. Selbst abgeschnittene Köpfe werden in einer Szene auf der Bühne herumgetragen. Volksoper-Direktorin de Beer inszeniert Verdi in Bregenz wie einen Tarantino-Blockbuster und schickt Dutzende Personen gleichzeitig in die Schlacht, genau orchestrierte Stunts inklusive.

Das ist spektakulär – aber doch ganz anders als die letzte Verdi-Premiere in Bregenz, als der weltberühmte „Rigoletto“ 2019 die Festspiele eröffnete. Heuer setzte man stattdessen eher auf den Underdog: „Ernani“ des damals noch jungen Verdi war nach der ursprünglichen Veröffentlichung erst sehr populär, verschwand aber zugunsten späterer Werke des Komponisten großteils von der Bühne.

Szene der Oper „Ernani“
Bregenzer Festspiele/Karl Forster
Blutspritzer inklusive: Die Bühne in „Ernani“ bleibt nicht lange unversehrt

Dabei zeigte die Oper an ihrem ersten Abend im Bregenzer Festspielhaus, dass der Stoff relativ zeitlos ist, wenn man nur ausreichend an der Oberfläche kratzt. Auch wenn „Ernani“ die großen „Hits“, die selbst in der Werbung verwendet werden, fehlen: Die Musik in der Verdi-Oper ist ähnlich eingängig und vor allem sehr zugänglich.

Liebesgeschichte nur an der Oberfläche

Natürlich geht es vordergründig um die Liebe, gleich in dreifacher Ausführung und recht problematischer Konstellation: Eigentlich liebt Elvira (Guanqun Yu) nur den Banditen und ehemaligen Adeligen Ernani (Saimir Pirgu) – das hält aber weder ihren Onkel Silva (Goran Juric) noch Don Carlo, den künftigen König Karl V. (Franco Vassallo), davon ab, sie heiraten zu wollen. Letztlich geht es um die Frage, wem Elviras Herz wirklich gehört – zumindest auf den ersten Blick.

Denn de Beer betonte im Vorfeld mehrfach, dass es im Kern der Verdi-Oper vor allem um Ehre und Rache geht – und arbeitete besonders diese Aspekte heraus. Um das Publikum nicht in einer klischeebehafteten Romanze versinken zu lassen, setzt sie neben eindrucksvollen und leicht verstörenden Effekten darauf, ihre Hauptdarsteller stark zu überzeichnen, sodass sie beinahe an der Karikatur kratzen. Silva steht als Greis mit Rollator auf der Bühne, Don Carlo hat eine überdimensionale Krone auf, dafür kein Oberteil an.

Hinweis

„Ernani“ ist noch bis 31. Juli im Festspielhaus in Bregenz zu sehen. ORF III zeigt die Produktion am 6. August um 21.30 Uhr.

Ehre steht über allem

Damit bleibt nicht viel von der Liebesgeschichte – es geht mehr darum, dass Egos kollidieren, und darum, Elvira zu „besitzen“. Selbst Ernani, der sie als einziger der drei Buhler liebt, stirbt letztlich lieber im Namen der Ehre, als sein Liebesglück aktiv zu leben. Mittendrin positioniert de Beer mit der Sopranistin Yu eine starke Figur, die ohnehin stets so wirkt, als müsste sie weder besessen noch gerettet werden.

Chaotisch wurde es am Premierenabend, wenn auch der Chor auf der Bühne stand, insgesamt waren damit streckenweise wohl an die 50 Personen gleichzeitig zu sehen. Da teils auf kleinstem Raum innerhalb der Bühne gespielt wurde, wirkte das nicht zuletzt aufgrund der streng quadratischen Form optisch herausfordernd. Der Aufbau erinnerte teils an ein überfülltes Instagram-Selfie – oder an ein Experiment, bei dem besonders viele Menschen in ein sehr kleines Auto gestopft werden. Das unterstrich den komischen Aspekt, vielleicht nicht komplett freiwillig, einmal mehr.

Szene der Oper „Ernani“
Bregenzer Festspiele/Karl Forster
Wie ein überfülltes Instagram-Bild wirkte es, wenn auch der Chor in den kleinen Raum passen musste

Musik stellt Tragik und Komik gegenüber

Im Orchestergraben wurde indes ein musikalischer Kontrast zum Geschehen auf der Bühne gesetzt: Enrique Mazzola sorgte gemeinsam mit den Wiener Symphoniker für einen sanften Gegenpol zur Bildgewalt. Verdis Kompositionen in „Ernani“ neigen dazu, in dramatischen Momenten fast dahinzuplätschern, und stellen damit Tragik und Komik oft direkt gegenüber, Mazzola arbeitete das gekonnt heraus.

Pirgu überzeugte als Tenor bei der Premiere und erntete mehrfachen Szenenapplaus, auch Juric vermochte es, dem alten Silva mit seiner Bassstimme seinen Stempel aufzudrücken. Nicht nur am tosenden Beifall zeigte sich, dass die Sopranistin Yu für die Rolle der Elvira besonders gut ausgesucht war. Extra Applaus erntete Bariton Vasallo für seinen Don Carlo – wohl auch, weil er so wirkte, als wäre er selbst beim Schlussapplaus noch in seiner Rolle als spanischer König geblieben, sehr zur Unterhaltung des Publikums.

Szene der Oper „Ernani“
Bregenzer Festspiele/Karl Forster
Die Sopranistin Yu bekam für ihre Rolle als Elvira viel Beifall

Gewagte Verdi-Interpretation stößt auf Anklang

Unmittelbar vor dem letzten Vorhang, nach gut zweieinhalb Stunden, stirbt Ernani auf der Bühne – als vielleicht einziger tragischer Höhepunkt der Inszenierung. De Beer setzte alles auf die der Oper anhaftende Tragikomik, ohne dabei in Klamauk abzurutschen. Das Ergebnis ist vielleicht unterhaltsamer, als es Verdi angedacht hatte. Der Ansatz der Niederländerin geht aber über 175 Jahre nach der Uraufführung letztlich auf, auch wenn die Symphoniker unter Mazzola den kräftigsten Applaus am Premierenabend in Bregenz ernteten.