Frachtschiffe im Schwarzen Meer
AP/Khalil Hamra
Moskau

Schiffe mit Ziel Ukraine künftig „Gegner“

Nach dem Ende des Abkommens über die Ausfuhr ukrainischen Getreides will Russland Schiffe in den betroffenen Gebieten des Schwarzen Meeres als „Gegner“ einstufen. Ab Mitternacht würden die Schiffe als „potenzielle Träger militärischer Fracht“ eingestuft, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Kiew forderte unterdessen „internationale Patrouillen“ im Schwarzen Meer für Getreideexporte.

Aus Moskau hieß es weiter, Länder, unter deren Flagge Frachtschiffe auf dem Weg in ukrainische Häfen fahren, würden künftig als Konfliktparteien gewertet. Kreml-Chef Wladimir Putin erklärte am Mittwoch, eine Wiederaufnahme des Getreideabkommens sei nicht ausgeschlossen – allerdings nur unter russischen Bedingungen.

Moskau sei vom Westen ursprünglich die Erfüllung mehrerer Forderungen zugesichert worden, sagte Putin der Agentur Interfax zufolge bei einem Treffen mit Regierungsvertretern. „Sobald alle diese Bedingungen, auf die wir uns früher geeinigt haben, erfüllt sind (…), werden wir sofort zu diesem Abkommen zurückkehren.“ Russland, das seit rund 17 Monaten einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt, hatte die Vereinbarung am Montag unter großem internationalen Protest für beendet erklärt. Moskau behauptet, westliche Staaten hätten angeblich die zugesicherten Erleichterungen für russische Dünge- und Nahrungsmittelexporte nicht ausreichend umgesetzt.

Verstärkte Angriffe auf Odessa

Die für den Getreideexport wichtige südukrainische Hafenstadt Odessa war zuvor erneut unter Beschuss geraten. In der Nacht auf Mittwoch waren lokalen Medienberichten zufolge Explosionen in der Stadt zu hören. Die Luftverteidigung sei aktiv gewesen. Bereits am Dienstag hatte Russland wenige Stunden nach Auslaufen des Getreidedeals die Region mit Luftangriffen überzogen. Das Verteidigungsministerium in Moskau bestätigte später die Angriffe.

Angriffe auf Odessa

Der Bürgermeister von Odessa spricht von der größten Angriffswelle seit Beginn des russischen Einmarschs. Russland wolle durch die Angriffe Getreideexporte aus der Hafenstadt verhindern, heißt es aus Kiew.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte, Russland habe gezielt Standorte für ukrainische Getreideexporte angegriffen. So habe Moskau in der Nacht auf Mittwoch in der Region Odessa „absichtlich die Infrastruktur des Getreideabkommens ins Visier genommen“, erklärte Selenskyj. Kiew verhandelt derweil eigenen Angaben zufolge mit anderen Schwarzmeer-Ländern über eine Militärpatrouille unter Mandat der Vereinten Nationen, um die Exporte fortsetzen zu können.

In seiner abendlichen Videoansprache forderte Selenskyj weitere Hilfe bei der Luftverteidigung. „Bei jedem solchen Angriff appellieren wir immer wieder an unsere Partner: Die ukrainische Luftverteidigung muss gestärkt werden.“

Marschflugkörper abgefangen

Russland habe im Lauf der vergangenen 24 Stunden sechs Marschflugkörper vom Typ Kalibr auf die Ukraine abgeschossen, teilte der ukrainische Generalstab in seinem Morgenbericht am Mittwoch mit. Alle Kalibr seien abgefangen worden. Von 35 russischen Kampfdrohnen habe die ukrainische Luftabwehr 31 zerstört.

Der Bürgermeister von Odessa, Hennadij Truchanow, schrieb am Mittwoch auf Facebook: „Einen solchen großen Angriff haben wir seit dem Beginn des großangelegten (russischen) Einmarsches nicht erlebt.“ In der Stadt seien mehrere Gebäude durch Explosionen beschädigt worden. Laut Behörden wurden mindestens sechs Menschen verletzt.

Lebensmittellager und Hafenterminals zerstört

Dem Südkommando der ukrainischen Streitkräfte zufolge wurden Hafenanlagen mit einem Getreide- und einem Speiseölterminal getroffen. Beschädigt wurden auch Tanks und Verladeanlagen. Im Stadtgebiet von Odessa seien auch Lagergebäude zerstört worden. Zudem sei auf einer Fläche von 3.000 Quadratmetern ein Brand ausgebrochen.

Bei einem Angriff auf den Hafen von Tschornomorsk etwa 20 Kilometer südwestlich von Odessa sind nach ukrainischen Angaben rund 60.000 Tonnen Getreide zerstört worden. Ein beträchtlicher Teil der Infrastruktur in dem Hafen für den Getreideexport sei beschädigt worden, teilte Landwirtschaftsminister Mykola Solsky mit. Das Getreide hätte vor 60 Tagen verladen und verschifft werden sollen.

Explosionen auf Krim

Auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim mussten unterdessen mehr als 2.000 Menschen in Sicherheit gebracht werden. Betroffen seien die Einwohnerinnen und Einwohner von vier angrenzenden Ortschaften, teilte der örtliche Gouverneur Sergej Axjonow via Telegram mit. Am Mittwoch seien große Mengen Munition in die Luft geflogen – die staatliche russische Nachrichtenagentur TASS berichtete unter Berufung auf einen Korrespondenten an Ort und Stelle von Explosionen. In Moskau wurde Präsident Wladimir Putin über das Ereignis informiert, wie Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte.

TASS veröffentlichte ein bei Tageslicht aufgenommenes Video, das eine Kettenexplosion von Munition zeigte. Ähnliche Videos, aber aufgenommen bei Nacht, wurden schon seit der Früh im Internet geteilt. Demzufolge schienen die Explosionen über Stunden anzudauern. Ein Teil der wichtigsten Straße über die Halbinsel von Simferopol nach Kertsch im Osten der Halbinsel sei gesperrt worden, teilte der russische Krim-Verwaltungschef Axjonow mit. Der Verkehr werde örtlich umgelenkt.

In Odessa werde die Arbeit auch während der russischen Angriffe fortgesetzt, betonte Serhij Bratschuk, der Sprecher der Militärverwaltung der Hafenstadt. Russland versuche, „die ganze Welt in Angst und Schrecken zu versetzen, vor allem diejenigen, die für den Getreidekorridor arbeiten wollen (…) die Ukraine, die Türkei und die Vereinten Nationen. Aber ich denke, dass alle normalen, vernünftigen Menschen auf uns schauen werden und sagen: Odessa hatte keine Angst, hat keine Angst und wird keine Angst haben – wir werden arbeiten“, so Bratschuk in einer Sprachnachricht auf seinem Telegram-Kanal.