Türkisches Frachtschiff TQ Samsun verlässt den Hafen von Odessa
Reuters/Serhii Smolientsev
Russische Marine

Neue Drohgebärden und weitere Angriffe

Nach dem Ausstieg Russlands aus dem Getreidedeal mit der Ukraine stehen die Zeichen im Schwarzen Meer auf Eskalation. Nach der russischen Ankündigung, alle Schiffe ins Visier zu nehmen, die ukrainische Häfen ansteuern, hielt die russische Schwarzmeer-Flotte eine Übung mit scharfer Munition ab, wie es aus Moskau hieß. Gleichzeitig ging der russische Beschuss der Hafenstadt Odessa den vierten Tag in Folge weiter – wieder gab es Verletzte.

Zuletzt hatte auch die Ukraine gedroht, alle Schiffe, die russische oder russisch besetzte Häfen ansteuern, als potenzielle Träger militärischer Fracht zu sehen. Das Verteidigungsministerium verwies am Donnerstag darauf, dass solche Schiffe als Transporte von „Fracht militärischer Bestimmung“ angesehen werden könnten. In ähnlicher Weise war zuvor die russische Drohung formuliert – hierbei war von Schiffen die Rede, „die potenziell militärische Ladung transportieren“.

Zielschiff mit Anti-Schiff-Raketen beschossen

Bei der russischen Übung mit scharfer Munition sei im Nordwesten des Schwarzen Meeres ein Zielschiff mit Anti-Schiff-Raketen beschossen und zerstört worden, erklärte das russische Verteidigungsministerium am Freitag via Telegram. Bei der Übung hätten die beteiligten Schiffe und Marineflugzeuge zudem Maßnahmen zur „Abriegelung des vorübergehend für die Schifffahrt gesperrten Gebiets“ ergriffen und das Festhalten eines angreifenden Schiffs erprobt.

Russland hatte nach dem Auslaufen des Getreidedeals nicht näher bezeichnete Gebiete in den „nordwestlichen und südöstlichen Gebieten der internationalen Gewässer des Schwarzen Meeres“ als „vorübergehend gefährlich für die Durchfahrt“ erklärt. Schiffsrouten ohne russische Beteiligung einzurichten sei mit „Risiken“ verbunden. Kiew hatte zuvor erklärt, trotz des russischen Rückzugs aus dem Getreidedeal zur weiteren Ausfuhr aus den eigenen Schwarzmeer-Häfen bereit zu sein.

Russisches Außenministerium relativiert

Was die russischen Drohungen gegen zivile Schiffe im Schwarzen Meer betrifft, schwächte das Außenministerium in Moskau am Freitag die Erklärung des russischen Verteidigungsministeriums vom Mittwoch ab. Dessen Erklärung, dass Russland zivile Schiffe im Schwarzen Meer nun als Träger militärischer Ladungen erachten würde, beziehe sich auf Anfragen zur Überprüfung der jeweiligen Ladung, erläuterte der russische Vizeaußenminister Sergej Werschinin laut der Nachrichtenagentur RIA Nowosti.

Werschinins Interpretation passte freilich nicht ganz zu einer Passage der ursprünglichen Aussendung des Verteidigungsministeriums, in der die Flaggenstaaten der betreffenden Schiffe im Schwarzen Meer zu Kriegsparteien aufseiten des „Kiewer Regimes“ erklärt wurden. Gerade auch deshalb war die Ankündigung des Verteidigungsministeriums als konkrete militärische Drohung gegen zivile Schiffe verstanden worden.

Getreidespeicher in Odessa bleiben russisches Ziel

Unterdessen wurden bei neuen russischen Raketenangriffen auf Odessa nach Angaben der Behörden mindestens zwei Menschen verletzt worden. „Im Morgengrauen haben die Russen Raketen des Typs Kalibr von einem Raketenkreuzer abgeschossen, den sie nachts zum Patrouillieren ins Schwarze Meer entsandt haben“, sagte der Chef der Militärverwaltung, Oleh Kiper, am Freitag via Telegram.

Schwer beschädigtes, brennendes Getreidelager in der Region Odess
Reuters/Ukrainian Armed Forces
Ein Getreidelager in der Region Odessa nach dem russischen Beschuss am Freitag

Diesen Angaben zufolge galten die Angriffe einmal mehr Getreidespeichern. Odessa war einer der Häfen, über die die Ukraine im Rahmen des internationalen Getreidedeals Korn verschiffte. Russland ließ diese Vereinbarung zu Beginn der Woche auslaufen. Durch den Beschuss seien 100 Tonnen Erbsen und 20 Tonnen Gerste vernichtet worden, berichtete der Verwaltungschef. Durch die Explosion hätten zwei Menschen Schnittwunden erlitten, teilte Kiper weiter mit.

Nach Angaben der ukrainischen Heeresstelle Süd gab es zwei Raketenangriffe auf Odessa. Als die Lösch- und Rettungsarbeiten begonnen hätten, habe Russland eine weitere Rakete abgefeuert, teilte Sprecherin Natalia Humenjuk im Fernsehen mit. Glücklicherweise hätten sich die Rettungskräfte rechtzeitig in Sicherheit bringen können.

UNO verurteilt Angriffe, Sicherheitsrat tagt

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres verurteilte die Angriffe scharf. Die Zerstörung ziviler Infrastruktur könne einen Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht darstellen, kritisierte Guterres nach Angaben seines Sprechers. Auch die USA zeigten sich besorgt über die russischen Angriffe auf die Hafenstädte, wie die stellvertretende Präsidialamtssprecherin Olivia Dalton sagte. „Wir sind zutiefst besorgt über das, was wir derzeit im Schwarzen Meer sehen.“

Am Freitag tritt der UNO-Sicherheitsrat zu Beratungen über Russlands Rückzug aus dem Getreideabkommen zusammen. Dabei werde es um die Konsequenzen des Schritts für die humanitäre Lage gehen, sagte die britische Vertretung bei den Vereinten Nationen.

USA orten möglichen „Vorboten“ für False-Flag-Angriff

Gleichzeitig warnte die US-Regierung erneut davor, dass Moskau seine Angriffe auf zivile Schiffe im Schwarzen Meer ausweiten und diese dann der Ukraine zur Last legen könnte. „Unsere Informationen weisen darauf hin, dass Russland weitere Seeminen in den Zufahrten zu ukrainischen Häfen gelegt hat“, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, am Donnerstag.

Auch habe man „beobachtet, dass Russland ein Video der Entdeckung und Detonation einer – wie es behauptete – ukrainischen Seemine veröffentlicht hat.“ Es sei möglich, dass dieses Video ein „Vorbote“ für einen False-Flag-Angriff sein könnte.