Szene aus „Jedermann“
Matthias Horn
Salzburg

„Jedermann“ in der Klimaapokalypse

Apokalyptische Rauchschwaden, verbrannter Endzeitgarten: In der neuen „Jedermann“-Inszenierung bei den Salzburger Festspielen wird das Spiel vom Sterben des reichen Mannes in einer düsteren Zukunft verhandelt. Was liegt da näher als ein Klimaprotest? Er kam bei der Premiere am Freitag gleich doppelt: einmal als Teil der Inszenierung, einmal in echt. Gefeiert wurde am Ende zurückhaltend: Viel Applaus erntete das Ensemble und vor allem der neue Jedermann, Michael Maertens – großer Jubel blieb aber aus.

Jedermann hat ein wesentlich weniger angenehmes Leben als seine Vorgänger: Er wohnt nun in einer protzigen Bunkervilla, hinter dicken Türen zwar Reichtum, davor aber Elend und Siechtum. Gestalten in Plastiksäcken bevölkern die tristen Erdhügel, der Wind pfeift, und die Tischgesellschaft muss ohne Tisch und Essen auskommen. Kurz gesagt: Es ist auch in der Welt der „normalen“ Leute ungemütlich geworden.

Michael Sturminger ist mit seinem Ausstattungsduo Renate Martin und Andreas Donhauser seit 2017 auf seiner „Dombaustelle“ als Regisseur engagiert und hatte es in dieser Zeit mit schon drei Jedermännern – Tobias Moretti, Lars Eidinger und jetzt eben Maertens – zu tun (vier, wenn man Einspringer Philipp Hochmair mitzählt). Mit jedem Wechsel der Titelfigur ging eine Neuinszenierung Hand in Hand, was insofern Sinn ergibt, als auch die Charaktere der Schauspieler derart unterschiedlich, aber allesamt stark und auf ihre eigene Art prägnant den Abend dominierten.

Jedermann denkt nach

Und so ist es heuer nach einem polterndem Moretti und dem Berliner-Hipster-Guru Eidinger ein deutlich zurückhaltender, fast nachdenklicher „Jedermann“. Maertens, seit Jahren eine tragende Säule im Ensemble des Wiener Burgtheaters, spricht Hofmannsthals Text mit seiner markant-unverkennbaren Stimme. Wie in vielen Inszenierungen findet er auch im „Jedermann“ Momente, in denen er als Meister der Ironie brillieren kann – und das ohne die Ernsthaftigkeit dem Klamauk zu opfern.

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Michael Maertens (Jedermann), Valerie Pachner (Buhlschaft)
Matthias Horn
Michael Maertens und Valerie Pachner debütieren heuer gemeinsam als Jedermann und Buhlschaft
Anja Plaschg (Glaube), Michael Maertens (Jedermann), Valerie Pachner (Tod), Therese Troyer (Werke-Ensemble)
Matthias Horn
Für Musikerin Anja Plaschg alias Soap&Skin (ganz links) ist es die erste Schauspielrolle. Pachner (Mitte) darf nicht nur Buhlschaft sein, sondern auch der Tod, Therese Troyer (rechts) ist eine von Jedermanns Werken.
Colin Johner (Arme Nachbar·innen-Ensemble), Mirco Kreibich (Ein Schuldknecht), Birte Schnöink (Des Schuldknechts Weib), Katharina Rose (Arme Nachbar·innen), Peter Hörbiger (Schuldknechts Kind), Wilma Hörbiger (Schuldknechts Kind), Michael Maertens (Jedermann), Helmfried von Lüttichau (Jedermanns Guter Gesell)
Matthias Horn
Mit dabei sind auch Maertens Kinder Peter und Wilma Hörbiger, die in einigen Vorstellungen als Schuldknechts Kinder auf der Bühne stehen
Katharina Rose, Paula Jeckstadt, Ellen Krogh Skjølstrup (Tischgesellschaft), Valerie Pachner (Buhlschaft), Colin Johner (Tischgesellschaft), Fridolin Sandmeyer (Dünner Vetter), Birte Schnöink (Tischgesellschaft), Michael Maertens (Jedermann), Bruno Cathomas (Dicker Vetter)
Matthias Horn
Neu sind nicht nur viele Schauspielerinnen und Schauspieler des heurigen Ensembles, sondern auch Bühne und Kostüme von Renate Martin und Andreas Donhauser
Bruno Cathomas (Dicker Vetter), Fridolin Sandmeyer (Dünner Vetter), Michael Maertens (Jedermann)
Matthias Horn
Bruno Cathomas und Fridolin Sandmeyer treten als dicker und dünner Vetter auf
Mirco Kreibich (Mammon), Michael Maertens (Jedermann)
Matthias Horn
Marco Kreibich ist – auch in neuem Gewand – erneut Schuldknecht und hier im Bild Mammon
Raphael Nicholas, Theresa Dlouhy, Emanuel Fellmer (Werke-Ensemble), Birte Schnöink (Werke), Sarah Viktoria Frick (Teufel)
Matthias Horn
Ein ganzes Ensemble (Raphael Nicholas, Theresa Dlouhy, Emanuel Fellmer und Birte Schnöink) guter Werke siecht heuer auf dem Domplatz, als Teufel kommt Sarah Viktoria Frick zuerst im Gewand eines Geistlichen
Sarah Viktoria Frick (Teufel)
Matthias Horn
Doch unter der Soutane steckt ein wilder Teufel

Die Buhlschaft, kein Pupperl

Die Aussicht, dass er bald sterben muss, ist für diesen neuen Jedermann nur in wenigen Momenten Grund zur Panik, eher kindlich-naiv erkennend leuchtet ihm sein Schicksal langsam ein. Fast schüchtern nähert er sich auch der Buhlschaft, als Paar sind sie sympathisch. Gespielt von der doch wesentlich jüngeren Valerie Pachner ist sie trotzdem nicht sein „dummes Pupperl“ und muss sich nicht übererotisch inszenieren oder lasziv tanzen.

Gern als „wichtigste“ kleine Partie beschrieben und früher schon öfter größer gemacht, ist die Buhlschaft jetzt wieder eine kurze Nebenrolle – Pachner bekommt ihren großen Auftritt aber auch noch als Tod. Wie ein unheimlicher Todesengel besucht sie den Jedermann, lässt ihm eine kurze Chance zur Läuterung und nimmt ihn letztlich doch mit sich. Ein sanfter Schlafes Bruder, mit einem erlösenden Kuss am Ende schließt sich der Kreis, erschließt sich die Doppelbesetzung.

„Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen

Am 21. Juli feiert der „Jedermann“ Premiere bei den Salzburger Festspielen. Als Jedermann ist heuer Michael Maertens zu sehen, Valerie Pachner übernimmt eine Doppelrolle und tritt als Buhlschaft und als Tod auf die Bühne.

Doppelte Besetzung, weibliche Welt

Was die weitere Riege der Nebenrollen – einmal mehr heuer auch wieder hochkarätig besetzt – ging Sturminger recht frei ans Werk und übernahm hier und da Konstellationen und Ideen aus seinen letzten „Jedermännern“, anderes überdachte er gänzlich neu. Treu geblieben ist er dem Prinzip, viele Rollen doppelt zu besetzen, und dem Bestreben nach einer möglichst weiblichen Besetzung.

So ist Sarah Viktoria Frick als Gott (bzw.: Göttin) und Teufel zu sehen. Während sie in der ersten Rolle zu Beginn des Stücks als eigenartig archaisches Wesen mit langen Dreadlocks aus der Erde kriecht, zeigt sie sich als gewitzter Teufel erst im Priesterkostüm, später im Nacktanzug agil und selbstbewusst. Mit kurzem Stummelpenis (hübsch auch die Idee, zum Applaus eine Unterhose zu tragen) wäre sie hoch motiviert kampfbereit gegenüber dem standhaften Glauben, bekannterweise unterliegt sie dabei und muss nach einem amüsanten Auftritt wie ein geprügelter Hund abtreten.

Michael Maertens (Jedermann), Valerie Pachner (Buhlschaft), Raphael Nicholas (Tischgesellschaft)
Matthias Horn
Die Welt ist auch zu Beginn nicht mehr in Ordnung, das lässt sich für Jedermann aber noch ausblenden

Der Glaube guter Hoffnung

Mit Anja Plaschg, in Österreich und darüber hinaus besser bekannt als Sängerin Soap&Skin, spielt der Glaube heuer nicht nur auf einer Metaebene, sondern auch auf der Bühne eine größere Rolle.

Hinweis

„Jedermann“ ist bei den Salzburger Festspielen noch bis 29. August auf dem Domplatz (bei Schlechtwetter im Großen Festspielhaus) zu sehen.

Bei ihrem Schauspieldebüt eröffnet Plaschg den Abend mit einer Ouvertüre, die sich aus einem Endzeit-Soundteppich erhebt, der sich mit der weiterentwickelten Komposition von Wolfgang Mitterer und dem Ensemble 021 über den Abend hin fortsetzt. Geblieben ist das schon in den Vorjahren irritierende Kostüm – Glatze, weiße wallende Schleppe und freigelegter Schwangerschaftsbauch – der Glaube ist guter Hoffnung und trägt sie sichtbar vor sich her.

In Weiß sind auch die Werke, Jedermanns schwache Sammlung guter Taten. Statt in einer Figur vereint ist es eine Gruppe Schauspielerinnen (Theresa Dlouhy, Paula Jeckstadt, Colin Johner, Raphael Nicholas, Katharina Rose, Ellen Krogh Skjolstrup, Therese Troyer und Birte Schnöink), die auch als Tischgesellschaft und Nachbarinnen zu sehen sind.

Eine schauspielerisch ganz wunderbare Kombination zum Maertens-Jedermann ist Nicole Heesters. Rund 50 Jahre nach ihrem Engagement als Buhlschaft (neben Jedermann Curd Jürgens) ist sie – wie schon andere Buhlschaften vor ihr – als Jedermanns Mutter zurückgekehrt. Elegant und mit einem ähnlichen Gespür für feinen Humor gelingt der Dialog der beiden zu einem Höhepunkt des Abends.

Der letzte Walzer

Ebenfalls zu den berührenden Momenten zählt der Abschied Jedermanns von seinem Geld. Das letzte Hemd hat keine Taschen, wie es heißt, und auch der Mammon, gespielt von Mirco Kreibich (in Doppelrolle auch als Schuldknecht zu sehen), will nicht mit seinem Besitzer ins Grab gehen. In goldenem Tutu und mit Goldkonfettikanone tanzt er mit Jedermann den letzten Walzer – ein musikalisches Zitat aus dem Rosenkavalier – und lässt ihn damit allein zurück.

Bei den beiden Vettern – Bruno Cathomas (der Dicke) und Fridolin Sandmeyer (der Dünne) wäre ein Bruchteil der Übertreibung wohl auch lustig genug gewesen, ob das gebotene Ausmaß nötig ist, darüber müsste man streiten.

Bruno Cathomas (Dicker Vetter), Fridolin Sandmeyer (Dünner Vetter), Michael Maertens (Jedermann)
Matthias Horn
Mit Karikaturen – wie dem dicken und dem dünnen Vetter – ist Jedermann in dieser Inszenierung umgeben

Weniger wäre mehr

Erstaunlicherweise sorgte der letzte „Jedermann“ zwar rundherum für Aufregung (Stichwort: kurze Buhlschaftshaare), erwies sich aber als recht massentauglich und letztlich gefällig: zufriedenes Publikum, großteils ausgezeichnete Kritiken. Heuer blieb das große Blätterrauschen im Vorfeld eher aus, nach der Premiere wird er wohl deutlich stärker polarisieren. Sturminger wurde bei seinem dritten Anlauf einmal mehr radikaler in der Interpretation, abstrakter und trotzdem näher an der Wirklichkeit. Aber mehr ist für ihn immer noch mehr, und letzten Endes tut die Überfrachtung an Ideen dem Abend schon wieder nicht gut.

Dass sich die Festspiele heuer auf Klimaproteste eingestellt haben, wurde bereits bei der Premiere auf die Probe gestellt. Kurz nachdem inszenierte Aktivisten mit Warnwesten auf die Bühne gestürmt und die Fassade von Jedermanns Villa mit Farbe besprüht hatten, meldeten sich Mitglieder der „Letzten Generation“ (die sich danach per Twitter zur Aktion bekannte) im Zuschauerraum mit lauten Zwischenrufen zu Wort – noch bevor das Publikum die Störaktion einordnen konnte, waren die Aktivistin und die beiden Aktivisten bereits aus dem Saal eskortiert.