Israelischer Soldat und F-16 Kampfjet.
AP/Tsafrir Abayov
Justizumbau in Israel

Heftiger Widerstand in Armee

In Israel steuert der seit Monaten umstrittene, von der rechtsreligiösen Regierung vorangetriebene Justizumbau einem kritischen Punkt zu: Am Montag soll der erste Teil des Gesetzespakets beschlossen werden. Neben Massenprotesten drohen nun mehr als 1.100 Kampfpiloten und andere Angehörige der Luftstreitkräfte damit, in diesem Fall nicht mehr für die nötigen Übungen einzurücken. Das hat den Druck auf die Regierung, einen Kompromiss mit der Opposition zu finden, schlagartig erhöht.

Kurz vor der entscheidenden Abstimmung im Parlament schaltete sich Israels Verteidigungsminister Joav Galant daher Freitagabend im Streit über den Umbau der Justiz ein. Er reagierte damit auf den am Freitag veröffentlichten Brief von mehr als 1.000 Reservistinnen und Reservisten der israelischen Luftstreitkräfte, darunter Hunderte Kampfpiloten. Sie kündigten an, nicht mehr zu den regelmäßigen Übungen einzurücken, sollte das Gesetz beschlossen werden.

„Galant ergreift aktuell Maßnahmen, um einen breiten Konsens zu erreichen und die Sicherheit des Staates Israel zu gewährleisten“, hieß es gestern Abend auf Nachfrage aus seinem Büro. Die Ankündigung der Reservisten ist der bisher mit Abstand größte Widerstand innerhalb der Armee gegen den Justizumbau, mit dem Kritikerinnen und Kritiker die Demokratie bedroht sehen.

Zuvor hatten mehr als 400 Soldatinnen und Soldaten aus anderen Einheiten, darunter Elitesoldaten, sich bereits geweigert, zu Übungen einzurücken.

Reservisten für Luftstreitkräfte unersetzbar

Besonders bei den Kampfpilotinnen und -piloten sind die Reservisten aber entscheidend, da sie viel mehr Erfahrung haben als viele der jüngeren und im aktiven Dienst stehenden. Sie haben teils wöchentlich Übungen, um entsprechend einsatzbereit zu sein, und würden die Einsatzbereitschaft durch ein monatelanges Fernbleiben von den Übungen verlieren. Das könnte die volle Einsatzfähigkeit der Luftstreitkräfte im Ernstfall gefährden.

Laut israelischen Medienberichten soll es das ganze Wochenende lang weiter fieberhafte Gespräche geben, um doch noch einen Kompromiss zu erreichen. Galant könnte andernfalls auch auf eine Verschiebung drängen, hieß es weiters. Derzeit ist völlig unklar, ob eine Einigung angesichts der starren Fronten erreicht werden kann.

Israel: Widerstand in Armee gegen Justizumbau

In Israel hat es im Zuge der Proteste gegen die Justizreform der Regierung Netanjahu erneut Ausschreitungen und Zusammenstöße mit der Polizei gegeben. Nun kommt auch Widerstand aus der Armee. Immer mehr israelische Reservistinnen und Reservisten drohen, den Dienst zu verweigern.

Politisches Überleben und Grundsatzfragen

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat wegen mehrerer Anklagen – unter anderem wegen Korruption – starkes Eigeninteresse, die Justiz zu schwächen. Dazu kommen seine rechten bis rechtsradikalen Koalitionspartner, die sich seit Jahren die Schwächung der Justiz auf die Fahne geheftet haben und ohne die Netanjahu sich nicht an der Macht halten kann. Die Basis zu allen gemäßigten und Mitte-links-Parteien hat Netanjahu in früheren Koalitionen zerstört. Keine von ihnen ist bereit, mit Netanjahu nochmals eine Koalition zu bilden.

Im Hintergrund geht es – nicht zuletzt aufgrund eines demografischen Wandels (steigender Anteil von Religiösen und Palästinensern, Anm.) – um grundsätzliche Fragen für das Land: Wie säkular bzw. wie religiös soll das öffentliche Leben sein? Wie viele Rechte sollen Minderheiten, etwa die rund 20 Prozent der Gesamtbevölkerung umfassenden israelischen Palästinenserinnen und Palästinenser haben? Und, anhand des Konflikts um jüdische Siedlungen in besetzten Gebieten: Wie soll das Zusammenleben mit den Palästinensern und eine dauerhafte Lösung des Konflikts aussehen?

Argumente der „Sarbanim“

Die „Sarbanim“ in der Armee („Verweigerer“ – allerdings verweigern sie nur Übungen, nicht den Einsatz im Ernstfall, Anm.) führen neben der Sorge um die Demokratie auch ganz direkte Bedenken an: Juristischen Einschätzungen zufolge könnte die Schwächung der Justiz dazu führen, dass diese international nicht mehr als unabhängig anerkannt wird. Das würde den Weg für Verhaftungen Armeeangehöriger im Ausland und Anklage wegen möglicher Kriegsverbrechen vor dem Internationalen Strafgerichtshof eröffnen. Damit könnten diese nicht mehr sicher ins Ausland reisen.

Seit Monaten permanent Demos

Gegen das umfassende gesetzliche Vorhaben gehen seit mehr als einem halben Jahr regelmäßig Zehntausende Israelis und Israelinnen auf die Straßen. Ein tagelanger Protestmarsch traf am Samstage in Jerusalem ein. Mehrere hundert Demonstrierende hatten am Dienstag die rund 70 Kilometer lange Wanderung von Tel Aviv nach Jerusalem begonnen. In den vergangenen Tagen wurde der kilometerlange Protestzug immer größer.

Demonstranten in Jerusalem
Reuters/Ronen Zvulun
Protestmarsch erreicht Jerusalem

Nach Schätzungen des israelischen Senders Channel 13 nahmen am Samstag mehr als 70.000 Menschen teil. Ihr Plan sei, die Nacht auf Sonntag vor dem Parlament zu verbringen. Am Sonntagabend soll es zudem eine Demonstration von Befürworterinnen und Befürwortern der Reform in Tel Aviv geben.

Mehrere Minister aus der Regierung verurteilten die Drohung der Reservisten und betonten, sich nicht darauf einzulassen. Der rechtsgerichtete Finanzminister Besalel Smotrich schrieb auf Facebook: „Ein Land, das sich den Drohungen der Generäle unterwirft, wird tatsächlich zu einem Land, das von einer Militärjunta regiert wird.“ Kein einziger im aktiven Dienst stehender General nimmt an den Protesten teil, allerdings mehrere Ex-Generäle.

Justiz soll stark geschwächt werden

Netanjahu hatte Galant im März entlassen, nachdem dieser öffentlich zu einem Stopp der Pläne aufgerufen und davor gewarnt hatte, dass die nationale Sicherheit schweren Schaden nehmen könnte. Auf seine Entlassung folgten heftige Proteste und ein Generalstreik. Der Regierungschef setzte damals die Pläne aus, Galants Entlassung wurde später rückgängig gemacht.

Israels Regierung will das Höchste Gericht im Land gezielt schwächen. Ihrer Ansicht nach hat die unabhängige Justiz zu viel Einfluss auf politische Entscheidungen. Zuletzt hatte auch US-Präsident Joe Biden – die USA sind der mit Abstand wichtigste Verbündete Israels – offen auf einen Kompromiss gedrängt.