Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP)
APA/Georg Hochmuth
Sommerministerrat

Kassenärzte sollen „Startbonus“ bekommen

Der traditionelle Sommerministerrat ist am Dienstag in Wien über die Bühne gegangen, eine große Inszenierung hat man sich heuer gespart. Beschlossen wurden einige Schritte im Gesundheitsbereich, die auch ohne Zustimmung der Bundesländer möglich sind. Dazu gehören etwa zusätzliche Kassenarztstellen, ein „Startbonus“ und eine bessere Medikamentenbevorratung, um Engpässe künftig zu vermeiden.

Bis in die Nacht hinein wurde noch verhandelt, um am Dienstag nach dem Sommerministerrat den „Fünfpunkteplan“ präsentieren zu können. Das Maßnahmenpaket, das im Sommerministerrat im Kanzleramt beschlossen wurde, koste bis zu 200 Millionen Euro, wie Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler und Gesundheitsminister Johannes Rauch (beide Grüne) sagten.

Dazu gehören wie schon mehrfach angekündigt hundert neue Kassenarztstellen bis zum Jahresende. Vor allem in den Fachbereichen Gynäkologie, Kinder- und Jugendheilkunde sowie Allgemeinmedizin will die Regierung die Errichtung einer Kassenpraxis zusätzlich durch einen „Startbonus“ von bis zu 100.000 Euro unterstützen. Von diesem Bonus sollen auch Stellen, die bisher trotz Ausschreibung wiederholt nicht besetzt werden konnten, profitieren.

Der „Startbonus“, zunächst bis Jahresende angesetzt, soll beispielsweise für die Errichtung oder Übernahme der Infrastruktur einer Ordination verwendet werden können. Zudem soll per Gesetz ein Facharzt für Allgemein- und Familienmedizin geschaffen werden, womit der Beruf des Allgemeinmediziners bzw. der Allgemeinmedizinerin attraktiver werden soll. Eine entsprechende Novelle des Ärztegesetzes wird im Sommer in Begutachtung geschickt.

Ministerrat treibt Gesundheitsreform voran

Die Regierung hat einen Sommerministerrat abgehalten. An oberster Stelle der Agenda stand die Gesundheitsreform.

Während die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) davon ausgeht, dass hundert neue Kassenstellen noch heuer nicht mehr besetzt werden können, zeigten sich die Regierungsmitglieder zuversichtlich. Die Attraktivität von Kassenstellen werde erhöht, so Rauch. Bei den Finanzausgleichsverhandlungen seien schließlich auch ein einheitlicher Leistungskatalog und ein Gesamtvertrag Thema.

Lager für Wirkstoffe

Auch gegen Medikamentenmangel gibt es nun Maßnahmen: Es soll ein Lager für wichtige Wirkstoffe angelegt werden, auf das Apotheken zugreifen können, um Medikamente selbst zubereiten zu können – wie es etwa in den vergangenen Monaten schon der Fall war. Darüber hinaus werden Maßnahmen zur Stärkung der Transparenz bei Versorgungsengpässen ergriffen. Eltern sollen sich im Winter keine Sorgen mehr machen müssen, ob sie Antibiotika für ihre Kinder bekommen, so Rauch. Auf europäischer Ebene gelte es, die Abhängigkeit von China zu verringern.

Minister Rauch (Grüne) zur Gesundheitsreform

Die Regierung verspricht 100 neue Stellen für Kassenärztinnen und -ärzte bis Jahresende. Das allein werde aber nicht reichen, um das marode System zu kitten, kritisieren Fachleute.

Wieder verlängert wird das Projekt „Gesund aus der Krise“ zur psychosozialen Versorgung von Kindern und Jugendlichen. Damit sollen zusätzlich 10.000 Kinder und Jugendliche kostenlose psychologische Unterstützung und Psychotherapie erhalten. Um den Bedarf an psychosozialer Versorgung besser zu decken, sollen klinisch-psychologische Behandlungen sozialversicherungsrechtlich der Psychotherapie gleichgestellt werden. Die Ausbildung für Psychotherapeutinnen und -therapeuten soll künftig an Universitäten angeboten werden.

Chronisch Kranke digital begleitet

Der vierte Punkt betrifft Präventionsprogramme: Sie sollen etwa mittels Anreizen, regelmäßig Vorsorgeuntersuchungen zu machen, ausgebaut werden. Geplant ist auch der Aufbau eines bundesweiten Darmkrebs-Screening-Programms. Rauch sagte, er hätte sich seine eigene Darmkrebserkrankung ersparen können, hätte es dieses Programm gegeben.

Außerdem will die Regierung ein Pilotprojekt zur digitalen Begleitung chronisch Kranker starten. So sollen etwa Menschen mit chronischen Krankheiten, Diabetes oder Migräne einen digitalen Begleiter (z. B. über eine Handy-App) erhalten, der sie im Alltag unterstützt und Symptome dokumentiert. „Digital vor ambulant vor stationär“ soll schließlich auch der Zugang zum Gesundheitssystem funktionieren, so Rauch.

Optimismus vor Finanzausgleich

Schwieriger dürften die Verhandlungen zu Punkten werden, bei denen auch die anderen Aktanten im Gesundheitsbereich mitreden, allen voran die Bundesländer. Bezüglich struktureller Reformen wird hier im Zuge des Finanzausgleichs weiterverhandelt. „Unser Ziel ist und bleibt: Alle Menschen sollen die bestmögliche medizinische Versorgung bekommen, egal, wo sie leben“, so Nehammer am Dienstag im Bundeskanzleramt. Gerade die zusätzlichen Kassenstellen würden den Ärztemangel auf dem Land entschärfen und gleichzeitig die Spitäler entlasten.

Stribl (ORF) zum Sommerministerrat

Simone Stribl (ORF) berichtete aus dem Bundeskanzleramt über die Vorhaben des Sommerministerrats, die Gesundheitsreform voranzutreiben.

Kogler bemängelte, es sei in den vergangenen Jahrzehnten einiges im Gesundheitsbereich „liegen gelassen“ worden. Es sei Aufgabe von Bund und Ländern, die Probleme im Gesundheitssystem anzugehen. „Mit dem heutigen Paket gehen wir die nächsten Schritte.“ Rauch lobte „das größte Reformpaket der letzten Jahre“. Das nun vorgelegte Paket enthalte „wichtige Maßnahmen, die für die Patientinnen und Patienten rasch wirksam werden“. Was die Gespräche zum Finanzausgleich betrifft, ortete Rauch „großes Einverständnis“, man sei auf einem guten Weg.

Förderung jüdischen Lebens erhöht

Ebenso im Ministerrat beschlossen wurde die Erhöhung der Förderung jüdischen Lebens auf sieben Millionen Euro rückwirkend mit 2023. „Das beste Mittel im Kampf gegen Antisemitismus ist die Förderung und die Sichtbarmachung jüdischen Lebens“, sagte Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP).

Grundlage ist das Gesetz über die Absicherung des Österreich-Jüdischen Kulturerbes (ÖJKG), das Teil der Nationalen Strategie gegen Antisemitismus ist und für die Israelitische Religionsgesellschaft seit 2020 eine jährliche Förderung in der Höhe von vier Mio. Euro vorsieht.

Die Zuwendungen sollen der jüdischen Gemeinde unmittelbar zugutekommen und unter anderem Maßnahmen im Bereich Sicherheit, Erhaltung und Pflege des Kulturerbes sowie Aufrechterhaltung des jüdischen Gemeindelebens unterstützen. Nach drei Jahren war eine Evaluierung vorgesehen, und diese hat laut Regierung eine Erhöhung der Fördersumme empfohlen. Das Gesetz geht nun in eine vierwöchige Begutachtung – mehr dazu in religion.ORF.at.

Opposition sieht keinen Fortschritt

Für SPÖ und FPÖ sind die am Dienstag vorgestellten Maßnahmen nicht zielführend, „weder gegen die Zweiklassenmedizin noch gegen die Teuerung“, so SPÖ-Klubobmann Philip Kucher. Schon jetzt könnten 300 Kassenstellen nicht besetzt werden. Es brauche eine Verdoppelung der Medizinstudienplätze in Österreich samt Bevorzugung jener, die bereit sind, dem österreichischen öffentlichen Gesundheitssystem (zum Beispiel im Rahmen eines Kassenarztvertrags auf dem Land) für eine gewisse Dauer zur Verfügung zu stehen.

Der Gesundheitssprecher der FPÖ, Gerhard Kaniak, sah bei der Bundesregierung „schiere Arbeitsverweigerung“. Das „Projekt Kassenarzt“ bleibe „unverändert und unattraktiv“, so Kaniak. „Da wird auch ein ‚Startbonus‘ nicht weiterhelfen können, wenn sich die Leistungsvergütungen weiterhin auf tiefstem Niveau befinden. Zudem wäre ein solcher Bonus ein Schlag ins Gesicht für all jene Kassenärzte, welche die Versorgung in den letzten Jahren aufrechterhalten haben.“

NEOS-Gesundheitssprecherin Fiona Fiedler sagte, mit dem Paket könne die Bundesregierung „nicht davon ablenken, dass wir immer noch auf grundlegende Strukturreformen im Gesundheitsbereich warten müssen, weil sie es nicht schaffen, sich mit den Ländern zu einigen“. Zudem verschweige die Bundesregierung, „dass sie die regionale Verteilung des Startbonus gar nicht eigenständig umsetzen kann“. Fiedler forderte Psychotherapie auf Krankenkassenkosten und sprach sich bei der Bevorratung von Medikamenten gegen nationale Alleingänge aus.

Die Ärztekammer begrüßte das Paket, forderte aber mehr. „Die Zustände sind schon seit einiger Zeit nicht mehr tragbar“, so Stefan Ferenci, Vizepräsident und Obmann der Kurie angestellte Ärzte der Wiener Ärztekammer. Erik Randall Huber, Obmann der Kurie niedergelassene Ärzte und Vizepräsident der Wiener Ärztekammer, forderte mehr Geld: „Die im Gesundheitspaket beschlossenen 200 Millionen Euro sind gut, aber eigentlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein, denn da fehlen noch immer 800 Millionen auf die seit Jahren versprochene Patientenmilliarde.“