Fans bei einem Rammstein-Konzert in einem Stadion
Getty Images/Richard Stokes
Rammstein-Vorwürfe

Viele Faktoren der Fantreue

Auch in Österreich sind Vorwürfe gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann erhoben worden. Die Reaktion von Teilen der Fangemeinschaft richtet sich dennoch nicht gegen die Band, sondern die Frauen, die öffentlich über das Erlebte sprechen. Hinter dem Verhalten liegen laut der Psychologin Beate Wimmer-Puchinger nicht nur persönliche Gründe – auch der Faktor Prominenz und die Bagatellisierung sexueller Gewalt spielten eine Rolle.

Das erste der beiden Wien-Konzerte der deutschen Band im Ernst-Happel-Stadion war von Protesten begleitet. Die NGO „#aufstehn“ rief unter dem Motto „Keine Bühne für mutmaßliche Täter“ zu einer Kundgebung auf. Laut Veranstaltungsteam beteiligten sich 1.800 Personen, die Polizei sprach von über 400 Teilnehmenden.

Am Rande der Demonstration kam es zu verbalen Auseinandersetzungen zwischen Protestierenden und Fans. Nach dem Konzert eskalierte die Situation: Ein ORF-Kamerateam und Musikreporter Dietmar Petschl wurden Ziel von teils antisemitischen Beschimpfungen und körperlichen Attacken. Die Politik reagierte empört – mehr dazu in wien.ORF.at. Lindemann selbst nahm beim Konzert am Donnerstag indirekt Stellung zum Angriff auf das ORF-Team. „Wir hassen Rassismus und Antisemitismus“, sagte der Rammstein-Sänger am Ende der Show.

Vorwürfe gegen Lindemann

Hintergrund der anhaltenden Proteste gegen Rammstein sind Vorwürfe zu sexueller Gewalt. Sie richten sich in der Mehrzahl der Fälle gegen Rammstein-Sänger Lindemann, zuletzt allerdings auch gegen Keyboarder Christian „Flake“ Lorenz. Im Fall Lindemanns ermittelt die Staatsanwaltschaft Berlin.

Rammstein: Angriff von Fans auf ORF-Team

Vor dem Rammstein-Konzert am Mittwoch in Wien haben etwa 1.800 Menschen protestiert und die Missbrauchsvorwürfe gegen Sänger Till Lindemann thematisiert. Die Stimmung war nach dem Konzert bei einigen Fans sehr aufgeheizt. Weil auch der ORF über neue Vorwürfe berichtete, waren das ORF-Kamerateam und Musikreporter Dietmar Petschl Ziel von verbalen und körperlichen Attacken.

Gegenüber dem ORF meldete sich zuletzt auch eine Betroffene in Österreich zu Wort. Im Zuge der Rammstein-„Stadium Tour“, die seit 2019 stattfindet, sei es ausdrücklich gegen ihren Willen zu einer gewalttätigen Handlung vonseiten Lindemanns gekommen. Der Sänger und sein Anwaltsteam weisen die Anschuldigungen zurück. Für alle Genannten gilt ausnahmslos die Unschuldsvermutung.

Volle Stadien

Wirtschaftlich halten sich die Auswirkungen der Vorwürfe auf die Band bisher in Grenzen. Die aktuelle Tournee führt Rammstein durch volle Stadien. Allein für die Wien-Shows gingen insgesamt mehr als 110.000 Tickets weg – eine große Anzahl davon bereits im Vorjahr nach Start des Vorverkaufs und damit, bevor erste Berichte über die „Row Zero“ publik wurden.

Während einige ehemalige Rammstein-Fans in Wien und anderen Städten den Auftritten fernblieben oder sich sogar den Protesten anschlossen, scheinen große Teile der Fangemeinde weiterhin hinter der Band zu stehen. Die betroffenen Frauen, die ihre Erlebnisse öffentlich machten, sehen sich dagegen in sozialen Netzwerken mit Beschimpfungen und Todesdrohungen konfrontiert.

„Die Auseinandersetzung spart man sich“

Das Eingeständnis, sich in einem seiner Idole womöglich geirrt zu haben, sei ein „Kraftakt“, sagt Wimmer-Puchinger, Präsidentin des Berufsverbandes Österreichischer PsychologInnen (BÖP). „Die Auseinandersetzung damit erspart man sich lieber.“

Teil einer Fangemeinschaft zu sein verstärke die Beibehaltung von Meinungen und Einstellungen. Eine „Umorientierung“ und den damit verbundenen Schritt aus der Community müsse man „nach innen und außen“ verteidigen. Und so seien viele eher geneigt, Handlungen eines Idols zu bagatellisieren oder zu entschuldigen, als sich selbst einen Irrtum einzugestehen.

Gerade in sozialen Netzwerken „wird die eigene Haltung proaktiv verteidigt“, sagt Wimmer-Puchinger. Die dafür verwendeten Argumente richten aus Sicht der Psychologin ein Brennglas auf den zweifelhaften Umgang der Gesellschaft mit sexueller Gewalt.

Schuldumkehr

So wird betroffenen Frauen vorgehalten, sich durch ihr Verhalten selbst zu Opfern gemacht zu haben. Im konkreten Fall wird ihnen die Teilnahme an Rammsteins After-Show-Partys und den privaten Partys von Sänger Lindemann zum Vorwurf gemacht. Tenor: Sie hätten wissen müssen, worauf sie sich einlassen.

Vorwürfe aus Österreich gegen Rammstein-Frontmann

Gegen den Frontmann der deutschen Band Rammstein haben mittlerweile einige Frauen Vorwürfe wegen angeblicher sexueller Übergriffe erhoben. Auch eine Österreicherin klagt jetzt über Gewalt durch Sänger Till Lindemann. Anzeige hat sie keine erstattet.

Hinter einer solchen Schuldumkehr stehe immer noch die Einstellung, „wenn Frauen sich nicht ‚moralisch‘ richtig verhalten, sind sie selbst schuld, wenn sie als Freiwild betrachtet werden“, kritisiert die Psychologin. Oder sie werden als Lügnerinnen dargestellt, die mit ihrer Geschichte nur das Rampenlicht suchen würden.

Generell zeige sich „einmal mehr, dass sexuelle Gewalt gesellschaftlich oftmals noch immer nicht als etwas Kriminelles und Zerstörendes anerkannt wird, das geahndet und diskriminiert werden muss“, sagt Wimmer-Puchinger. Das zeige sich auch an der geringen Zahl der Verurteilungen für Sexualstrafdelikte. Die Hemmschwelle von Frauen, ein solches Verbrechen überhaupt anzuzeigen, sei groß – vielfach aus Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird.

„Schützende Prominenz“

Hinzu kommt der Faktor Berühmtheit. „Prominenz schützt“, sagt die Psychologin, wie sich immer wieder bei Vorwürfen gegen Stars zeige. „Im Fan-Sein schwingen Bewunderung und Idealisierung mit.“ An Prominente werden andere Maßstäbe angelegt. Das kann zur Folge haben, dass gewisse Handlungen bagatellisiert werden.