Zwei Mitglieder des Sinaloa-Kartells füllen Fentanyl in Kapseln ab
Reuters/Alexandre Meneghini
Mexiko

Fentanyl verändert auch Drogenkartelle

Das künstlich erzeugte Opioid Fentanyl hinterlässt nicht nur in der US-Gesellschaft tiefe Spuren, es verändert auch die weltweiten Drogenmärkte und die Drogenkartelle dahinter. In Mexiko wirkt sich die Produktion der hochpotenten Droge auf ganze Landstriche aus: Wo früher Schlafmohn für Heroin wuchs, herrscht nun oftmals Armut, weil Produktion und Absatz wegbrachen. Der Drogenhandel und mit ihm die oft tödliche Gewalt sind hingegen geblieben.

Die mexikanische Hafenstadt Manzanillo mit rund 160.000 Einwohnern und Einwohnerinnen hat sich in den vergangenen Jahren zu einem der wichtigsten Umschlagplätze für Zutaten entwickelt, die für die Fentanyl-Produktion benötigt werden. Das berichtete die „Financial Times“ („FT“). In einem der größten Häfen Mexikos werden 30 Prozent der Importe des Landes abgewickelt.

In den rund 9.500 Containern, die täglich ankommen, würden unter den Unmengen an gelieferten Waren wie Kleidung und Milchpulver die geringen Mengen Chemikalien, die für die Herstellung von Fentanyl benötigt werden, kaum auffallen und nicht entdeckt werden, schrieb die Zeitung. Zudem könnten viele der Zutaten auch für legale Zwecke verwendet werden wie selbst Fentanyl, das eigentlich als Schmerzmittel zum Einsatz kommt.

Konfisziertes Fentany in Alameda, Kalifornien
AP/Alameda County Sheriff’s Office
Immer wieder werden große Mengen Fentanyl in den USA beschlagnahmt, wie hier in einem illegalen Labor

Oftmals bleiben die Lieferungen unentdeckt, Gewalt und vor allem Korruption beherrschen das Tagesgeschäft in Zoll und Hafen. Zudem hätten die laut einer Berechnung der Rand Corporation fünf Tonnen für einen Jahresbedarf der USA an Fentanyl locker in einem der gebräuchlichen Container Platz. Es gehe nicht um die Suche nach der Nadel im Heuhaufen, sondern um das Öhr der Nadel im Heuhaufen, so Peter Reuter von der Universität von Maryland gegenüber der „FT“.

Produktion unauffällig möglich

Die Zutaten werden laut „FT“ vom Hafen in den Norden Mexikos gebracht, gemischt und dann in Kapseln gefüllt bzw. als Pillen gepresst. Der Vorteil aus Sicht der Produzenten: Es werden keine großen Anbauflächen wie etwa für Schlafmohn und Cannabis benötigt, deren Wachstum noch dazu vom Wetter abhängt. Die Herstellung des Fentanyls selbst kann offenbar unauffällig in Wohnungen und auch in urbanen Gegenden vonstatten gehen.

Allerdings gehen auf diese Weise auch Tausende Arbeitsplätze verloren – statt entsprechend vieler Bauern und Landarbeiter braucht es nur mehr einige wenige hundert Drogenkocher, die quasi im Hinterzimmer Fentanyl brauen, rechnete ein Experte Reuters vor. Vor allem die Heroinproduktion ist mit dem Siegeszug von Fentanyl deutlich zurückgegangen, heißt von der UNO-Stelle für Drogen und Kriminalität (UNODC).

Bauern verlieren Lebensgrundlage

Die ihrer Grundlage beraubten Farmer und Farmerinnen würden nur mehr über einen Bruchteils des Einkommens verfügen, das sie zu den Boomzeiten des Heroins in den USA 2015 bis 2017 gehabt hätten, heißt es von der NGO Global Initiative Against Transnational Organized Crime. Eigentlich heiße es, dass Drogen das profitabelste Produkt der Welt und gegen jede Rezession immun seien, aber derzeit gebe es eine echte Wirtschaftskrise in diesem Bereich, so die NGO.

Drogenproduzent zeigt Bild Fentanyl-Tabletten
Reuters/Alexandre Meneghini
Die eigentlichen Produzenten der Droge stehen in der Rangordnung der Kartelle meist weit unten

Doch auch die neuen Produzenten werden nicht reich, sagen sie: In einem TV-Bericht in Mexiko kamen zuletzt junge Männer zu Wort, die in den Bergen von Sinaloa im Westen Mexikos Fentanyl abfüllten. 21.000 Kapseln füllen die beiden laut Angaben jede Woche mit Fentanyl, dafür würden sie 330 Dollar bekommen. Es sei nicht viel Geld und eine eintönige Beschäftigung, wurden sie zitiert, aber anderswo gebe es auch nicht mehr zu verdienen. Die fertig portionierten Drogen werden dann in die USA geschmuggelt und dort vertrieben.

Korruption und Gewalt dominieren Hafen

Im Hafen kämpfen die beiden Drogenkartelle Sinaloa und Cartel de Jalisco Nueva Generacion (CJNG) um die Vorherrschaft, und dabei sind sie nicht zimperlich. Binnen zwei Jahren wurden alleine vier Mitarbeiter des Zolls getötet. Die Bürgermeisterin der Stadt Manzanillo, Griselda Martinez, entkam 2019 selber knapp einem Attentat.

Seit vier Jahren lebt sie, von einem Dutzend bewaffneter Menschen bewacht, getrennt von ihrer Familie. „So sollte es nicht sein“, sagte Martinez gegenüber der Zeitung, „das sollte niemals normal sein.“ Immer wieder verschwinden Menschen und werden Gräber mit Dutzenden Leichen in Mexiko entdeckt.

Der mexikanische Staatschef Andres Manuel Lopez Obrador steht deswegen nicht nur im eigenen Land unter Druck, auch die USA verlangen entsprechende Schritte gegen die Drogenkartelle. Die US-Justiz hatte im April Anklage gegen eine Reihe von führenden Mitgliedern des Sinaloa-Kartells wegen Drogenschmuggels erhoben. Unter den 28 Angeklagten waren vier der Söhne des in den USA inhaftierten Drogenbosses „El Chapo“ Guzman. Bei der Festname eines Sohnes wurden in Mexiko 29 Menschen getötet – darunter zehn Militärangehörige.

US-Vizepräsidentin Kamala  Harris bei einem Treffen zur Fentanylkrise in Washington
Reuters/Kevin Lamarque
Die Opioidkrise ist auch für die US-Politik ein großes Problem

Die Rohstoffe für die Produktion bezieht die Drogenmafia laut der US-Drogenbehörde (DEA) größtenteils aus China – was auch zwischen den USA und China für Missstimmung sorgt. Ende 2022 bilanzierte die DEA, dass allein mit der in dem Jahr beschlagnahmten Menge Fentanyl theoretisch alle rund 333 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner der USA hätten getötet werden können.

Fentanyl 50 Mal stärker als Heroin

Fentanyl ist ein synthetisches Opioid, das 50-mal stärker wirkt als Heroin. Pharmazeutisches Fentanyl ist für die Behandlung starker Schmerzen zugelassen. Illegal hergestelltes Fentanyl wird wegen seiner heroinähnlichen Wirkung gedealt und oft mit Heroin oder anderen Drogen wie Kokain gemischt oder in gefälschte, eigentlich verschreibungspflichtige Pillen gepresst.

Automat mit Testkits für Fentanyl, in Brooklyn, New York
Reuters/Amr Alfiky
In den USA, wie hier in New York, gibt es eigene Kits für den Test von Drogen auf Fentanyl

Seit Jahren kämpfen die USA mit einer Opoidkrise, die sich zuletzt durch die Pandemie noch verstärkte. Urspünglich wurde Fentanyl als Schmerzmittel zu oft verschrieben, was zahlreiche Abhängige zur Folge hatte, die dann teilweise auch auf andere Drogen auswichen. Weil es in der Produktion aber deutlich billiger ist, wird Fentanyl mittlerweile oft zum Strecken etwa von Heroin verwendet, da es aber viel potenter ist, kann es auch leichter zu einer Überdosis kommen.

Aktuell zählt eine Fentanyl-Überdosis zur häufigsten Todesursache von US-Bürgern und US-Bürgerinnen zwischen 18 und 45 Jahren. Zahlreiche Prominente wurden Opfer toxischer Cocktails und unabsichtlicher Überdosierungen, darunter Prince und der Rapper Coolio. 2021 sei in den USA bei der Mehrheit von rund 90.000 Todesfällen im Zusammenhang mit Opioidüberdosen Fentanyl mit im Spiel gewesen, heißt es von der UNO, 2022 waren es bereits deutlich über 100.000.

UNO über Entwicklung alarmiert

Die UNO zeigte sich in ihrem jüngsten Jahresbericht alarmiert über die weltweite Verbreitung synthetischer Drogen. Durch die „preiswerte, schnelle und einfache Produktion“ von synthetischen Drogen hätten sich die Drogenmärkte in aller Welt drastisch gewandelt, warnte UNODC Ende Juni in Wien. Fentanyl habe den Konsum von Opioiden in den USA „radikal verändert“.

Auch der erwartete „drastische Rückgang“ des für die Heroinproduktion wichtigen Mohnanbaus in Afghanistan wegen eines Verbots durch die Taliban könne „eine Umorientierung hin zur Herstellung von synthetischen Drogen“ vorantreiben. Die Region zählt bereits zu den Hauptproduzenten von Methamphetamin (Crystal Meth), der weltweit dominierenden synthetischen Droge. Nach Angaben der UNO konsumierten im Jahr 2021 weltweit mehr als 296 Millionen Menschen Drogen, ein Anstieg von 23 Prozent binnen zehn Jahren.