Zuletzt schlossen die Behörden eines der Büros des größten E-Commerce-Unternehmens des Iran, auch ein Gerichtsverfahren wurde eingeleitet. Der Grund war die Veröffentlichung von Bildern einer Firmenversammlung, an der auch weibliche Angestellte ohne Kopftuch teilnahmen. Digikala, auch das „Amazon des Iran“ genannt, hat mehr als 40 Millionen monatliche Nutzerinnen und Nutzer, rund 300.000 Händler nutzen die Plattform.
Aufgrund der westlichen Sanktionen gegen das Atomprogramm ist der Iran wirtschaftlich stark isoliert – dass die Behörde gegen das große Unternehmen vorgeht, zeigt ihre Prioritäten.
Drohungen per SMS
Seit die Religionspolizei vor Kurzem wieder zurückkam, wurde das Vorgehen noch einmal verschärft. Mitte Juli wurden die Patrouillen zur Kontrolle der Frauen wieder eingeführt, nachdem sie aufgrund der Proteste ausgesetzt worden waren. Die Religionspolizei entfernte die Embleme von Uniformen und Streifenwagen, doch das Mullah-Regime scheint strenger als je zuvor auf die Einhaltung der strengen Kleidervorschriften zu drängen, wie die Menschenrechtsorganisation Amnesty International berichtete.
Massenüberwachung werde systematisch genutzt, um unverschleierte Frauen in Autos oder Fußgängerzonen zu identifizieren. In sozialen Netzwerken häuften sich Videos von Übergriffen der Polizei auf unverschleierte Frauen. Seit Mitte April hätten mehr als eine Million Iranerinnen Textnachrichten erhalten, die sie warnten, dass ihr Auto beschlagnahmt werden könne, falls sie auf Bildern von Überwachungskameras ohne Kopftuch zu sehen seien.
„Behörden verbannen Frauen ohne Kopftücher aus Hochschulen und öffentlichen Verkehrsmitteln, verwehren ihnen den Zugang zu Finanzdienstleistungen und schließen Unternehmen, die die Kopftuchpflicht nicht umsetzen“, so die NGO.
Mehr als 500 Tote
Der Reformpolitiker Abbas Abdi sagte gegenüber der dpa, dass die Rückkehr der Religionspolizei mit dem nahenden Jahrestag der Proteste zusammenhänge. Mahsa Amini war am 16. September 2022 gestorben, nachdem die Religionspolizei sie in Gewahrsam genommen hatte. Ihr waren Verstöße gegen die Kleidungsvorschriften vorgeworfen worden. Offenbar war ihr Haar unter dem Kopftuch sichtbar. Aus den folgenden Protesten war eine Welle entstanden, die die Behörden monatelang nicht mehr in den Griff bekamen. Auch viele Männer beteiligten sich daran.
Die Proteste führten mitunter auch zu Aufrufen zum Sturz der iranischen Theokratie, die nach der Revolution von 1979 die Macht übernahm. Die Behörden reagierten mit einem harten Vorgehen, bei dem mehr als 500 Demonstranten getötet und fast 20.000 festgenommen wurden. Sieben wurden hingerichtet. Zuletzt waren die Proteste auch deshalb abgeebbt, weil die Religionspolizei vorübergehend von den Straßen verbannt wurde.
Der Staat wolle den gesellschaftlichen Veränderungen nicht nachgeben, so Abbas Abdi. „Wenn die Zahl der Frauen ohne Hidschab in den Städten zunimmt, ist es ein Symbol gegen die Regierung oder das System.“ Das Kopftuch gehöre zur Identität der Islamischen Republik. Im Vorfeld von Aminis Todestag könnte also die Konfrontation erneut eskalieren.
Viele Frauen bleiben standhaft
Denn viele Frauen wollen sich den Regeln nicht mehr unterordnen. Vor allem in den Städten gehen sie trotz allem ohne Kopftuch auf die Straße und riskieren zumindest ihre Freiheit. Zahllose wurden verurteilt, jüngste Beispiele waren die Urteile gegen zwei iranische Schauspielerinnen. Afsaneh Bajegan erhielt zwei Jahre Haft auf Bewährung und darf zwei Jahre lang das Land nicht verlassen.
Bajegan war in Teheran ohne Kopftuch bei einer Veranstaltung zu Ehren eines Schauspielkollegen erschienen. Die Bilder davon wurden in den sozialen Netzwerken verbreitet. Gegen die Schauspielerin Leila Bolukat wurde ein zweijähriges Berufsverbot verhängt, weitere Menschenrechtsorganisationen berichteten außerdem von einer mehrmonatigen Haftstrafe.
Auch die Prozesse gegen zwei berühmte Journalistinnen erregten viel Aufmerksamkeit. Elaheh Mohammadi und Nilufar Hamedi waren im vergangenen Herbst unter den ersten, die über Aminis Tod berichtet hatten und wurden hinter verschlossenen Türen vor Gericht gestellt. Ihnen wurde Zusammenarbeit mit Auslandsgeheimdiensten sowie Propaganda gegen den Staat vorgeworfen.