Die EU erkennt die aus dem Putsch im Niger hervorgegangenen Behörden nicht an und wird sie den Worten des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell zufolge auch nicht anerkennen. Präsident Mohamed Bazoum sei demokratisch gewählt, sagte Borrell am Samstag. „Er ist und bleibt daher der einzige rechtmäßige Präsident Nigers“, so der Spanier. Die EU mache die Putschisten für seine Sicherheit und die seiner Familie verantwortlich.
Borrell sprach davon, dass man bereit sei, künftige Entscheidungen des westafrikanischen Staatenbundes ECOWAS – explizit auch die Annahme von Sanktionen – zu unterstützen. Der Staatenbund hatte die Machtübernahme zuvor „auf das Schärfste“ zurückgewiesen. Am Sonntag treffen sich die Staats- und Regierungschefs der ECOWAS-Staaten zu einer Krisensitzung im nigerianischen Abuja.
Der EU-Außenbeauftragte betonte zudem, dass sich der „inakzeptable Angriff auf die Integrität der republikanischen Institutionen Nigers“ auf die Partnerschaft der EU mit dem Land auswirken werde. So würden die Budgethilfe sofort eingestellt und alle Maßnahmen der Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich auf unbestimmte Zeit ausgesetzt.
Frankreich setzt Budgethilfe aus
Nach dem Putsch im Niger berief Frankreichs Präsident Emmanuel Macron auch den nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat ein. Die neuen Machthaber will Paris nicht anerkennen. Den Putsch bezeichnete Macron als illegitim und gefährlich. Auch für Frankreich steht in dem westafrikanischen Staat einiges auf dem Spiel.
Samstagabend teilte das französische Außenministerium mit, dass die Budgethilfe an Niger ausgesetzt werde. Auch alle Aktionen der Entwicklungshilfe würden mit sofortiger Wirkung suspendiert. Es wurde die sofortige Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung um den gewählten Präsidenten Bazoum gefordert.
Einsatz gegen Islamistenmilizen
Die frühere Kolonialmacht Frankreich war in Westafrika jahrelang im Einsatz gegen Islamistenmilizen, mit der Operation „Barkhane“ zeitweise mit etwa 5.000 Soldatinnen und Soldaten. Ein Schwerpunkt war dabei Mali. Mit dem Ende des Einsatzes dort nach erheblichen Reibereien mit der Militärregierung in der Hauptstadt Bamako verlegte Paris Soldaten nach Niger. Dort und im benachbarten Tschad sind derzeit etwa 2.500 französische Streitkräfte stationiert. Rückzüge aus Mali und Burkina Faso nach den dortigen Staatsstreichen waren für Frankreich herbe Rückschläge in seiner Sahelpolitik.
Der Putsch in Niamey nähre den Gedanken, Frankreichs Strategie in der Region sei gescheitert, kommentierte die Zeitung „Liberation“. Ein weiteres Zurückdrängen Frankreichs in der Region dürfte in Paris auch Ängste vor einer wachsenden russischen Einflussnahme in der Sahelzone schüren. Die militärischen Übergangsregierungen in Mali und Burkina Faso orientierten sich nach den Putschen in ihren Ländern Richtung Moskau.
Kritik von USA und UNO
Auch die USA wollen für die Wiederherstellung der Demokratie in Niger sorgen. US-Außenminister Antony Blinken habe in einem Telefonat mit dem gestürzten Präsidenten Bazoum erklärt, Amerika wolle die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung sicherstellen, teilte das Außenministerium in Washington mit. Blinken habe sich deshalb auch mit der französischen Außenministerin Catherine Colonna abgestimmt. Die USA unterhalten in dem afrikanischen Land zwei Stützpunkte mit rund 1.100 Streitkräften. Das Verteidigungsministerium will die Truppenstärke in Niger vorerst nicht verändern.
Zuvor nannte schon UNO-Generalsekretär Antonio Guterres den Putschversuch vor Journalisten ein neues Beispiel für eine „beunruhigende Tendenz“ in der Sahelzone. Die „verfassungswidrigen Regierungswechsel“ dort hätten „fürchterliche Auswirkungen auf die Entwicklung und das Leben der Bevölkerung“. Die UNO setzte ihre humanitären Einsätze in Niger nach Angaben eines Sprechers vorerst aus.
Tchiani zeigte sich als „Präsident“
Zwei Tage nach der Rebellion von Militärs in Niger präsentierte sich der Chef der Präsidentengarde, General Abdourahamane Tchiani, als neuer starker Mann des Landes. Laut einem am Freitag im staatlichen Fernsehen verlesenen Statement ist Tchiani nun „Präsident des nationalen Rates zum Schutz des Vaterlandes“. Der demokratisch gewählte Präsident des Landes, Bazoum, wird von den Putschisten weiter festgehalten.
Einen neuerlichen Auftritt im TV hatte am Freitag dann mit Luftstreitkräfteoberst Amadou Abdramane ein weiterer mutmaßlicher Drahtzieher des Putsches. Abdramane erklärte die Verfassung für ausgesetzt und Tchiani zum neuen Staatsoberhaupt. Ein Militärrat werde Abdramanes Angaben zufolge nun alle gesetzgebenden und exekutiven Befugnisse ausüben.
Vor der Ausrufung der Militärherrschaft hatte Tchiani im Fernsehen den Putsch verteidigt. Er bekräftigte frühere Angaben, die Soldaten hätten wegen einer immer schlechteren Sicherheitslage die Macht übernommen. Er kritisierte zudem eine fehlende „echte Zusammenarbeit“ mit den Militärregierungen in den Nachbarstaaten Burkina Faso und Mali im Kampf gegen Aufständische.
Militär aufseiten der Putschisten
Tchiani befehligt seit 2011 die rund 700 Mitglieder zählende Präsidentengarde und damit eine Eliteeinheit des Landes. Die von ihm angeführte Spezialeinheit spielte am Mittwoch mit der Verhaftung von Bazoum eine tragende Rolle. Wenige Stunden später verkündete eine als „Nationaler Rat zum Schutz des Landes“ (CNSP) auftretende und von Abdramane angeführte Gruppe von Soldaten im nationalen Fernsehen des westafrikanischen Landes die Machtübernahme.
Trotz breiter internationaler Protests schlug sich in der Folge auch die Armeeführung auf die Seite der Putschisten. Der Generalstab wolle „eine tödliche Konfrontation zwischen verschiedenen Kräften vermeiden“, hieß es in einer am Donnerstag veröffentlichten Erklärung von Generalstabschef Abdou Sidikou Issa.
Bazoum seit 2021 an der Macht
Der seit 2021 regierende Bazoum war der erste Staatschef des seit dem Ende der französischen Kolonialherrschaft im Jahr 1960 unabhängigen Niger, der nach einer friedlichen Machtübergabe auf den Posten gelangt war. Der 62-Jährige gab sich zunächst kämpferisch. Er sagte den Nigrerinnen und Nigrern auf Twitter „Demokratie und Freiheit“ zu.
Nach Militärputschen in Mali und Burkina Faso seit 2020 war Niger das letzte dieser drei Länder in der Sahelzone, das von einer demokratisch gewählten Regierung geführt wurde. Erst Ende 2022 hatte die EU eine Militärmission in Niger beschlossen, um den Terrorismus in der Region zu bekämpfen. Niger ist in den vergangenen Jahren in den Mittelpunkt der westlichen Bemühungen gerückt, dem gewaltsamen Vormarsch der Dschihadisten in Westafrika und auch einem wachsenden militärischen Einfluss Russlands entgegenzuwirken.