Frau ohne Kopftuch in Teheran
Reuters/Wana News Agency
Enorme Strafen

Iran verschärft Kurs bei Kopftuchpflicht

Im Iran ist eine umstrittene Strafreform der Kopftuchpflicht kurz vor der Abstimmung im Parlament drastisch verschärft worden. Bis zu 15 Jahre Haft sind laut dem Entwurf möglich, Prominente, die sich ohne Kopftuch zeigen, sollen mit Berufsverboten belegt werden. Damit verschärft der Iran seinen Kurs gegen Frauen weiter.

Nach einer Anpassung durch den parlamentarischen Rechtsausschuss umfasst der Gesetzesentwurf nun 70 Artikel, wie die Zeitung „Schargh“ am Sonntag berichtete. Der Entwurf soll in den kommenden zwei Monaten im Parlament abgestimmt werden.

Die Strafreform ist eine Antwort der klerikalen und politischen Führung auf die von Frauen angeführten Proteste gegen die Islamische Republik im Herbst 2022. Während im Land vor allem wieder Alltag eingekehrt ist, widersetzen sich zahlreiche Frauen in den Metropolen demonstrativ der Kopftuchpflicht. Hardliner fordern seit Monaten ein härteres Vorgehen gegen die zahlreichen Verstöße.

Bis zu 15 Jahre Haft

In seiner aktuellen Form hat der Gesetzesentwurf breite Kritik sowohl von Hardlinern als auch Reformpolitikern ausgelöst. Die verschärfte Reform sieht harte Strafen bei Missachtung der islamischen Kleidungsregeln vor. Diese umfassen bei mehrfachen Verstößen etwa Geldbußen von umgerechnet rund 950 Euro, das entspricht mehr als dem monatlichen Durchschnittsgehalt. In Extremfällen können sogar bis zu 15 Jahre Haft und umgerechnet mehr als 5.000 Euro Strafe verhängt werden.

Frau ohne Kopftuch in einem Geschäft in Teheran
IMAGO/NurPhoto/Morteza Nikoubazl
Die Regeln für das Tragen eines Kopftuchs sollen weiter verschärft werden

Die Kopftuchpflicht ist seit mehr als 40 Jahren Gesetz in dem Land mit fast 90 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern und gilt als eine der ideologischen Grundsäulen. Als Beispiele „schlechter Kleidung“ nennt das Gesetz für Frauen etwa kurzärmlige Hemden und zerrissene Jeans, bei Männern Hosen mit kurzer Schrittlänge und Tanktops. Das Gesetz verpflichtet mit detaillierten Anweisungen die Ministerien und Sicherheitsdienste mit Aufgaben zur Vollstreckung der islamischen Kleidungsregeln. Bürger und Polizisten sollen Verstöße einfach melden können.

Harte Strafen für Prominente vorgesehen

Bei Verstößen am Arbeitsplatz droht der Ausschluss von amtlichen Leistungen. Die Veröffentlichung von Fotos ohne Kopftuch im Netz wird unter Strafe gestellt. Auch Ausreisesperren sind als mögliche Strafen vorgesehen. Die Justiz droht Einkaufspassagen, Restaurants und Museen bei Verstößen in ihren Einrichtungen mit Schließungen. Bei Beleidigung von verschleierten Frauen können sechs Monate Haft und 74 Peitschenhiebe verhängt werden.

Besonders hart sollen Prominente bei Verstößen bestraft werden. Hier sieht der Entwurf bei mehrfachen Verstößen Berufsverbote von bis zu 15 Jahren vor. Bereits während der Protestwelle im Herbst hatten sich zahlreiche Filmschaffende mit der Frauenbewegung solidarisiert. Die Justiz soll ein Zehntel des Vermögens beschlagnahmen können. Ausländerinnen können bei Verstößen des Landes verwiesen werden.

Jahrestag rückt näher

Die Maßnahmen gelten als die nächste Verschärfung im Iran, wohl nicht zufällig: Denn der erste Todestag von Mahsa Amini, jener Frau, die in Gewahrsam der Behörden ums Leben kam, nähert sich. Die Religionspolizei patrouilliert nun wieder und nutzt verschärft Massenüberwachung, um die strengen Bekleidungsvorschriften durchzusetzen. Viele Frauen widersetzen sich weiterhin und riskieren damit alles.

Zuletzt schlossen die Behörden eines der Büros des größten E-Commerce-Unternehmens des Iran, auch ein Gerichtsverfahren wurde eingeleitet. Der Grund war die Veröffentlichung von Bildern einer Firmenversammlung, an der auch weibliche Angestellte ohne Kopftuch teilnahmen. Digikala, auch das „Amazon des Iran“ genannt, hat mehr als 40 Millionen monatliche Nutzerinnen und Nutzer, rund 300.000 Händler nutzen die Plattform.

Aufgrund der westlichen Sanktionen gegen das Atomprogramm ist der Iran wirtschaftlich stark isoliert – dass die Behörde gegen das große Unternehmen vorgeht, zeigt ihre Prioritäten.

Drohungen per SMS

Seit die Religionspolizei vor Kurzem wieder zurückkam, wurde das Vorgehen noch einmal verschärft. Mitte Juli wurden die Patrouillen zur Kontrolle der Frauen wieder eingeführt, nachdem sie aufgrund der Proteste ausgesetzt worden waren. Die Religionspolizei entfernte die Embleme von Uniformen und Streifenwagen, doch das Mullah-Regime scheint strenger als je zuvor auf die Einhaltung der strengen Kleidervorschriften zu drängen, wie die Menschenrechtsorganisation Amnesty International berichtete.

Massenüberwachung werde systematisch genutzt, um unverschleierte Frauen in Autos oder Fußgängerzonen zu identifizieren. In sozialen Netzwerken häuften sich Videos von Übergriffen der Polizei auf unverschleierte Frauen. Seit Mitte April hätten mehr als eine Million Iranerinnen Textnachrichten erhalten, die sie warnten, dass ihr Auto beschlagnahmt werden könne, falls sie auf Bildern von Überwachungskameras ohne Kopftuch zu sehen seien.

„Behörden verbannen Frauen ohne Kopftücher aus Hochschulen und öffentlichen Verkehrsmitteln, verwehren ihnen den Zugang zu Finanzdienstleistungen und schließen Unternehmen, die die Kopftuchpflicht nicht umsetzen“, so die NGO.

Mehr als 500 Tote

Der Reformpolitiker Abbas Abdi sagte gegenüber der dpa, dass die Rückkehr der Religionspolizei mit dem nahenden Jahrestag der Proteste zusammenhänge. Mahsa Amini war am 16. September 2022 gestorben, nachdem die Religionspolizei sie in Gewahrsam genommen hatte. Ihr waren Verstöße gegen die Kleidungsvorschriften vorgeworfen worden. Offenbar war ihr Haar unter dem Kopftuch sichtbar. Aus den folgenden Protesten war eine Welle entstanden, die die Behörden monatelang nicht mehr in den Griff bekamen. Auch viele Männer beteiligten sich daran.

Frauen mit und ohne Verschleierung in Teheran
Reuters/Wana News Agency
Trotz der Repressionen zeigen sich viele Frauen weiterhin ohne Kopftuch in der Öffentlichkeit

Die Proteste führten mitunter auch zu Aufrufen zum Sturz der iranischen Theokratie, die nach der Revolution von 1979 die Macht übernahm. Die Behörden reagierten mit einem harten Vorgehen, bei dem mehr als 500 Demonstranten getötet und fast 20.000 festgenommen wurden. Sieben wurden hingerichtet. Zuletzt waren die Proteste auch deshalb abgeebbt, weil die Religionspolizei vorübergehend von den Straßen verbannt wurde.