Grenzzaun zwischen Ungarn und Serbien
AP/Darko Vojinovic
„Postfaktisch“

Kritik an Karners Pushback-Aussage

Seit geraumer Zeit sind österreichische Polizisten und Polizistinnen mit Pushback-Vorwürfen an der serbisch-ungarischen Grenze konfrontiert. Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) wies die Vorwürfe am Montag zurück. Gleichzeitig sagte er auch, dass nur ein „gewaltsames Zurückstoßen an der Grenze“ illegal sei. Fachleute reagieren irritiert und widersprechen.

Im Rahmen der „Operation Fox“ sollen heimische Beamte und Beamtinnen auf ungarischem Staatsgebiet in Kooperation mit den dortigen Behörden Flüchtlinge aufgreifen und Schlepperei bekämpfen. Wie das Ö1-Morgenjournal am Montag berichtete, werfen ungarische NGOs den österreichischen Kräften vor, dass sie indirekt an illegalen Pushbacks der ungarischen Behörden beteiligt seien.

Gegenüber Ö1 und später bei einer Pressekonferenz wies Karner als zuständiger Minister die Vorwürfe zurück. „Unsere Aufgabe ist es – die Aufgabe der österreichischen Polizei –, die österreichischen Grenzen zu sichern, das tun wir aber auch auf ungarischem Staatsgebiet“, ließ der Innenminister wissen. Dadurch seien auch die Asylantragszahlen in Österreich gesunken. Rund 70 Schlepper seien im Zuge der „Operation Fox“ in Ungarn im ersten Halbjahr 2023 festgenommen worden.

Gleichzeitig meinte er: „Faktum ist, Pushbacks ist gewaltsames Zurückstoßen an der Grenze. Das ist illegal, das ist richtig, aber sehr wohl ist es möglich, Menschen an der Grenze zurückzuweisen, wenn sie keine Möglichkeit der legalen Einreise haben.“ Das passiere „offensichtlich“ in Ungarn, in Österreich und in Deutschland. Sollte es aber konkrete Vorwürfe von Gewaltanwendung geben, dann müsse dem nachgegangen werden. In Österreich seien heimische Behörden dafür zuständig, in Ungarn die ungarischen, so Karner sinngemäß.

Forscherin: „Neue Qualität“ in der Debatte

Migrationsforscherin Judith Kohlenberger sprach von einem „heiklen Punkt“ in der ohnehin schon emotional aufgeladenen Debatte über Migration. „Die Aussage von Innenminister Karner ist postfaktisch. Pushbacks sind auch dann illegal, wenn keine Gewalt angewandt wird“, sagte die Forscherin der Wirtschaftsuniversität Wien im Gespräch mit ORF.at. Es sei eine „neue Qualität“, wenn man sich in der Debatte nicht einmal mehr auf außer Streit stehende Fakten verständigen kann.

Ein Kernprinzip der Genfer Flüchtlingskonvention – zu deren Einhaltung sich die Europäische Union und alle Mitgliedsstaaten verpflichtet haben – ist das Verbot, einen Schutzsuchenden in ein Land zurückzuweisen, in dem er oder sie Verfolgung oder eine weitere Zurückweisung fürchten muss (Non-Refoulement). Um das feststellen zu können, ist es aber nötig, jeden einzelnen Asylantrag zu prüfen.

Innenminister Gerhard Karner
APA/Georg Hochmuth
Karner wies am Montag die Pushback-Vorwürfe zurück

Sehr oft würden Pushbacks unter Gewaltanwendung stattfinden, aber es gebe auch Ausnahmen, sagte Kohlenberger. „Personen werden zum Beispiel in die Irre geführt, ihnen wird vorgetäuscht, dass sie ihr Ansuchen woanders stellen können. Dann werden sie außer Landes gebracht“, schilderte die Forscherin. Es werde stets argumentiert, dass Personen illegal einreisen und man sie abschieben müsse. „Man sollte sich über Möglichkeiten der legalen Einreise Gedanken machen“, so Kohlenberger.

Asylkoordination: „Es ist falsch“

Auch die Asylkoordination ist über die Aussage Karners irritiert. „Es ist falsch, dass Pushbacks nur illegal sind, wenn Gewalt angewandt wird“, sagte Sprecher Lukas Gahleitner-Gertz gegenüber ORF.at. Pushbacks seien Zurückweisungen und nach internationalem Recht auch deshalb illegal, weil Schutzsuchenden grundsätzlich das Recht auf eine Prüfung des Asylanspruchs zusteht. „Der Innenminister sollte es eigentlich besser wissen“, so Gahleitner-Gerz, der an einen Fall eines Somaliers in der Steiermark erinnerte.

Ein damals minderjähriger Somalier hatte versucht, in der Steiermark um Asyl anzusuchen. Beamten und Beamtinnen hatten den Jugendlichen aber noch am selben Tag nach Slowenien zurückgewiesen, ohne Gewaltanwendung. Einem Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark zufolge war das Zurückweisen rechtswidrig. In einem anderen Erkenntnis hielt das Landesverwaltungsgericht auch fest, dass Pushbacks in Österreich „teilweise methodisch Anwendung finden“. Die Polizei wies „pauschale“ Vorwürfe stets zurück.

Vorwurf von Pushbacks

Die Zahl der Asylanträge ist in den ersten sechs Monaten zurückgegangen. Laut Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) liegt das an den strengeren Grenzkontrollen. Unterdessen werfen Kritiker und Kritikerinnen Österreich vor, indirekt an illegalen Pushbacks in Ungarn beteiligt zu sein.

Angesprochen auf die Vorwürfe gegen österreichische Beamte und Beamtinnen in Ungarn sagte Karner, dass das Zurückweisen an der Grenze „per se nicht illegal“ sei. „Im Gegenteil, wenn jemand nicht legal einreisen darf, dann ist es auch möglich, diesen an der Grenze zurückzuweisen.“ Er verwies auch auf die Europäische Kommission, die gegen Ungarn ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hat. Es sei der Job der EU, darauf zu schauen, „dass die Mitgliedsländer auch die Dinge einhalten, zu denen sie sich verpflichtet haben“.

Aufklärung gefordert

Laut Asylkoordination sind die Vorwürfe „sehr plausibel“. Wichtig sei nun, dass die Rolle der österreichischen Polizisten und Polizistinnen unabhängig aufgeklärt werde, so Gahleitner-Gerz. Dadurch, dass es für Schutzsuchende de facto nicht möglich ist, Asylanträge in Ungarn zu stellen, wäre es „sehr schmerzhaft“, wenn Österreich hier auch zum „Mittäter“ wird. „Der Innenminister kann nicht auf die Verantwortung von Ungarn verweisen und hoffen, dass die Regierung dort den Vorwürfen nachgeht. So wird der Bock zum Gärtner.“

Ärzte ohne Grenzen forderte ebenfalls eine lückenlose Aufklärung der Vorwürfe. „Welche Mechanismen sind eingerichtet, um sicherzustellen, dass Menschenrechte eingehalten werden und österreichische Beamte nicht direkt oder – durch Unterlassung – indirekt an Menschenrechtsverletzungen und Pushbacks beteiligt sind?“, fragte Marcus Bachmann, Berater für humanitäre Angelegenheiten von Ärzte ohne Grenzen. „Wir fordern Innenminister Karner dazu auf, die Menschen, die Schutzsuchenden selbst, ins Zentrum zu stellen.“

In einer schriftlichen Stellungnahme kritisierte NEOS-Mandatarin Stephanie Krisper gegenüber ORF.at Karner für dessen Aussagen. Der Innenminister habe kein Rechtsstaatsverständnis. „Noch dazu ist die ‚Operation Fox‘ vor allem eines: teuer. Migrationspolitisch besteht kein nachweisbarer Mehrwert“, so die Migrationssprecherin. „Der Innenminister sollte die Kanzlerfreunde in Ungarn also lieber dazu drängen, rechtsstaatliche Standards einzuhalten und Menschen auf der Flucht ein faires Verfahren zu ermöglichen, statt unsere Polizei um viel Steuergeld in sinnlosen, dubiosen Aktionen in anderen Ländern einzusetzen und die Verantwortung für rechtswidrige Pushbacks nach Brüssel abzuschieben.“