Menschen in Niamey (Niger) nach dem Putsch in Niamey
AP/Sam Mednick
Putsch in Niger

Strategischer Rückschlag für Europa

Europa hat sich seit Jahren bemüht, Niger als Verbündeten zu gewinnen und zu halten – maßgeblich aus zwei Gründen: Der Wüstenstaat in Westafrika ist eines der zentralen Transitländer für Flüchtlinge in Richtung Europa und war zuletzt ein stabiler Außenposten im Kampf gegen radikalislamische Gruppen in der insgesamt sehr instabilen Sahelzone. Mit dem Putsch gegen den ersten demokratisch gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum ist die Perspektive nun unklar.

Am Mittwoch hatten Offiziere der Präsidentengarde unter General Abdourahamane Tchiani Staatschef Bazoum festgesetzt und für entmachtet erklärt. Tchiani erklärte sich am Freitag selbst zum neuen Machthaber, die Verfassung des Landes wurde außer Kraft gesetzt, alle verfassungsmäßigen Institutionen aufgelöst. Der General wolle eine neue Regierung bilden, hieß es, die Lage ist unklar und instabil. Begründet wurde der Putsch mit einer kritischen Sicherheitslage im Land.

Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) stellte Tchiani ein Ultimatum, die EU sich hinter die Drohungen. Am schärfsten reagierte die frühere Kolonialmacht Frankreich: Jeglicher Angriff auf französische Staatsangehörige und Interessen in Niger werde eine unverzügliche und strikte Reaktion nach sich ziehen, erklärte das Präsidialamt in Paris am Sonntag.

In der nigrischen Hauptstadt Niamey verbrannten Anhänger der Militärs französische Flaggen und griffen die französische Botschaft an. Nach Schätzungen befinden sich zwischen 500 und 600 französische Staatsangehörige in dem westafrikanischen Land. Paris bereite sich darauf vor, sie auszufliegen, hieß es am Dienstag.

„Partnerschaft“ steht infrage

Für die EU steht mit dem Putsch eine „Partnerschaft“ auf dem Spiel. Sie kooperiert mit Niger seit 2015, vor allem dahingehend, die Migrationsroute aus der Wüstenstadt Agadez in Richtung Libyen (und weiter nach Europa) zu blockieren. Bazoum, seit 2021 im Amt, war ein wichtiger Verbündeter. Niger stellte Schlepperei unter Strafe.

Niamey war auch in einer weiteren Hinsicht eine Art wichtiger Vorposten: im Kampf gegen den Islamischen Staat in der Sahelzone (ISGS), einen Ableger der Terrormiliz IS, aktiv in Niger selbst bzw. den Nachbarländern Mali und Burkina Faso. Hauptsächlich im südlichen Nachbarland Nigeria agiert die Terrorgruppe Boko Haram.

Kooperation und Finanzhilfen

Mit Niger kooperierte die EU bisher etwa bei der Ausbildung der Polizei des Landes im Rahmen der Mission EUCAP Sahel Niger, ins Leben gerufen 2012 mit dem Ziel unter anderem der Bekämpfung von Terrorgruppen. Diese Kooperationen stehen mit dem Putsch nun infrage. Inzwischen sollen an die 180 Personen aus der gestürzten Regierung, darunter Minister und Ministerinnen, und deren Umfeld festgenommen worden sein.

Als Reaktion auf den Militärputsch hatte am Samstag der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell erklärt, Finanzhilfen für Niger würden sofort eingestellt und alle Maßnahmen der Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Allein für den Zeitraum von 2021 bis 2024 waren über ein Mehrjahresprogramm Unterstützungszahlungen in Höhe von mindestens 503 Millionen Euro vorgesehen gewesen. Wie viel davon tatsächlich ausbezahlt wurde, ist allerdings unbekannt.

Schlechte Karten

Für die Strategie der EU, die Migration via Westafrika in Richtung Europa über das Mittelmeer einzudämmen, könnte der Putsch deutliche Folgen haben, sagte der Regionalbüroleiter der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung für die Sahelzone, Ulf Laessing, am Sonntag. „Ohne den Niger wird die Strategie (…) zusammenbrechen.“ Vorherige Vereinbarungen seien weitgehend wirkungslos, wenn die neue Militärjunta in Niger die Kooperation nicht fortsetze.

General Abdourahamane Tchiani
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Tchiani erklärte sich zum neuen Staatschef – unter scharfen Protesten aus dem Ausland

Dass die Maßnahmen der EU Wirkung zeigen werden, sei zweifelhaft, so Laessing. „In Wahrheit sind die Europäer in einer eher schwachen Position. Sollte die Migrationsroute von den neuen Machthabern wieder geöffnet werden, wird Europa mit (den Putschisten) verhandeln müssen.“

Französischer Rückzug

Die Putschisten in Niger werfen der gestürzten Regierung unter Präsident Bazoum vor, der früheren Kolonialmacht Frankreich eine militärische Intervention gestattet zu haben. Paris sei von Ex-Außenminister Hassoumi Massoudou ermächtigt worden, Bazoum zu befreien, erklärte am Montag Armeeoberst Amadou Abdramane.

Französische Soldaten patroullieren in der Stadt Gossi in Mali
Reuters/Paul Lorgerie
Frankreich zog sich militärisch deutlich aus Westafrika zurück

Frankreich hatte 2021 seine „Operation Barkhane“ zur Bekämpfung des transnationalen Terrorismus in der Sahelzone in Burkina Faso, dem Tschad, Mali, Mauretanien und Niger beendet und Kräfte abgezogen, hat aber noch rund 1.500 Soldaten in Niger stationiert.

Drohungen und diplomatische Bemühungen

Die ECOWAS hatte am Sonntag nach einer Dringlichkeitssitzung in der nigerianischen Hauptstadt Abuja die vollständige Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung in Niger gefordert und mit dem Einsatz militärischer Mittel sowie einer juristischen Verfolgung der Militärjunta gedroht. Handels- und Finanztransaktionen zwischen ECOWAS-Mitgliedsstaaten und Niger würden ausgesetzt, hieß es, Luft- und Landesgrenzen geschlossen.

Niger: Regierungen warnen vor Militärschlag

Nach dem Putsch in Niger warnen die Militärregierungen von Burkina Faso und Mali vor einem militärischen Eingreifen. Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) hatte den Putschisten ein Ultimatum gestellt und die Freilassung des von ihnen festgehaltenen Präsidenten gefordert.

Die 15 Länder umfassende westafrikanische Staatengemeinschaft forderte außerdem die Zentralbanken ihrer Mitgliedsstaaten auf, die Vermögenswerte nigrischer staatlicher und halb staatlicher Unternehmen sowie der am Putsch beteiligten Militärs einzufrieren. Zusätzlich würden alle finanziellen Unterstützungen und Transaktionen mit nigrischen Finanzinstituten suspendiert.

Am Montag warnten allerdings die Regierungen von Mali und Burkina Faso vor einem militärischen Eingreifen in Niger, um Bazoum wieder einzusetzen. Das käme einer „Kriegserklärung“ gegen die beiden Staaten gleich, hieß es in der Erklärung der beiden Regierungen, die ebenfalls aus Staatsstreichen hervorgingen.

Eines der ärmsten Länder der Welt

Angesichts der Drohungen liefen zuletzt diplomatische Bemühungen um eine friedliche Lösung des Konflikts auf Hochtouren. Der Präsident des östlichen Nachbarlandes Tschad, Mahamat Idriss Deby, versuchte seit dem Wochenende, in Niger einen Ausgleich zu vermitteln. Bilder zeigten ihn bei gesonderten Treffen mit dem abgesetzten Präsidenten Bazoum und General Tchiani.

Niger hat an die 25 Millionen Einwohner, von denen laut Weltbank etwa zehn Millionen in extremer Armut leben. Das Land mit einer Fläche von rund 1,27 Millionen Quadratkilometern – rund 15-mal so groß wie Österreich und größtenteils von Wüsten, etwa der Tenere, und Savannenlandschaften geprägt – zählt laut Index (HDI) der UNO zu den am schwächsten entwickelten Ländern der Welt.