Chinesische Elektroautos im Hafen von Lianyungang
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E-Autos aus China

Exoten mit Kurs auf Europas Massenmarkt

Die Automobilindustrie steht vor einem der größten Umbrüche in ihrer Geschichte – und neue Akteure sind nur ein Symptom dessen. In China – dem weltweit größten Automarkt – übernahmen die chinesischen Hersteller bereits die Führungsrolle. In Europa haben Hersteller wie BYD und MG noch Exotenstatus. Das dürfte sich in den kommenden Jahren ändern – auch, weil die Qualität der Autos aus Fernost kein Ausschlusskriterium mehr ist.

Nummerntafeln mit grüner Beschriftung sind auf den heimischen Straßen noch weit nicht in der Mehrheit. Ein exotischer Anblick sind E-Autos aber hierzulande keiner mehr. Immerhin ein knappes Fünftel aller Pkws, die im ersten Halbjahr 2023 neu zugelassen wurden, fahren mit rein elektrischem Antrieb. Mit einem Marktanteil von 18 Prozent hätten Elektroautos in Österreich „die Schwelle zum Massenmarkt durchbrochen“, hieß es erst Anfang August vom internationalen Beratungskonzern PwC.

Deutlich seltener begegnet man hierzulande freilich Pkws, deren Logo der Schriftzug BYD, MG oder NIO ziert. E-Autos von chinesischen Herstellern sind in Europa noch ein Nischenprodukt. Und vielen ringen die Fahrzeuge – so sie doch einmal eines zu Gesicht bekommen – noch immer ein spöttisches Lächeln ab.

„Chinesische Fahrzeuge haben einen gewissen Ruf“, sagt Christian Klejna im Gespräch mit ORF.at. Gerechtfertigt sind solche Vorbehalte laut dem E-Mobilität-Experten beim ÖAMTC aber nicht mehr. Die Technikerinnen und Techniker des Automobilclubs hätten regelmäßig Fahrzeuge chinesischer Hersteller auf dem Prüfstand. In der Ausführung seien die Autos inzwischen „mit europäischen Standards vergleichbar“, sagt Klejna. Die Einschätzungen bestätigen die europäischen Crashtests, bei denen sich chinesische Fahrzeuge inzwischen keine Blöße mehr leisten.

„Wir lernen inzwischen von den Chinesen“

Auch der deutsche Wirtschaftswissenschaftler und Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer sieht im Gespräch mit ORF.at die chinesischen Hersteller ihren Konkurrenten aus Europa „mindestens ebenbürtig“. Natürlich stelle sich die Frage: Wie definiere ich Qualität? Doch gerade bei Software, bei Assistenzsystemen und dem Zukunftsfeld „Autonomes Fahren“ hätten die Hersteller aus China oftmals die Nase vorne. „Wir lernen inzwischen von den Chinesen“, sagt der Direktor des privatwirtschaftlichen CAR-Center Automotive Research in Duisburg.

Autos von BYD auf einer Autoshow
AP/Andy Wong
BYD hat nur Hybrid- und reine Batteriefahrzeuge im Angebot – und verkauft in China mehr Autos als jeder andere Hersteller

In China selbst verdrängte der einheimische Autohersteller BYD im Frühjahr bei den Absatzzahlen VW vom ersten Platz. Das erste Mal seit den 1980er Jahren stand der Konzern aus Wolfsburg mit seinem chinesischen Joint Venture nicht mehr an der Spitze des weltgrößten Automarkts. Bei den Elektrofahrzeugen spielen die chinesischen Hersteller in ihrem Heimatland ohnehin bereits in ihrer eigenen Liga. Von den ausländischen Herstellern konnte nur Tesla in Chinas E-Auto-Markt reüssieren.

Beispiele aus Vergangenheit

In Europa spielen die chinesischen Hersteller bisher freilich nur eine Nebenrolle. Dass sich das in Zukunft ändern wird, ist für viele Beobachterinnen und Beobachter nur eine Frage der Zeit. Sowohl Klejna als auch Dudenhöffer vergleichen die aktuelle Situation mit dem Einstieg der koreanischen Hersteller im europäischen Markt. Damals – wie schon 20 Jahre zuvor die japanischen Hersteller – mischten die Fabrikanten aus Fernost innerhalb einiger Jahre den europäischen Automarkt auf.

Dudenhöffer hat noch ein weiteres – deutlich aktuelleres – Beispiel parat: Tesla habe sich seinen Ruf ebenfalls erst erarbeiten müssen. Das sei relativ schnell, innerhalb von fünf, sechs Jahren, gelungen. Inzwischen ist Teslas Model Y das meistverkaufte Elektroauto in Europa und rangiert auch bei den allgemeinen Kfz-Zulassungen auf den Topplätzen. So schnell wie Tesla werde den chinesischen Herstellern die Marktdurchdringung in Europa nicht gelingen, so Dudenhöffer. Dass sie letztendlich reüssieren werden, bezweifelt er aber nicht.

Erfolg per Batterie

Zugutekommt den chinesischen Herstellern, dass China beinahe ein Monopol bei Batterien hat. Der Akku ist eine der entscheidenden Komponenten eines E-Autos. Bis zu 40 Prozent der Herstellungskosten entfielen auf die Batterie, sagt Dudenhöffer. Nicht von ungefähr gehört die Konzernmutter des inzwischen bedeutendsten chinesischen E-Auto-Produzenten BYD zu den weltweit größten Akkuproduzenten. „Die Chinesen beherrschen die Batterie“, sagt Dudenhöffer.

Noch sind Akkus wie sie in E-Autos zum Einsatz kommen auf Lithium angewiesen. Gestützt von der Politik sicherten sich chinesische Unternehmen in den vergangenen Jahren weltweit Abbaustätten für das Leichtmetall. Laut Experteneinschätzungen könnte China bis 2025 rund ein Drittel der weltweiten Lithiumversorgung kontrollieren.

Nächste Akkutechnologie auf Sprung in Massenmarkt

Zugleich arbeiten die chinesischen Produzenten daran, die Abhängigkeit von Lithium zu reduzieren. In Akkus der nächsten Generation soll statt Lithium weitaus leichter verfügbares Natrium zum Einsatz kommen. Gleich mehrere chinesische Firmen stehen bei der Entwicklung von Natrium-Ionen-Batterien an der Schwelle zur Serienreife beziehungsweise haben diese bereits überschritten. Zwar haben Akkus auf Natriumbasis eine geringere Energiedichte als Lithium-Ionen-Batterien. Dafür sind sie aber in der Herstellung deutlich günstiger.

Der weltweit größte Batteriehersteller CATL – unter anderem Zulieferer für Tesla – kündigte für heuer den Start der Serienproduktion an. Und BYD brachte im Frühjahr mit dem Kleinwagen Seagull bereits das erste Fahrzeug mit der neuen Technologie auf den chinesischen Markt.

Zusammenarbeit mit etablierten Akteuren

Ob BYD den Kleinwagen, der sich in China in den vergangenen Monaten zum Verkaufsschlager entwickelte, auch nach Europa bringen wird, ist noch offen. Derzeit hat der chinesische Hersteller hierzulande bis Ende des Jahres fünf Modelle im Angebot. BYD setzt dabei – wie andere chinesische Produzenten – auf etablierte Akteure auf dem heimischen Automarkt. So liegt der Aufbau des Händlernetzwerks in den Händen der Denzel-Gruppe. Für Käuferinnen und Käufer bedeute das auch, dass sie sich bei Reparaturen und Servicefällen auf ein bestehendes Werkstattnetz verlassen können, sagt ÖAMTC-Techniker Klejna.

Produktion in Europa?

Laut Dudenhöffer ist der Aufbau eines Händlernetzwerkes aber nur der erste Schritt für die chinesischen Hersteller. Es werde nicht ausreichen, nur auf Export zu setzen. „Die Frage ist: Wie schnell bauen sie Werke in Europa?“, sagt der Ökonom. Der chinesische Hersteller Geely hat mit seinem Kauf von Volvo im Jahr 2010 zwar auch die Fabriken in Schweden, Belgien und den Niederlanden übernommen. Eine eigene Produktion hat aber noch kein chinesischer Autohersteller in Europa aufgebaut. Doch das könnte sich bald ändern.

Produktionshalle chinesischer Elektroautos
IMAGO/VCG
Noch hat kein chinesischer Hersteller eine Produktion in Europa aufgebaut

Erst im Juli teilte der im chinesischen Staatsbesitz befindliche SAIC-Konzern mit, einen Standort für die Produktion in Europa zu suchen. Zu SAIC gehört unter anderem MG. Die ursprünglich britische Marke ist bereits seit über 15 Jahren in chinesischer Hand. Nach den Plänen von SAIC soll sie in Zukunft eine relevante Rolle im europäischen E-Auto-Markt spielen.

Die Vorteile einer eigenen Produktion in Europa liegen auf der Hand und erschöpfen sich nicht nur in kürzeren Lieferwegen. Wer in Europa produziert, dem können Zölle und Handelsstreitigkeiten weitaus weniger anhaben. Politische Spannungen zwischen Europa und China können laut Dudenhöffer auch eine der großen Hürden für die chinesischen Hersteller darstellen. Zugleich ist davon auszugehen, dass eine Produktion in Europa und die Schaffung von Arbeitsplätzen positiv auf den Ruf einer Marke abfärben.

Zugang über Fuhrparks

Ein entscheidender Faktor bleibt freilich der Preis. Zwar rangieren die chinesischen E-Autos hierzulande auch nicht mehr im Billigsegment. Neben der Einstiegsklasse würden die Marken aus Fernost ebenso die Oberklasse ins Visier nehmen, sagt Klejna. Der ÖAMTC-Mitarbeiter weist aber auch daraufhin, dass die chinesischen Marken im Vergleich mit ihren europäischen Mitbewerbern dann doch die Spur günstiger seien.

Gerade für Unternehmen mit einem größeren Fuhrpark sei das natürlich ein Argument. Auch der ÖAMTC habe bereits ein Fahrzeug von MG und eines von BYD in Betrieb. „Die chinesischen Hersteller werden sich auch über den Preis etablieren. Das geht über die Fuhrparks“, sagt Klejna.

Harter Preiskampf

Manche Beobachterinnen und Beobachter sehen in Zukunft auf den E-Auto-Markt in Europa überhaupt einen Preiskampf zukommen. Anfachen dürfte ihn kurzfristig allerdings kein chinesisches Unternehmen, prognostiziert Dudenhöffer – wenngleich die Gründe dafür auch in China liegen. Dort herrschte in den vergangenen Monaten ein regelrechter Preiskrieg – „brutal“ geführt von Tesla, wie Dudenhöffer sagt. Inzwischen rief das auch die chinesische Politik auf den Plan.

Auf politischen Druck hin unterzeichneten die großen E-Autos-Produzenten Mitte Juli eine Vereinbarung, in der sie sich zu einem fairen Wettbewerb verpflichten. Ob diese – offizielle freiwillige – Übereinkunft tatsächlich ein Ende der Kampfpreise einläutet, muss sich erst zeigen. Dudenhöffer geht aber davon aus, dass Tesla „den Preiskrieg jetzt zu uns exportieren“ werde.

Doch auch abseits davon ist der Ökonom überzeugt, dass auf die Kfz-Branche stürmische Zeiten zukommen. „Die kommenden zehn Jahre werden für die europäische Automobilindustrie die härtesten in ihrer Geschichte.“ Der Wirtschaftsforscher wagt auch die Prognose, dass „nicht alle überleben“ werden. Das gelte allerdings nicht nur für die europäischen Hersteller. Auch manche Marken aus China werde den Automarkt der Zukunft nicht mehr miterleben.