Fleischhauer Markus Dormayer während der Zubereitung von veganen Würsteln
ORF/Christian Öser
Fleischhauer-Trend

Veganes zwischen Karree und Knacker

Veganes beim Fleischhauer des Vertrauens? Einige österreichische Fleischereibetriebe sehen darin keinen Widerspruch. Neben Knacker und Karree bieten sie auch pflanzliche Alternativen aus Eigenproduktion an. „Es wäre ein Riesenfehler, den Markt den internationalen Konzernen zu überlassen“, sagt Raimund Plautz, Vorsitzender der Berufsgruppe Fleischerinnen und Fleischer in der Wirtschaftskammer Österreich, zu ORF.at. Klar ist nämlich: Die Nachfrage nach Fleisch sinkt.

Laut Daten der Statistik Austria ging der Fleischkonsum in den vergangenen Jahren – wenngleich auf sehr hohem Niveau – stets zurück. 58,9 Kilogramm Fleisch wurden in Österreich pro Kopf im Jahr 2021 verzehrt. 2018 landeten pro Kopf noch 63,6 Kilogramm auf den Tellern. Rufe, laut denen ein übermäßiger Fleischkonsum sowohl Gesundheit, Tieren als auch dem Klima schadet, scheinen zu fruchten. Darauf reagiert auch die Fleischindustrie.

„Wenn der Fleischkonsum zurückgeht, sind die Betriebe gefordert, Alternativen zu finden“, sagt Plautz. Alternativen wie Leberkäse und Weißwurst aus pflanzlichem Eiweiß beispielsweise. Die heimischen Fleischhauerinnen und Fleischhauer hätten sowohl das nötige Wissen als auch die nötige Technologie, um Ersatzprodukte herzustellen, so Plautz. „Viele machen das auch mittlerweile. Nicht nur die Großen, sondern auch die Kleinen“, erklärt der Kärntner. Dass sich die Betriebe mit dem Thema beschäftigen, hält er für wichtig.

„Ob die Würste aus Fleisch oder Pflanzen sind, ist mir egal“

Ähnlich sieht das der niederösterreichische Fleischhauer Markus Dormayer. Was die Produktion von Fleischersatzprodukten betrifft, gilt er in der heimischen Branche als Pionier. „Wer zahlt, schafft an – was der Kunde wünscht, wird produziert“, sagt Dormayer – er sei Wurstdesigner. „Ob die Würste aus Fleisch sind oder ob die aus Pflanzen sind, das ist mir egal“, betont er gegenüber ORF.at.

In die vegane Wurstproduktion sei er nach dem Besuch eines befreundeten englischen Fleischhauers im Jahr 2012 „hineingestolpert“. Von seinem Kollegen, der selbst vegetarische Blutwurst herstellte, inspiriert, tüftelte Dormayer, zurück in Langenzersdorf, an einer veganen Version der Blunzen. Seine Kollegen reagierten damals ebenso wie vegetarisch und vegan lebende Menschen mit Unverständnis, erinnert sich der Fleischhauer.

Fleischhauer Markus Dormayer während der Zubereitung von veganen Würsteln
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„Blut“ geleckt: Seit mehr als zehn Jahren stellt Fleischhauer Markus Dormayer inzwischen vegane Würste her

Aufgeben wollte Dormayer nicht: Die vegane Blutwurst reichte er auch wiederholt bei Meisterschaften ein. Mittlerweile laufe das Geschäft mit dem Imitat „spitze“, sagt er. Circa 200 Kilogramm stellt Dormayer davon alle zwei Wochen her. Von der echten Blunzen sind es zwischen 300 und 500 Kilogramm pro Woche.

Wegen der Nachfrage erweiterte er seine vegane Linie vor zwei Jahren um weitere Produkte wie Leberkäse und Debreziner. Was sich seit 2012 geändert habe? Es gebe nun mehr vegan und vegetarisch lebende Menschen mit offener Einstellung, mehr Marketing durch Konzerne und daher auch ein größeres Interesse an Fleischersatzprodukten bei Allesessern und Allesesserinnen, sagt der Fleischhauer.

Leitmesse nimmt Ersatzprodukte ins Visier

Dass der Fleischer auf vegan „umswitcht“, komme bei den meisten gut an, erzählt auch der Fleischhauer Daniel Schwarzböck gegenüber ORF.at. Seit etwa einem Jahr verkauft er selbst hergestellte Produkte wie vegane Knacker, Cevapcici und Burgerpatties in seiner Fleischerei sowie bei Festen im niederösterreichischen Göllersdorf. Er wolle ein Angebot für die „gesamte Familie“ bieten, egal ob Allesesser oder Veganer, sagt Schwarzböck.

Auf die Idee, Fleischimitate herzustellen, kam der junge Fleischhauer im Zuge der IFFA – der Leitmesse der Fleischwirtschaft in Frankfurt. Mehr als 200 der 860 Aussteller informierten bei der IFFA im Vorjahr über Technologien und Lösungen zu den Fleischalternativen. Wer den Trend ignoriere, werde vom Markt verschwinden, sagte der Berater und frühere Manager des deutschen Fleischriesen Rügenwalder Mühle, Godo Röben, dort.

Fleisch und CO2

Mehr als ein Drittel der klimaschädlichen Treibhausgase weltweit geht laut WWF auf die Ernährung zurück – tierische Lebensmittel gelten als besonders schädlich. Mit der fleischlastigen Ernährung verursacht ein Österreicher bzw. eine Österreicherin BOKU-Forschern zufolge durchschnittlich eineinhalb Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr.

Fleischriesen liebäugeln mit Veggie-Boom

Die Rügenwalder Mühle war eine der ersten Firmen, die im großen Stil mit Fleischersatzprodukten experimentierte. Offenbar mit Erfolg: Die Firma will im Geschäftsjahr 2021 erstmals mehr vegane und vegetarische Produkte als klassische Fleisch- und Wurstprodukte verkauft haben.

Das dürfte auch an den österreichischen Betrieben nicht spurlos vorübergegangen sein. Anfang des Jahres wurde bekannt, dass der Spar-eigene Fleischverarbeiter Tann Produkte für die Marke Spar Veggie produzieren wird. Knapp drei Millionen Euro habe Spar dafür in entsprechende Anlagen investiert.

Wenige Wochen später verkündeten die in Kärnten ansässigen Marcher Fleischwerke, dass Produkte der Fleischersatzmarke „die OHNE“ künftig zu 100 Prozent vegan sein sollen. Und auch der Tiroler Speckfabrikant Handl beschloss, ins Geschäft mit fleischlosen Würsten einzusteigen.

„Gewürzindustrie hat Zeichen der Zeit erkannt“

Vollkommen reibungslos ist der Umstieg auf fleischlose Kost nicht. Gerade für Fleischhauer, die kein Team an Produktentwicklern und Investoren hinter sich wissen, stellt sich eine Reihe von Fragen, etwa: Welches pflanzliche Eiweiß, welche Bindemittel und welche Gewürze bringen das beste Endergebnis? Braucht es neue Kutter, neue Füllmaschinen und neues Geschirr? Und zahlt sich das Zusatzangebot wirtschaftlich überhaupt aus? Rohstoffe und Maschinen gelten immerhin als kostspielig.

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Zutaten für vegane Würstel
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Erbsenprotein, Erbsenfaser, Bindemittel, Gewürze, Kokosfett, Kartoffeln, rote Rübe und Zwiebel – das sind die Bestandteile der veganen Debreziner aus dem Hause Dormayer. ORF.at hat den Fleischhauer bei der Wurstproduktion begleitet.
Fleischhauer Markus Dormayer während der Zubereitung von veganen Würsteln
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So sehr sich die Inhaltsstoffe von der originalen Debreziner (bestehend aus Rind- und Schweinefleisch) auch unterscheiden mögen – bei der Verarbeitung gibt es kaum Unterschiede: Im Kutter muss Gemüse – wie sonst das Fleisch – kleingehackt werden …
Fleischhauer Markus Dormayer während der Zubereitung von veganen Würsteln
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… später werden Bindemittel, Protein, Erbsenfaser und Gewürze hinzugemischt, bis eine feine Masse entsteht. Den Kutter schuf der Fleischhauer eigens für seine vegane Linie an, erzählt er.
Fleischhauer Markus Dormayer während der Zubereitung von veganen Würsteln
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Im nächsten Schritt kommt die Masse in die Wurstfüllmaschine. Genutzt wird diese auch für die Herstellung von Fleischprodukten. Die Maschine werde vor der Produktion der unterschiedlichen Waren immer gründlich gereinigt, versichert Dormayer. Die Reinigung der Füllmaschine sei deutlich leichter als jene des Kutters, erklärt er.
Fleischhauer Markus Dormayer während der Zubereitung von veganen Würsteln
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Freilich ist auch der Darm vegan. Konkret wird zu einer Alternative auf Reisbasis gegriffen.
Fleischhauer Markus Dormayer während der Zubereitung von veganen Würsteln
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60 Kilogramm an Rohstoffen werden an jenem Tag zu veganer Debreziner verwurstet
Fleischhauer Markus Dormayer während der Zubereitung von veganen Würsteln
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Circa 500 Würste sollen für einen Kunden auf Bestellung produziert werden
Fleischhauer Markus Dormayer während der Zubereitung von veganen Würsteln
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Fast fertig: Die Würste kommen auf die Selchstäbe …
Fleischhauer Markus Dormayer während der Zubereitung von veganen Würsteln
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… und in den Selchraum. Vor dem Verzehr müssen die Würste nur noch gekocht werden.

Die Produktion der Wurstimitate sei jener der „echten Wurst“ nicht unähnlich, sagt Schwarzböck dazu. Für seine vegane Knackwurst kommen Sojabasis, Erbsenprotein, Gewürze und Wasser in den Kutter. Später wird die Masse in Wursthüllen gefüllt, angeselcht und gekocht. Dormayer setzt bei der Herstellung neben Erbsenprotein und Bindemitteln unter anderem auf Gemüse wie Zwiebel, Erdapfel und Rote Rübe. „Ich möchte relativ naturnah produzieren“, sagt er. „Somit verzichte ich auch auf Geschmacksverstärker.“ Einige seiner Kolleginnen und Kollegen würden bei der Produktion hingegen mit vorgefertigten Gewürzmischungen arbeiten, bemängelt Dormayer.

„Die Gewürzindustrie hat natürlich die Zeichen der Zeit erkannt und stellt die Produkte und Schulungsmaßnahmen zur Verfügung“, sagt Bundesinnungsmeister Plautz dazu. Bei der Lebensmittelakademie werden derzeit keine entsprechenden Schulungen für interessierte Fleischhauer angeboten. Für Fortbildungen sieht sich die Innung auf Nachfrage nicht zuständig. Wer aus rein pflanzlichen Stoffen Produkte erstellt, zähle zur Nahrungs- und Genussmittelgruppe. Das ist jene Gruppe, zu der beispielsweise auch Molkereien und Marmeladenhersteller gehören.

Zukunft oder Verlustgeschäft?

Wie nachhaltig der Trend weg von einer fleischlastigen hin zu einer pflanzlicheren Lebensweise ist – und damit auch, wie sich das auf Fleischereibetriebe auswirkt –, ist fraglich. Der Anteil der Veganerinnen und Veganer an der Gesamtbevölkerung befindet sich Schätzungen zufolge im niedrigen einstelligen Bereich. Vegetarisch oder vegan ernährt sich in etwa jeder und jede Zehnte.

Der Anteil pflanzlicher Alternativen ist derzeit zudem vergleichsweise gering. Fleischersatzprodukte, die in den vergangenen Jahren sowohl in Menge als auch im Wert stark angewachsen sind, bevor sie im Vorjahr einen leichten Rückgang erfuhren, machten in Österreich im Jahr 2022 laut AMA-Daten ein Prozent aller Fleischprodukte im Lebensmitteleinzelhandel aus. Konkret sind das rund 3.123 Tonnen.

Für schwer einschätzbar hält WIFO-Experte Franz Sinabell die Entwicklung der Branche. Es sei möglich, dass Fleischhacker ein immer breiteres Sortiment von Produkten anbieten, das fleischlos ist, aber wie Fleisch aussieht und schmeckt, meint er auf ORF.at-Anfrage. „Es kann aber auch sein – das würde ich eher vermuten –, dass eine klare Positionierung stattfindet: Zum Fleischhacker geht man, wenn man vermeiden möchte, irrtümlich ein Ersatzprodukt zu kaufen.“

Nachahmerprodukte am Abstellgleis?

Produkte, die Fleisch möglichst authentisch nachahmen, würden sich langfristig nicht durchsetzen, befand der Fleischer Hermann Neuburger kürzlich im „Standard“. Der bekannte Leberkäsehersteller sagte seinen Fleischimitaten ade und brachte heuer stattdessen ein auf Kräuterseitlingen bestehendes „Fungi Pad“ auf den Markt. Der Wunsch nach völlig neuen Lebensmitteln war ein Grund – zu hohe Rohstoffpreise ein anderer.

Skeptikerinnen und Skeptiker könnten sich nicht zuletzt von der Nachricht, dass Österreichs erste vegane Fleischerei – die Fleischloserei in Wien – im Juli zusperrte, bestätigt sehen. Allerdings: An der Nachfrage habe es nicht gemangelt, betont Fleischloserei-Schöpferin Silke Bernhardt im Gespräch mit ORF.at. „Der Markt ist groß genug – aber für eine Person zu viel“, erklärt Bernhardt, die einige ihrer Produkte künftig bei Restaurants und in Bioläden anbieten möchte. Sie habe sich schlichtweg übernommen.

„Fleischersterben“

1.729 Fleischereibetriebe gab es in Österreich noch im Jahr 2005. Mit Ende 2022 waren es 1.201.

Den Trend zu mehr Fleischlosem bei Fleischhauern sieht sie als Veganerin skeptisch. „Auf jeden Fall begrüße ich es, dass weniger Fleisch gegessen wird“, so Bernhardt. Dass sich Menschen zum Schutz des Klimas oder aus gesundheitlichen Gründen gegen Tierfleisch entscheiden, bezeichnet auch Bundesinnungsmeister Plautz als „legitim“.

Noch bereitet der sinkende Fleischkonsum der von hohen Energie- und Rohstoffkosten gebeutelten Branche nur begrenzt Kopfzerbrechen. Sorgen bereitet Plautz vielmehr der Umstand, dass viele Betriebe in den letzten Jahren zusperren mussten. „Die Jugend ist nicht mehr bereit, die Betriebe zu übernehmen“, sagt Plautz. „Immer mehr Kulturgut“ würde so verloren gehen.