Reihenhaussiedlung
ORF/Christian Öser
Kredite

Immokäufer gefangen im Zinsdilemma

Rund um den heimischen Immobilienmarkt tobt derzeit ein harter Kampf: Während Mieter und Mieterinnen hohe Preise beklagen, werden Immobilienkredite aufgrund der steigenden Kosten für Kaufinteressenten zunehmend zur Hürde. Banken verweisen auf schärfere Kreditregeln und fordern in Einklang mit vielen Politikern eine Lockerung. Doch es gibt auch warnende Stimmen von Schuldnerberatung und Banken.

Wer derzeit auf Wohnungssuche ist, hat es – unter der Annahme endlicher finanzieller Mittel – nicht leicht. In den Ballungsgebieten und den umliegenden Speckgürteln sind die Mietpreise derart gestiegen, dass man für dieselbe monatliche Belastung meist schon kaufen könnte. Mit Betonung auf könnte, denn im Bereich Immobilienkredite sind die Hürden kräftig angewachsen.

Hinter der mehr als sperrigen Bezeichnung „Kreditinstitute-Immobilienfinanzierungsmaßnahmen-Verordnung", kurz KIM-VO, steckt die laut Bankenbranche derzeit größte Hürde für die Vergabe von Wohnkrediten. Die seit August 2022 geltende Verordnung gibt eine maximale Kreditlaufzeit von 35 Jahren vor, 20 Prozent der Gesamtkosten müssen mit Eigenmitteln finanziert sein, und die monatliche Kreditrate darf maximal 40 Prozent des verfügbaren Nettohaushaltseinkommens ausmachen.

Was von der Finanzmarktaufsicht (FMA) als Absicherung des heimischen Finanzplatzes und die „Begrenzung systemischer Risiken“ bei Immokrediten und auch zum Schutz der Käufer und Käuferinnen intendiert wurde, hat laut Kritikern dazu geführt, dass die Vergabe neuer Wohnkredite stark eingebrochen ist. Wurden im Mai 2022 laut Oesterreichischer Nationalbank (OeNB) noch rund 2.557 neue Kredite vergeben, liegt die Zahl seit Anfang 2023 um die 800, mit einem kleinen Ausreißer im März. Die Bankenbranche argumentiert nun, dass die Schuldendienstquote von 40 Prozent gelockert gehört.

Banken wollen mehr Flexibilität

Gefragt, ob das angesichts einer anhaltend hohen Inflation und steigender Lebenshaltungskosten nicht unverantwortlich ist, verteidigte der Obmann der Bundessparte Banken und Versicherungen der Wirtschaftskammer Österreich (WKO), Erste-Chef Willibald Cernko, die Forderung gegenüber ORF.at. Es solle den privaten Haushalten überlassen bleiben zu sagen, wo gespart wird und wo die Prioritäten gesetzt werden. Es werde dramatisch unterschätzt, wie wichtig Wohnen sei: „Warum soll ich vorgeben, wie viel jemand fürs Wohnen ausgeben darf?“

Die Bankenbranche bewege sich außerdem in einem klar regulierten und transparenten Umfeld, so Cernko weiter, es gehe um Anpassungen an den Rändern – explizit um eine Ausweitung der Schuldendienstquote auf 45 bis 50 Prozent. Man versuche eine Lösung und Spielraum für junge Menschen zu finden, damit diese sich ein Leben aufbauen können. „Wir haben kein Interesse, dass wir jemandem einen Kredit geben, und dann steht eine drei- oder fünfköpfige Familie vor uns, und wir müssen die Immobilie verwerten – das ist nicht unser Geschäftsmodell. Von keiner Bank.“

Wärmedämmung an einem Neubau
ORF.at/Christian Öser
Die Bautätigkeit und die Kreditnachfrage haben sich in vielen Teilen Europas drastisch reduziert

„Menschen werden in Mietmarkt gedrängt“

Derzeit würden Menschen mit Wohnbedarf, statt kaufen zu können, verstärkt in den Mietmarkt gedrängt, wo sie viel exponierter seien. Da sei es vernünftiger, so Cernko, sie in einem engmaschigen regulierten Umfeld zu begleiten, wo es auch ein Stück weit an der Bank liege zu entscheiden, ob etwa ein junges Paar in der Zukunft in der Lage sein werde, mit einer Finanzierung umzugehen. Es gehe dabei auch nicht um Anlage oder Spekulation, die Zeit sei ohnedies vorbei, sondern um junge Menschen, die ihr Berufsleben vor sich haben und einen Vermögenswert schaffen wollen.

Gefragt, ob es nicht sinnvoller sei, an anderen Schrauben zu drehen – Stichwort Mietpreisbremse – sprach sich Cernko einmal mehr gegen zu viel Regulierung aus. Es gebe nun mal Angebot und Nachfrage. Er sei zufrieden, wenn jenes Maß an Flexibilität erreicht werde, wo Menschen, „die das Thema mit der notwendigen Ernsthaftigkeit betrachten, auch die Chance bekommen, flexible Lösungen zu finden“. Das müsse auch der Politik und der Gesellschaft wichtig sein.

Oberbank-Chef: „Überall Stillstand“

Oberbank-Chef Franz Gasselsberger, Befürworter der KIM-VO, stimmt nicht in den allgemeinen Chor der Banken mit ein, er sieht den Rückgang der Finanzierungen weitaus differenzierter. In vielen EU-Ländern gebe es ebenfalls einen dramatischen Rückgang bei der Bautätigkeit und den Finanzierungen: „Es ist überall zum Stillstand gekommen.“ Dass mit einem Wegfall der KIM-Regeln der Wohnungsmarkt beflügelt wird, wie oftmals auch argumentiert wird, glaubt er nicht. Es sei einfach Realität geworden, „dass Kredite kosten“.

Dazu ein Rechenbeispiel aus der Praxis: Im März 2022 hätte die Finanzierung einer Dreizimmerwohnung im Wert von 390.000 Euro bei einem Eigenmittelanteil von 90.000 Euro und einer Laufzeit von 35 Jahren inklusive aller Nebenkosten rund 1.000 Euro im Monat gekostet. Im Juli 2023 würden für dieselbe Summe bereits 1.400 Euro im Monat fällig – Grund sind die seit 2022 kräftig gestiegenen Kreditzinsen. Das Gehalt blieb gleich: 2022 wäre der Kredit genehmigt worden, 2023 nicht mehr.

„Populismus beherrscht Debatte“

Es sei außerdem Aufgabe der Banken, so Gasselsberger, dass sich die Menschen die vergebenen Kredite auch leisten können, sagt er und weist auf das eigene Kreditrisiko jeder Bank hin. Wer nicht ausreichend Eigenmittel habe bzw. die monatlichen Kreditzahlungen nicht stemmen kann, könne sich eben keine Wohnung oder Haus leisten, verweist er auf die goldenen Regeln der Finanzierung. Gerade bei langfristigen Krediten wie einer Wohnung als Lebensinvestition müsse man sich außerdem genau überlegen, ob sich das Leben abseits der Kreditrate auch noch finanzieren lasse.

Die Kreditvergabeempfehlungen habe es bereits seit einiger Zeit als Empfehlung von der FMA gegeben, auf diese habe die FMA auch immer wieder hingewiesen. Weil sie aber nur bedingt eingehalten wurden, seien sie dann verpflichtend geworden. Gasselsberger gibt zu bedenken, dass es vergleichbare Regeln in 24 anderen EU-Ländern gibt.

Die aktuelle Debatte sei wohl dem herrschenden Populismus geschuldet, die Argumente seien auch von den Politikern sehr einseitig. Der Markt werde sich wieder normalisieren, weil nun weniger gebaut werde, glaubt Gasselsberger, würden aber wohl auch weniger Objekte auf den Markt kommen – und die Immopreise auf lange Sicht eher nicht sinken.

Anfragen bei Schuldnerberatung steigen

Bei Thomas Berghuber von der Schuldnerberatung und Budgetberatung Oberösterreich schlagen, wie auch bei der Arbeiterkammer, bereits viele Anfragen und Probleme bezüglich der Finanzierbarkeit von Wohnkrediten auf. Auch er sagt: „Die Zinsen waren lange zu billig, die Leute haben sich einfach daran gewöhnt.“ Früher sei es Usus gewesen, dass es ohne 30 bis 40 Prozent Eigenmittel keinen Kredit gibt – und auch hohe Zinsen habe es immer wieder gegegeben. Die billigen Zinsen der letzten Jahre hätten den Markt und die Erwartungen überhitzt.

Berghuber verweist wie Gasselsberger darauf, dass die Zinsen parallel mit dem Inkrafttreten der KIM-VO angestiegen sind – grundsätzlich nicht ganz unerwartet, denn jahrelang sei mit einem Steigen gerechnet geworden. Allerdings sei wohl die starke Steigerung tatsächlich überraschend. Dazu komme, dass die breite Masse von der aktuellen Teuerung betroffen sei und der Spielraum nicht nur für Kredite immer kleiner werde, da die Gehälter mit der Teuerung nicht Schritt gehalten hätten – der Wunsch nach Eigentum steige aber.

Variable Verzinsungen nehmen zu

Verblüffend ist, dass in den vergangenen Monaten parallel zum Anstieg der Zinssätze der Anteil der variablen Verzinsungen bei den neu vergebenen Krediten deutlich gestiegen ist, besagen Zahlen der OeNB – offenbar aufgrund der Annahme, dass die Zinsen auch wieder fallen müssen. Bei bestehenden Krediten ist der variable Anteil zurückgegangen, wohl auch aufgrund von Umschuldungen. Zudem, berichten Banken, gibt es vermehrt Rückzahlungen von Krediten.

Vor allem die Bauwirtschaft wünscht sich neben der Finanzwirtschaft, dass die Kreditregeln gelockert werden – mit dem Argument, dass ein Einbruch der Bauwirtschaft der gesamten heimischen Wirtschaft schade. Der Druck kommt dabei auch von den Bürgermeistern und Bürgermeisterinnen, die ihrerseits Druck von potentiellen Häuslbauern verspüren. Gerade im Westen hat sich die Lage bereits vor der KIM-VO aufgrund der rasant gestiegenen Preise für Grundstücke und Baumaterialien stark zugepitzt.

Schutz des Finanzplatzes und der Kunden

Die KIM-VO habe durchaus Sinn, so Berghuber, diese solle ja nicht nur den Finanzplatz Österreich, sondern auch die Kunden und Kundinnen schützen. Aus seiner langjährigen Erfahrung könne er sagen, dass Sparen eine Fertigkeit sei, die nicht jeder habe. Wer etwa keine Eigenmittel habe, zeige, dass er wohl auch bisher nicht gespart habe. Es sei unverantwortlich, eine lockerere Kreditvergabe zu fordern, warnt der Schuldnerberater. Es brauche stattdessen mehr günstigeren Wohnraum und höhere Gehälter – diese seien nämlich nicht im vergleichbaren Ausmaß zu den höheren Kreditkosten gestiegen.

Auch wenn es derzeit vergleichsweise wenige Ausfälle gebe, geht Berghuber davon aus, dass auf längere Sicht mehr und mehr Menschen unter Druck geraten und sich womöglich auch von ihren Immobilien trennen müssen. Es gebe zudem einen großen Leerstand an Wohnungen, der irgendwann wohl auf den Markt kommen werde. Das wirtschaftliche Risiko der Banken sei bei der Wohnraumfinanzierung jedenfalls gering, so Berghuber, die Wohnungsnot werde aber wohl weiter anhalten.