Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni
Reuters/Remo Casilli
Ernüchternde Wirtschaftszahlen

Regierung Meloni zunehmend unter Druck

Im ersten Quartal hat Italien noch ein starkes Wachstum verzeichnet, dazu kommen steigende Exportzahlen und nicht zuletzt eine wieder auf Hochtouren laufende Tourismusindustrie. Dennoch ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in der drittgrößten Volkswirtschaft der Euro-Zone zuletzt wieder überraschend geschrumpft, womit mit Blick auf die hochgesteckten Ziele wohl auch die von Giorgia Meloni angeführte Regierung in Rom nicht gerechnet haben dürfte.

„Das ist eine böse Überraschung für Meloni“, zitiert die „Financial Times“ („FT“) dazu Francesco Galietti vom italienischen Politberatungsunternehmen Policy Sonar. Italiens Regierungschefin habe sich wohl zu stark auf das Thema Inflation konzentriert, und „wahrscheinlich nicht damit gerechnet, dass das Wachstum so schnell an Fahrt verliert“, wie es in der „FT“ dazu weiter heißt.

Nach vorläufigen Zahlen der Statistikbehörde ISTAT ist Italiens BIP im zweiten Quartal 2023 im Vergleich zum ersten Jahresviertel um 0,3 Prozent zurückgegangen. Analystinnen und Analysten hatten im Schnitt mit einer Stagnation gerechnet. Im Vergleich zum Vorjahresquartal stieg das BIP von April bis Juni um 0,6 Prozent. Eine Aufschlüsselung nach Sektoren gibt es in der am Montag veröffentlichten BIP-Schätzung nicht. ISTAT verwies aber auf eine rückgängige Produktion in Industrie und Landwirtschaft.

Voller Strand in Italien
Reuters
Italiens Tourismusindustrie ist wieder voll angelaufen

„Industrie wichtiger als Tourismus“

Vor allem die rückläufige Industrieproduktion gilt schon länger als großes Sorgenkind für Italiens Wirtschaft. Untermauert wird das auch vom aktuellen Indexwert über die Stimmungslage in der Industrie. Laut ISTAT fiel dieser Wert im Juli auf 99,3 Punkte, nach 100,2 Punkten im Monat zuvor. Analystinnen und Analysten hatten im Schnitt einen Indexwert von 99,8 Punkten erwartet. Die Stimmungswerte deuten weiter auf eine Schwäche in der italienischen Industrie hin. Der Indexwert ist bereits den vierten Monat in Folge gefallen.

Die im zweiten Quartal geschrumpfte Wirtschaft legt aus Beobachtersicht indessen nun auch nahe, dass Tourismus, Exporte und der leicht gewachsene Dienstleistungssektor wohl nicht ausreichen, um das von der Regierung für dieses Jahr angekündigte Wachstum von 1,2 Prozent zu erreichen.

Für ein fortgeschrittenes Industrieland wie Italien sei „die Gesundheit der Wirtschaft viel wichtiger als der Tourismussektor“, sagte dazu laut dem Onlineportal Euractiv der frühere Chefökonom im italienischen Finanzministerium, Lorenzo Codogno. Ob das gesetzte Wachstumsziel noch immer „voll in Reichweite“ sei, wie aus dem Finanzministerium verlautet, müsse sich laut Euractiv somit erst weisen.

Scharfe Kritik der Opposition

Es seien „düstere Zahlen“, so die „FT“ mit Erinnerung an Melonis Ankündigungen, mit dem Kampf gegen die Teuerung den Wachstumskurs halten und Italiens Schuldenlast (mit 140 Prozent eine der höchsten in der EU, Anm.) auf eine tragfähigere Grundlage stellen zu wollen.

Geht es nach der Opposition, werfen die ISTAT-Wachstumszahlen ernsthafte Fragen über die wirtschaftliche Ausrichtung des Landes auf. „Es handelt sich nicht um einen Konjunkturabschwung oder Pech, sondern um das Ergebnis der eklatanten Unfähigkeit dieser Regierung, wirtschaftliche Prozesse zu steuern und Investitionen zu fördern“, zitiert die „FT“ dazu den Abgeordneten Ubaldo Pagano von der Partito Democratico (PD, demokratische Partei).

Davon will man auf Regierungsseite freilich nichts wissen – vielmehr seien Faktoren, die sich der Kontrolle Roms entziehen, Grundlage der rückgängigen Wachstumszahlen, wie etwa das Finanzministerium laut Medienberichten dazu mitteilte. Ein Dorn im Auge sind der Regierung in Rom in diesem Zusammenhang etwa die wiederholten Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank (EZB).

Per SMS gekündigtes Bürgergeld

Neben einem klaren Wachstumskurs schrieb sich die seit Oktober 2022 amtierende und von Melonis postfaschistischer Partei Fratelli d’Italia (FdI, Brüder Italiens) angeführte Koalition auch umfangreiche Steuersenkungen und Anreize für einen späteren Pensionsantritt auf die Fahnen. Im Gegensatz zu diesen Wahlversprechen ist Melonis Regierung zuletzt die ebenfalls angekündigte Einschränkung des erst 2019 vom populistischen Movimento 5 Stelle (M5S, Fünf-Sterne-Bewegung) eingeführten Grundeinkommens angegangen.

Demonstranten in Neapel
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Protest gegen die Streichung des Bürgergeldes in Neapel

Konkret wurden am Freitag 169.000 Haushalte per SMS über die Streichung der als Bürgergeld bezeichneten Sozialhilfe informiert. Das Bürgergeld erhalten mit Stichtag 1. August nur noch Haushalte, in denen Minderjährige, Menschen mit Behinderung oder Seniorinnen und Senioren älter als 65 Jahre leben.

Berichten zufolge könnte das Bürgergeld im Spätsommer für weitere 80.000 Haushalte ausgesetzt werden. Insbesondere der Süden des Landes ist von den neuen Maßnahmen betroffen. Neapel ist etwa die Stadt mit den meisten Bezieherinnen und Beziehern des Bürgergelds. Gewerkschaften und Aktivistengruppen riefen zu Protesten gegen die Kürzung auf. In einigen Städten im Süden protestierten Menschen vor den Stellen der Sozialbehörde INPS.

Oppositionspolitiker kritisierten den Schritt der Regierung scharf. Ex-Regierungschef Giuseppe Conte, der das Bürgergeld 2019 einführte, bezeichnete den Schritt als „ideologischen Krieg“, der auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen werde. Kritikerinnen und Kritiker befürchten eine „soziale Katastrophe“.