Ukrainischer Panzer
APA/AFP/Anatolii Stepanov
Ukraine-Offensive

Neue Taktik für vom Westen geschulte Truppen

Bei der laufenden ukrainischen Offensive hat Kiew an diversen Frontabschnitten einem Medienbericht zufolge die Taktik geändert. Betroffen seien Einheiten, deren Soldaten im Rahmen eines umfangreichen Ausbildungsprogramms im Westen ausgebildet wurden. Laut „New York Times“ („NYT“) haben sich etwa die von den USA vermittelten Kampfmethoden an der Front bisher nicht bewährt, weswegen die ukrainische Armee wieder auf Taktiken setzt, „die sie am besten kennt“.

„Die ersten Wochen der lange erwarteten ukrainischen Gegenoffensive haben den ukrainischen Truppen, die von den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten ausgebildet und bewaffnet wurden, nicht gutgetan“, berichtete die „NYT“ mit Verweis auf US-Beamte und -Experten, die sich vor Kurzem ein Bild von der Lage an der Front gemacht haben sollen.

Die „NYT“ verwies auf die nur auf vier bis sechs Wochen ausgelegte und damit wohl zu kurze Ausbildung. Die betroffenen Brigaden hätten Anfang Juni zu Beginn der Gegenoffensive schließlich auch taktische Fehler gemacht.

In Minenfeld „stecken geblieben“

Als Beispiel nannte die Zeitung eine als Vorhut geplante Einheit, die in den russischen Minenfeldern stecken geblieben und unter ständigem Artillerie- und Hubschrauberbeschuss verloren gegangen sei. Andere Einheiten hätten zuvor freigeräumte Wege verlassen und seien dann ebenfalls auf Minen gestoßen.

Erwähnt wird auch ein für die Nacht geplanter, allerdings bis zum Morgengrauen verzögerter Angriff, womit der erhoffte Vorteil verloren gegangen sei. Einer weiteren Einheit sei es „so schlecht“ ergangen, „dass die Kommandeure sie ganz vom Schlachtfeld abzogen“.

Die „NYT“ erinnerte zudem an Berichte, wonach in den ersten Wochen der Gegenoffensive bis zu 20 Prozent der von der Ukraine auf das Schlachtfeld geschickten Waffen zerstört bzw. beschädigt worden seien. Darunter hätten sich etwa auch lange von der Ukraine geforderte Kampfpanzer befunden, was der Zeitung zufolge durchaus auch Fragen nach der Qualität der Ausbildung aufwerfe, die die Ukrainer vom Westen erhalten haben.

Auf Angriffs- folgt Zermürbungstaktik

Auf dem Schlachtfeld habe die ukrainische Armee bereits die Taktik geändert, so die „NYT“. „Anstatt sich unter Beschuss in Minenfelder zu stürzen“, konzentriere man sich nun darauf, die russischen Streitkräfte mit Artillerie und Langstreckenraketen zu zermürben.

Im Süden des Landes setze man zudem auf kleinere Angriffe, um die russischen Linien zu durchbrechen, wobei es zwar gelungen sei, „einige Dörfer zurückzuerobern“. „Weitreichende Erfolge“ wie im Vorjahr die Rückeroberung der strategisch wichtigen Städte Cherson und Chjarkiw stünden allerdings weiter aus, so die von der „NYT“ gezogene „gemischte“ Bilanz.

Ukrainische Soldaten beim Training in England
Reuters/Henry Nicholls
Zehntausende ukrainische Soldaten haben im Ausland – im Bild eine Übung in einer britischen Kaserne – eine mehrwöchige Ausbildung durchlaufen

Schnelle Entscheidungsfindung auf Schlachtfeld

„Die Gegenoffensive selbst ist nicht gescheitert. Sie wird sich über mehrere Monate bis in den Herbst hinziehen“, zitierte die Zeitung Michael Kofman von der Washingtoner Denkfabrik Carnegie Endowment for International Peace. Ein mögliches Problem sei Kofman zufolge aber, dass man ukrainische Soldaten offenbar dazu bringen wollte, so zu kämpfen, wie es die amerikanischen Streitkräfte gegen einen organisierten Feind tun würden, „anstatt den Ukrainern zu helfen, so zu kämpfen, wie sie es am besten können“.

Im Fokus der westlichen Ausbildung stehe den „NYT“-Angaben zufolge weiterhin der Einsatz kombinierter Waffentechniken und damit auch synchronisierte Angriffe von Infanterie-, Panzer- und Artillerieeinheiten. Das umfasst auch die Ausbildung hochrangiger ukrainischer Soldaten. Im Gegensatz zur streng zentralisierten Kommandostruktur setze man hier auf kurze Wege und eine schnelle Entscheidungsfindung auf dem Schlachtfeld.

Den „NYT“-Angaben zufolge haben bisher neun Brigaden und damit etwa 36.000 ukrainische Soldaten eine Ausbildung im Ausland durchlaufen. Allein vonseiten der EU wurden im Rahmen der European Union Militäry Assistance (EUMAM) 24.000 Soldaten an mehreren Standorten ausgebildet. Eine Ausweitung des Programms steht an, zudem soll in Kürze die Ausbildung von ukrainischen Piloten auf F-16-Kampfflugzeugen beginnen.