Bekleidungsfabrik in Huaibei, China
Reuters
Asiens Fabriken

Anfang vom Ende der Billigstmode

Die Arbeitswelt ändert sich – nicht nur in Europa. Auch Asien, seit Jahrzehnten Außenposten der Industriestaaten für Billigproduktion, kämpft mit einem Arbeitskräftemangel. Immer weniger junge Menschen wollten in den großen Fabriken arbeiten, heißt es im „Wall Street Journal“, zumindest nicht zu den „traditionellen“ Bedingungen. Das könnte langsam, aber doch das Ende der Billigstmode einläuten. Noch floriert das Geschäft damit allerdings.

Asien war lange Zeit die „Fabrik“ des Westens, etwa in der Textilindustrie, möglichst billige Produkte gingen in der Regel auf Kosten von Arbeitsbedingungen und Bezahlung für die Arbeiterinnen und Arbeiter in den Fabriken.

Diese Zeit ist noch nicht vorüber, allerdings ist die Arbeitswelt auch in Ländern wie China und Vietnam, wo viele große westliche Bekleidungsketten und Spielzeughersteller produzieren lassen, im Umbruch. Auf Asien komme „ein großes Problem“ zu, hieß es zuletzt im „Wall Street Journal“. Junge Menschen wollten „im Großen und Ganzen nicht mehr in Fabriken arbeiten“.

Kaum der Regelfall

Bei westlichen Unternehmen, die von diesen billigen Arbeitskräften abhängen, um Konsumgüter möglichst billig produzieren zu lassen, läuteten deshalb „die Alarmglocken“. Die Produzenten selbst müssten sich Strategien überlegen, wie sie Mitarbeiter gewinnen und halten können.

Bekleidungsfabrik in Hindupur, Indien
Reuters/Samuel Rajkumar
Die Arbeit in Asiens Bekleidungsfabriken ist oft mit Ausbeutung verbunden

Nur ein Beispiel: den Arbeitsplatz möglichst attraktiv machen. Das „Wall Street Journal“ nannte als Beispiel eine Fabrik in Vietnam: hohe Räume mit großen Fenstern, Cafeteria, Yoga- und Tanzkurse, Bowling und Ausflüge mit Teambuilding und Bier. Es sei „nicht Google“, sondern eben eine Fabrik in Südostasien – und es ist ganz sicher noch lange nicht der Regelfall, sondern die große Ausnahme.

„Dämmerung“ der Billigstlohnländer

Die „Dämmerung“, das mögliche Ende der „ultrabilligen“ Arbeitskraft in Asiens Fabriken, sei „die jüngste Bewährungsprobe für ein globales Produktionsmodell“, das in den letzten 30 Jahren Verbrauchern auf der ganzen Welt eine breite Palette günstig produzierter Waren geliefert hat. US-Amerikaner, „die an günstige Mode und Flachbildfernseher gewöhnt sind“, und nicht nur sie müssten bald mit höheren Preisen rechnen. Bessere Arbeitsbedingungen kosten eben etwas.

Das Billiglohnland an sich gebe es nicht mehr, so der britische Kogründer des vietnamesischen Bekleidungsherstellers UnAvailable, Paul Norriss. „Die Menschen werden ihre Konsumgewohnheiten ändern müssen“, auch Marken würden umdenken müssen.

Nicht mehr um jeden Preis

Die typischen Arbeitskräfte in den Fabriken sind laut Norriss zwischen 20 und 30 Jahre alt, heute brechen viele von ihnen Ausbildungsprogramme nach kurzer Zeit ab. Jene, die bleiben, blieben nur wenige Jahre. UnAvailable, laut eigenem Anspruch ein „nachhaltiger“ Gewandhersteller, versuche, den „Coolness-Quotienten“ seiner Arbeitsplätze zu erhöhen.

Unternehmen in den traditionellen Billiglohnländern Asiens hätten Löhne erhöhen und Arbeitsbedingungen verbessern müssen, um ihre Mitarbeiter halten zu können, hieß es im „Wall Street Journal“, etwa über die Einrichtung von Betriebskindergärten.

Tragödie in Bangladesch als Weckruf

Das Thema Arbeitsbedingungen und (Südost-)Asien macht seit vielen Jahren Schlagzeilen, auch wenn der Preis Kunden vielfach trotzdem weiter zu den billigsten Produkten greifen lässt. Zum tragischen Sinnbild der Zustände in manchen Unternehmen wurde der Brand in einer Gewandfabrik in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka 2012.

Bekleidungsfabrik nach einem Brand in Savar, Bangladesch
Reuters/Andrew Biraj
Die Katastrophe von Dhaka 2012 rückte das Thema Billigsttextilien in das öffentliche Bewusstsein

Dort starben über hundert Menschen bei einem Brand, über tausend hatten sich zum Zeitpunkt des Unglücks in dem neunstöckigen Gebäude befunden, Brandschutz gab es keinen. Das Unternehmen hatte auch für große westliche Marken produziert. Der Brand war nicht der erste in einer Bekleidungsfabrik in Bangladesch gewesen.

Preise steigen mit besseren Arbeitsbedingungen

Sicherheitsstandards und Arbeitsbedingungen, bei denen jahrelang gespart wurde (und noch immer gespart wird), kosten Geld, höhere Gehälter machen die Produktion teurer. Das bestätigten etwa auch die US-Spielzeughersteller Hasbro und Mattel („Barbie“), die in großem Stil in Asien produzieren lassen, und der US-Sportartikelhersteller Nike, der dort hauptsächlich Schuhe herstellen lässt. Auch der deutsche Konzern adidas lässt in Südostasien produzieren. Hasbro und Mattel hätten bereits die Preise für ihre Produkte erhöht, hieß es im „Wall Street Journal“.

Asien als „Fabrik“ des Westens

Das „Wall Street Journal“ skizzierte kurz den Umbruch in den Ländern von China bis Indonesien, der in den 1990er Jahren eingesetzt hatte, als diese Länder, China als erstes, „in die Weltwirtschaft integriert“ und aus „Nationen armer Bauern“ Zentren der Industrieproduktion wurden. Den Nutzen daraus zogen vor allem die Endverbraucher im Westen. Mit „Made in“ China, Vietnam, Indonesia wurden viele Gebrauchsgüter billiger, nicht nur Kleidung.

Nun kämpften diese Länder mit einem „Generationenproblem“. Junge Menschen, vielfach schon besser ausgebildet als ihre Eltern und zugleich „Veteranen“ auf Instagram, TikTok und Co., wollten nicht mehr, dass sich ihr Leben hinter Fabriksmauern abspiele, schrieb die US-Zeitung. Schließlich kennten sie aus sozialen Netzwerken auch eine andere Welt.

Gesellschaft im Umbruch

Ein Faktor, so das „Wall Street Journal“, sei die demografische Entwicklung. Junge Menschen auch in Asien hätten heute weniger Kinder als ihre Eltern und bekämen sie später, was zur Folge habe, dass sie weniger unter Druck stünden, früh ein stabiles Familieneinkommen zu erwirtschaften. Außerdem biete ein boomender Dienstleistungssektor die Option weniger belastender Tätigkeiten etwa in großen Einkaufszentren und an der Rezeption von Hotels.

Besonders akut sei das Problem in China, wo die Arbeitslosenrate unter jungen Menschen in den Städten im Juni 21 Prozent erreicht habe und parallel dazu Unternehmen über Personalmangel klagten. Multinationale Konzerne hätten bereits begonnen, ihre Produktion in Länder wie Malaysia, Indonesien, Vietnam und Indien zu verlegen.

Einfach weiterziehen funktioniert nicht mehr

In Ländern wie China und Vietnam sind die Löhne in den letzten Jahren deutlich gestiegen – relativ zumindest. In Vietnam um 100 Prozent, so das „Wall Street Journal“ unter Verweis auf die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) der UNO, wobei sie dort im Durchschnitt bei 320 Dollar (rund 292 Euro) lägen. In China habe der Anstieg zwischen 2012 und 2021 im Schnitt 122 Prozent betragen.

Die Margen der westlichen Auftraggeber dürften bei diesen Lohnniveaus zwar noch stimmen, trotzdem sehen sie sich bereits nach günstigeren Standorten um. Früher sei man in ein billigeres Land weitergezogen, heute sei das nicht mehr ohne Weiteres möglich. Es gebe zwar Länder mit einem großen Pool an Arbeitskräften, etwa in Afrika und Südasien. Viele davon seien aber politisch instabil, oder es fehle an Infrastruktur. Die US-Zeitung nennt als Beispiele Myanmar, Äthiopien und Bangladesch.

Noch zieht das Billigstpreismodell

Noch funktioniert das Modell mit Billigstpreisen aber, wie das Beispiel Temu zeigt. Der Onlinemarktplatz, gegründet im Vorjahr in den USA, vermittelt zwischen Verkäufern hauptsächlich aus China und Kunden in den USA und Europa, auch in Österreich.

Das Unternehmen bietet sein Sortiment, das von Bekleidung über Elektronik bis zu Haushaltsartikeln reicht, über seine App zu Niedrigstpreisen an. Die Werbestrategie ist sehr offensiv, Zielgruppe sind vor allem junge Menschen.

Kampfansage an „Fast Fashion“

Gewand, gekauft zu Billigstpreisen, kaum getragen und irgendwann wieder weggeworfen, soll allerdings in Europa auf absehbare Zeit ein Auslaufmodell werden. Die EU-Kommission hat der „Fast Fashion“ im Rahmen ihres „Green Deal“ für den Klimaschutz den Kampf angesagt.

Mode – und etwa auch Elektronik – soll über eine „Initiative für nachhaltige Produkte“ in den nächsten Jahren nachhaltiger werden, in ökologischer wie sozialer Hinsicht. Auch das ist ein Schritt weg von Billigstmode, wenn auch nur ein erster.