Der Gouverneur von Florida, Ron DeSantis
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US-Republikaner

„Law and Order“ statt „Anti-Woke“

Die politischen Debatten über Abtreibungen, Genderfragen, Bücher für junge Menschen und „Wokeness“ haben die USA zuletzt zunehmend entzweit. Laut aktuellen Umfragen dürften Argumente gegen „linke Ideologien“ in der Vorwahl zur Präsidentschaftswahl allerdings an Durchschlagskraft verlieren. Soziale Themen wie die Rechte der LGBT-Community und Abtreibungen hätten womöglich nicht den Effekt, den sich viele Republikaner erhofft hatten, schreibt die „New York Times“ („NYT“). Stattdessen stehe „Law and Order“ hoch im Kurs.

„Woke“ steht ursprünglich für politisch engagiert und „wach“ gegen Diskriminierung und wird in bestimmten konservativen Kreisen als Schimpfwort für linke Politik benutzt. Mit Blick auf die anstehende Vorwahl zur Präsidentschaftswahl, die in der Regel zwischen Jänner und Juni stattfindet, wurde zuletzt befürchtet, dass sich die Gräben zwischen Konservativen und Liberalen und die Polarisierung der Gesellschaft weiter verschärfen könnten.

Die republikanische Wählerschaft dürfte der Kampf gegen „woke“ Themen jedoch zunehmend ermüden. So zeigen aktuelle Umfragen der „NYT“ und des Siena College unter republikanischen Wählerinnen und Wählern in den USA, dass Kandidatinnen und Kandidaten kaum Stimmen gewinnen werden, wenn sie in ihrem Wahlkampf hauptsächlich auf den Kampf gegen „linke Ideologie“ in Schulen, Medien, Kultur und Wirtschaft setzen.

Präferenz für „Law and Order“

Stattdessen würde die republikanische Wählerschaft eine liberale wirtschaftliche Ausrichtung und eine klare Präferenz für „Law and Order“, also ein hartes Vorgehen gegen Kriminalität, Drogenkonsum und Gewalt, in Städten und an den Grenzen des Landes bevorzugen. Vor die Wahl zwischen zwei hypothetischen Kandidaten gestellt, entschied sich demnach nur knapp ein Viertel der Wählerinnen und Wähler für „einen Kandidaten, der sich darauf konzentriert, die radikale ‚Woke‘-Ideologie in unseren Schulen, Medien und unserer Kultur zu besiegen“.

Gleichzeitig gaben rund zwei Drittel der Befragten an, dass sie einen Kandidaten, „der sich auf die Wiederherstellung von Recht und Ordnung auf unseren Straßen und an der Grenze konzentriert“, wählen würden. Unter den Menschen ab 65 Jahren – also jener Altersgruppe, die am ehesten wählen geht – schlossen sich laut „NYT“ nur 17 Prozent dem „Anti-Woke-Kreuzzug“ an. Diese Zahlen seien in Iowa, wo am 15. Jänner die ersten Stimmen für den republikanischen Kandidaten abgegeben werden, fast identisch gewesen.

DeSantis stößt mit radikalem Kurs an Grenzen

Die Ergebnisse würden erklären, weshalb der republikanische Gouverneur Ron DeSantis, der in seinen Reden auf Kampfansagen gegen „woke“ Schulen und Unternehmen setzte, derzeit an seine Grenzen stößt, wie niedrige Umfragewerte zeigen. In der letzten Reuters/Ipsos-Umfrage, die vergangene Woche veröffentlicht wurde, kam der ehemalige US-Präsident Donald Trump landesweit auf 47 Prozent der republikanischen Stimmen, während DeSantis gegenüber Juli um sechs Punkte auf nur noch 13 Prozent zurückfiel.

Der Gouverneur von Florida, Ron DeSantis
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DeSantis gilt trotz schlechter Umfragewerte als Trumps größter Rivale

Vergangene Woche erklärte DeSantis’ größter Einzelsponsor, der Hotelunternehmer Robert Bigelow, er werde kein weiteres Geld mehr investieren, bis DeSantis neue Spenderinnen und Spender an Bord geholt und seine Kampagne deutlich „moderater“ ausgerichtet habe. Etwa im April hatte DeSantis ein Gesetz unterzeichnet, laut dem Abtreibungen bereits ab der sechsten Schwangerschaftswoche verboten sind. Viele Frauen wüssten zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht einmal, dass sie schwanger seien, kritisierte Bigelow.

„Extremismus gewinnt keine Wahlen“

Wenn DeSantis den Kurs seiner Politik nicht ändere, werde er gegen Trump verlieren. „Extremismus gewinnt keine Wahlen“, zitiert der „Spiegel“ den Unternehmer. Auch DeSantis’ Fehde mit dem Disney-Konzern dürfte mit Blick auf die Umfragen nicht weiter erfolgversprechend sein. Der Konzern hatte sich gegen das von DeSanstis initiierte, als LGBT-feindlich bezeichnete Gesetz „Parental Rights in Education Bill“ gestellt und die lange geplante Expansion in Florida abgesagt.

In der „NYT“-Umfrage gaben „nur“ 38 Prozent der republikanischen Wählerinnen und Wähler an, dass sie einen Kandidaten unterstützen würden, der verspricht, Unternehmen zu bekämpfen, die eine „aufgeweckte“ linke Ideologie fördern. 52 Prozent gaben an, einen Kandidaten zu bevorzugen, „der sagt, dass die Regierung sich aus der Entscheidung heraushalten sollte, was Unternehmen unterstützen sollten“.

„In Iowa und New Hampshire lehne ich es ab, dass die Leute (diese sozialpolitischen Positionen, Anm.) nicht für wichtig halten“, zitiert die „NYT“ den Gouverneur. „Diese Familien mit Kindern danken mir, dass ich in Florida Stellung bezogen habe.“ Zusammen mit anderen republikanischen Bundesstaaten hat Florida Gesetze verabschiedet, die gegen „woke“ Ideologien vorgehen sollen, wie etwa die Betreuung von Minderjährigen bei Geschlechtsumwandlungen.

Ramaswamy: „Woke“ mit „Truth“ ersetzt

Ein weiterer republikanischer Kandidat im Rennen um die Präsidentschaft, der millionenschwere Unternehmer Vivek Ramaswamy, sagte in einem Interview, dass die „sich verändernden Ansichten“ der Wählerschaft wichtig seien und er sich anpassen würde. „Woke“ Unternehmensführung und Schulsysteme bezeichnete er als Symptom für „eine tiefere Leere“ in einer Gesellschaft, die eine religiöse und nationalistische Erneuerung benötige.

Republikanische Kandidat Vivek Ramaswamy
Reuters/Scott Morgan
Der Sohn indischer Einwanderer ortet eine „tiefe Leere“ in der Gesellschaft

Er habe seine Aufkleber mit der Aufschrift „Stop Wokeism. Vote Vivek“ entfernt und durch Hüte mit der Aufschrift „Truth“ ersetzt. „Zu der Zeit, als ich mich auf dieses Thema konzentrierte, wusste niemand, was das Wort ist“, sagte er. „Jetzt, wo sie aufgeholt haben, hat sich der Puck bewegt. Es ist auch in meinem Rückspiegel.“ Recht und Ordnung und Grenzsicherheit seien zu Stellvertretern für „Standhaftigkeit“ geworden. Das sei eindeutig das, wonach sich die republikanischen Wählerinnen und Wähler sehnten.

Trump in Umfragen klar in Führung

Auch Trump schien bei einem Wahlkampfauftritt in Iowa im Juni einen Kurswechsel zu vollziehen. „Ich mag den Begriff ‚woke‘ nicht. Das ist nur ein Begriff, den sie benutzen – die Hälfte der Leute kann ihn nicht einmal definieren, sie wissen nicht, was er ist“, so der Republikaner. Das sei zwar ein eindeutiger Seitenhieb auf seinen Rivalen DeSantis gewesen, schreibt die „NYT“.

Der frühere US-Präsident Donald Trump
Reuters/Sam Wolfe
Trump wird vorgeworfen, eine Verschwörung gegen den Staat angeführt zu haben

Gleichzeitig zeige die Positionierung, wie gut Trump inzwischen die Präferenzen seiner Wählerschaft kenne. Obwohl Trumps Einfluss innerhalb der Republikanischen Partei etwas geschwunden sei, habe er nach wie vor eine engagierte Anhängerschaft und könnte in den Vorwahlen von mehreren Herausforderern unterstützt werden. In den Umfragen für die republikanische Nominierung für die Wahlen 2024 liegt Trump weiterhin klar in Führung.

Soziale Themen „politisch kompliziert“

Für Kandidaten, die versuchen, Trumps Einfluss auf die republikanische Wählerschaft zu brechen, könnte das Problem daher umfassender sein als die Abschaffung des Begriffs „woke“, so die „NYT“. Schließlich wurde Trump bereits dreimal angeklagt und wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt – das habe seiner Popularität aber keinen Abbruch getan. 37 Prozent der republikanischen Wählerinnen und Wähler bezeichneten Trump als moralischer als DeSantis.

Soziale Themen wie Geschlecht, Ethnie und Sexualität seien zudem politisch kompliziert und im Wahlkampf möglicherweise weniger ausschlaggebend, als Trumps Rivalen dachten. Zwar zeigte die „NYT“-Siena-Umfrage, dass sich mit 58 Prozent eine Mehrheit der republikanischen Wählerschaft dagegen ausspricht, dass die Gesellschaft Transgender-Identitäten akzeptieren sollte.

Aber die Hälfte der republikanischen Wählerinnen und Wähler unterstützt laut Umfrage das Recht von Homosexuellen zu heiraten, 41 Prozent sprachen sich für die gleichgeschlechtliche Ehe aus. 51 Prozent der republikanischen Wählerinnen und Wähler gaben zudem an, dass sie einen Kandidaten, der verspricht, die individuelle Freiheit zu schützen, einem Kandidaten vorziehen würden, der „traditionelle Werte“ verteidigt.