NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger
ORF/BFILM
„Sommergespräche“

Meinl-Reisinger geißelt „Scheindebatten“

Zum Auftakt der diesjährigen „Sommergespräche“ im ORF ist NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger Rede und Antwort gestanden. Moderatorin Susanne Schnabl spannte einen großen thematischen Bogen, mitunter wurde aber auch über „Wut im Bauch“ und die Gefühlslage des Gepflanztwerdens gesprochen. Im Zuge dessen geißelte Meinl-Reisinger die jüngsten innenpolitischen Debatten als „Scheindebatten“.

Schnabl empfing Meinl-Reisinger in gewohnter Arbeitsumgebung, nämlich jener der NEOS-Chefin – im Parlament. Erstmals finden die ORF-„Sommergespräche“ im nun frisch renovierten Hohen Haus statt – genauer gesagt im Sprechzimmer 23, das als Besprechungsraum und Telefonkammerl genutzt wird. Geprägt war das Gespräch von jenen Themen, die seit Monaten die Schlagzeilen bestimmen – und nicht zuletzt auch davon, welche Rolle NEOS in Zeiten zunehmender Polarisierung für sich sieht.

Eingangs gefragt, was sie antreibe, sagte Meinl-Reisinger: „Wenn wir NEOS nicht gegründet hätten vor etwa zehn Jahren, dann müssten wir’s jetzt machen.“ Angesichts der momentanen Debatten sei sie „ratlos“ und „wütend“: Denn in einer Zeit mit großen Problemen werde „vom Bundeskanzler abwärts“ diskutiert, wer normal oder nicht normal ist, so Meinl-Reisinger. Die Politik solle Menschen nicht mit „Scheindebatten pflanzen“ und „Schattenboxen“ veranstalten. Auch Themen wie Gendern und Politikerlöhne fielen in diese Kategorie.

„Sommergespräche“ mit Meinl-Reisinger

Zum Auftakt der diesjährigen „Sommergespräche“ im ORF hat NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger Rede und Antwort gestanden. Moderatorin Susanne Schnabl spannte einen großen thematischen Bogen, mitunter wurde aber auch über „Wut im Bauch“ und die Gefühlslage des Gepflanztwerdens gesprochen. Im Zuge dessen geißelte Meinl-Reisinger die jüngsten innenpolitischen Debatten als „Scheindebatten“.

„So viele Themen, bei denen es kracht“

Es gebe so viele Bereiche, bei denen es „kracht“: Inflation, Rezession, Herbstlohnrunde, Gesundheitsbereich und Bildungsbereich. Die Frage sei, wie man Österreich wieder an die Spitze bekomme. Das Problem laut NEOS-Chefin: „Die machen nur nichts.“ Mit dem Wechsel vom Plenarsaal in das Sprechzimmer 23 wurde es dann thematisch konkret – mit der Frage nach der sich zunehmend ändernden gesellschaftlichen Haltung zum Thema Arbeit.

Man sehe, dass da etwas im Umbruch sei („Es ist g’scheit, dass sich die Jungen mehr die Sinnfrage stellen“). Doch handle es sich wohl eher um einen „Zweckoptimismus“, auch damit in Zusammenhang, dass man sich heutzutage nichts mehr aufbauen könne. Die Steuerlast sei viel zu hoch, die Ziele, die die Elterngeneration leichter erreichen hätten können, seien „in weiter Ferne gerückt“. Es gebe derzeit einen „Arbeitnehmermarkt“, so Meinl-Reisinger.

Gegen „Anreize für Teilzeit“

Auf betrieblicher Ebene sei es „in Ordnung“, dass sich Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber etwas überlegen müssten. Doch flächendeckend könne man eine Arbeitszeitreduktion bei vollem Lohnausgleich nicht machen, weil man es sich nicht leisten könne: „Es fehlen Menschen in der Pflege, im Gesundheitsbereich, in der Pädagogik.“ Da jetzt auf jene, die „jeden Tag ihre Leistung bringen“ und alles aufrechterhalten, noch mehr Druck auszuüben, sei falsch.

Auf die Frage, wie viel wir künftig arbeiten müssten, sagte die NEOS-Chefin, sie sei „nicht für Vollzeit“, sondern dafür, „keine Anreize für Teilzeit“ zu schaffen. Die Debatte über Vollzeit sei „unerträglich auf dem Rücken von Frauen und Müttern, die vielfach Teilzeit arbeiten müssen“, weil es etwa viel zu wenig Kinderbetreuung gebe. Vollzeit solle belohnt werden, so Meinl-Reisinger, nämlich zentral über Anreize im Steuersystem.

Regierung „verteilt wie der gütige Gutsherr“

Es gehe nicht um eine staatliche Subvention, sondern um eine steuerliche Begünstigung. „Der Staat muss aufhören, so tief in die Taschen zu greifen.“ Die Regierung gehe mit der Gießkanne durchs Land und „verteilt wie der gütige Gutsherr Boni, damit alle Danke sagen“. Die Gießkanne habe die Inflation angefacht, so Meinl-Reisinger, mit Blick auf die Herbstlohnrunden für die NEOS-Chefin unverständlich. Generell plädierte sie für sinkende Lohnnebenkosten.

Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) habe es in der Hand, aber fordere von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, nicht zu viel zu verlangen. Die Rechnung von NEOS: ein Dezimieren der Lohnnebenkosten (minus 6,3 Prozent), folglich weniger Einnahmen für den Minister, was kompensiert werden müsste. Für den Arbeitgeber gingen sich laut Rechnung der NEOS-Chefin dann fünf Prozent mehr Nettolöhne aus – ohne erhöhte Kosten für die Arbeitnehmerin. Die Gewerkschaft müsse Druck machen.

„Immer mehr in Pension, immer weniger arbeiten“

Finanzminister Brunner sei über die Teuerung „der größte Krisenprofiteur“, der Staat gebe aber zunehmend Geld für „Klientelpolitik“ aus, damit wollte sie aber nicht Pensionistinnen und Pensionisten gemeint haben. Dennoch ging es fortan um die Frage der Pensionserhöhungen. Die NEOS-Chefin plädierte für eine Erhöhung des Pensionsantrittsalters („Immer mehr Menschen sind in Pension, immer weniger arbeiten“). Man müsse die Erhöhungen „moderat“ machen, kleinere Pensionen sollten stärker erhöht werden, aber das könne nicht generell so sein, sagte sie sinngemäß.

Einmal mehr sprach sich Meinl-Reisinger gegen eine Erbschaftssteuer aus. Man zahle so viel für Arbeit, Erbinnen und Erben auch noch zu besteuern, gehe nicht. Den Einwand, dass Besitz ja schließlich im Wert auch steige, ließ die NEOS-Chefin nicht gelten: „Mit einer Steuer ändert sich das auch nicht.“ Die Vermögenssteuer, die SPÖ-Chef Andreas Babler wolle, „hat er schon dreimal ausgegeben“. Es fange bei den Millionären an, doch lande man dann bei den Häuslbauerinnen.

„Europa muss unabhängig von USA wehrfähig sein“

Auch über die Neutralität wurde gesprochen. Man solle über „Bürgerräte“ erörtern, was das Thema Neutralität für Österreich bedeute. Man müsse über dieses Thema sprechen, Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) verschließe sich dem, indem er die Debatte für beendet erklärt habe. Die gemeinsame Luftraumsicherung „Sky Shield“ sei zu befürworten. Entscheidend sei die Stärkung der gemeinsamen europäischen Verteidigung – Europa müsse unabhängig von den USA wehrfähig sein.

„Zu viel irreguläre Zuwanderung“

Dann ein großer Themenschwenk, konkret zu Sicherheitsfragen – Wien betreffend. Ob es dort Viertel gebe, in denen man abends ein mulmiges Gefühl haben müsse? „Insgesamt hat man das Gefühl, es wird aggressiver, auch was gleichgeschlechtliche Paare angeht.“ Zu viel Zuwanderung gebe es nicht, aber zu viel „irreguläre Zuwanderung“, dabei sollten die besten Köpfe nach Österreich kommen. Eine liberale Gesellschaft dürfe „nie tolerant gegenüber der Intoleranz sein“.

Die Migrationskrise 2015 habe die Haltungen wohl verändert, damals habe sich das Gefühl breitgemacht, dass man der Situation mit Ohnmacht gegenüberstehe. Es gehe etwa nicht, dass türkische „Graue Wölfe“ durch Wien marschieren, da müsse man klare Kante zeigen. Gefragt nach dem Ausländerwahlrecht sagte die NEOS-Chefin, dass es ein Problem sei, dass so viele Menschen von den Entscheidungen ausgeschlossen seien – man fordere mit einer nicht näher angegebenen Frist das Wahlrecht für EU-Bürgerinnen und -Bürger in Österreich.

„Würde nicht mehr Volksverräter sagen“

Gefragt nach Streit und Zank im Nationalrat sagte Meinl-Reisinger, dass Demokratie von Debatte lebe, sonst gäbe es „nur Macht und Ohnmacht“. Es sei wichtig, dass Bürgerinnen und Bürger ihre Position vertreten sehen. Es sei wichtig, hart in der Sache Auseinandersetzungen zu führen, „weil es um etwas geht“. Eine Gesprächsbasis habe sie mit allen, auch mit Herbert Kickl, dessen FPÖ sie im Vorjahr als „Volksverräter“ bezeichnet hatte.

Sie habe das in Bezug auf Russland gesagt, angesichts der Propaganda, die die FPÖ für Kreml-Chef Wladimir Putin betreibe. Man stelle sich noch immer die Frage, ob die FPÖ etwas dafür bekommen habe. „Es ist nicht patriotisch und verrät unsere Werte.“ Von rechter Seite werde sie oft als Volksverräterin bezeichnet, darum habe sie diesen Begriff überhaupt erst verwendet. Das würde sie heute nicht mehr nun, die inhaltliche Kritik bleibe aber („FPÖ hat die Neutralität verraten“).

Bargeld habe in der Verfassung nichts verloren, so Meinl-Reisinger zu einer Forderung der FPÖ und neuerdings auch der ÖVP. Wichtiger sei es etwa, „endlich mit der Raumordnung und mit diesem Gesundheitsbereich aufzuräumen“. Die Frage, auf die sich die Politik besinnen müsse, sei: „Was ist wirklich wichtig in Österreich?“ Wenn das nicht passiere, fahre man gegen die Wand.

Auch Schellhorn Thema

Wiederholt war aber auch NEOS selbst Thema, etwa die Frage, wie bitter es sei, dass man in Salzburg von der KPÖ überholt aus dem Landtag flog. „Es ist nicht schön, ein teures Lehrgeld.“ In den anderen Ländern sei man in Umfragen „gewachsen“, hielt die NEOS-Chefin dagegen. Apropos Salzburg und „Profilschärfung“: Gefragt nach Ex-Mandatar Sepp Schellhorn, sagte Meinl-Reisinger, dass er zurück in die Bundespolitik kommen wolle, er werde sich bewerben, was zu begrüßen sei.

Dass er sich für die Spitzenkandidatur bewerben könnte, wies Meinl-Reisinger zurück: „Das wird er nicht tun. Ich weiß das, weil ich mit ihm red’, mit ihm im Kontakt bin.“ Bei der EU-Wahl sei sie überzeugt, dass es aufseiten der NEOS „neue, frische Gesichter“ geben werde. Sie habe „Kandidaten im Auge“, wollte sie aber noch nicht verraten.

Filzmaier über Aussparen der Grünen überrascht

In der anschließenden Analyse in der ZIB2 mit dem Politologen Peter Filzmaier und Eva Konzett von der Wochenzeitung „Falter“ hieß es, Meinl-Reisinger habe sich routiniert und angriffslustig gezeigt, wie Konzett sagte. Überraschend sei gewesen, dass die Grünen bei der Kritik ausgespart worden seien, so Filzmaier. Der Parteiname sei nur einmal gefallen, das Wort Kogler (Werner, Vizekanzler, Anm.) sei nicht vorgekommen.

Für NEOS mache es durchaus Sinn, auch auf nicht mehrheitsfähige Themen zu setzen, etwa bei der Forderung nach dem Wahlrecht für EU-Bürgerinnen und -Bürger. Die Gretchenfrage sei aber nicht beantwortet worden, nämlich ab wann EU-Ausländerinnen und -Ausländern das Wahlrecht eingeräumt werden solle, so Filzmaier. NEOS bringe die Diskussion über die Neutralität auf die politische Ebene, das sei ihnen zugutezuhalten, so Konzett. Ein Aufbau einer EU-Armee sei aber nicht wirklich realistisch.

Die Klarheit beim Thema Erbschaftssteuer war bemerkenswert, so Filzmaier. Damit habe sich die NEOS-Chefin keine Verhandlungsposition gegenüber anderen Parteien offengelassen. In den möglichen Varianten könne sie streng inhaltlich nur mehr mit der ÖVP koalieren. Beharre sie jetzt auf dem Standpunkt, seien die Türen wohl zu – ändert sich das, würde man NEOS wohl das vorwerfen, was sie selbst den Grünen vorgeworfen haben, nämlich dass man bestimmte Haltungen mit der Macht über Bord geworfen hätte.