Ältere Frau mit ihrer Mutter
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Pflege fehlt das Personal

Ruf nach Pensionisten als Lückenfüllern

Die Plätze sind vorhanden, das Personal nicht – deshalb sind in ganz Österreich Pflegebetten gesperrt, obwohl der Bedarf groß ist. Nun wird ein Vorschlag diskutiert, der das Problem überbrücken soll: Pensionistinnen und Pensionisten könnten aus dem Ruhestand zurückgeholt und in der Pflege eingesetzt werden. Dagegen regt sich Widerstand.

Die Ausbildungsplätze werden vielerorts aufgestockt und Personal im Ausland gesucht – so wollen Bundes- und Landesregierungen die große Lücke beim Pflegepersonal stopfen. Das aber dauert, mitunter mehrere Jahre. Wie man bis dahin den Mangel verwalten will, ist offen. Bis dahin bleiben im ganzen Land viele Betten gesperrt. Wie viele genau, ist unklar, da die Daten nicht im Bund zusammengeführt werden.

Das Beispiel Hallein machte die Runde, hier steht etwa wegen des Personalmangels ein Seniorenheim halb leer: 68 der insgesamt 144 Betten sind gesperrt, auch wenn der Bürgermeister gegenüber dem Ö1-Radio von „dramatischen Szenen“ spricht: „Ich habe Kinder, die nicht wissen, wie sie ihre Eltern versorgen sollen“, so Alexander Stangassinger (SPÖ).

Schnelle Abhilfe sollen Pensionistinnen und Pensionisten schaffen, wenn es nach Walter Draxl geht. Er leitet das Ausbildungszentrum West für Gesundheitsberufe (azw) in Innsbruck, eines der größten in Österreich. „Ich würde der Bundespolitik dringend raten, aus dem Topf der Pensionisten zu fischen, denen ein attraktives Angebot zu machen, zum Beispiel mit Sozialversicherungsbeiträgen in Richtung null, mit Lohnsteuererleichterungen. Und das ist eine der schnellsten Möglichkeiten, dass Leute sofort wieder das Loch füllen“, so Draxl am Montag im Ö1-Morgenjournal.

Steuern und Zuverdienst

Vor allem die Pandemie habe zuletzt ein großes Loch gerissen. Schätzungen zufolge verließen zehn bis 15 Prozent den Beruf aus Überlastung. Diese Lücke könne man in drei bis fünf Jahren schließen, bis dahin brauche es aber Zwischenlösungen, begleitet von Maßnahmen wie eben vorübergehenden Steuererleichterungen.

Pensionistinnen und Pensionisten können – je nach Pension – einer Zuverdienstgrenze unterliegen. Neben einer Alterspension kann unbegrenzt dazuverdient werden. Bei einer vorzeitigen Alterspension aber darf nicht über die Geringfügigkeitsgrenze von 500,91 Euro pro Monat verdient werden. Zudem gibt es unterschiedliche Regeln bei Hacklerpension, Korridorpension und mitunter auch für Frauen und Männer.

Christian Struber, Präsident des Hilfswerks Salzburg, zeigte sich gegenüber dem ORF Salzburg skeptisch: Zum einen gebe es Modelle wie dieses bereits – immer mit der gleichen Problematik, „dass Menschen, die in Pension sind und dann wieder arbeiten und etwas dazuverdienen, steuerlich nicht sonderlich gut behandelt werden. Das ist eine Regelung, die auf Bundesebene zu ändern ist, aber es gibt halt immer noch keine Lösung“ – mehr dazu in salzburg.ORF.at.

Entlastung gefragt

Elisabeth Rappold vom bundeseigenen Forschungs- und Planungsinstitut Gesundheit Österreich hielt den Vorschlag hingegen „für einen guten Weg“, wenn man den Pensionistinnen und Pensionisten gute Rahmenbedingungen biete. „Wenn ich einen Nachteil in der Pension erlebe – finanzieller Natur, wenn ich wieder arbeiten gehe –, dann werde ich das natürlich nicht machen.“ Finanzielle Anreize und ein gutes Arbeitsumfeld seien nötig.

Als weitere mögliche Maßnahmen nannte Rappold auch „Jobrotations“, die Entlastung des Pflegepersonals von pflegefremden Tätigkeiten sowie den grundlegenden Ausbau der Prävention vom Kindergarten an.

ÖGB sieht „Illusion“

Ein weiteres Problem kann freilich die körperliche Fitness sein, worauf am Dienstag auch der ÖGB aufmerksam machte. „Bei der Pflege handelt es sich um einen extrem belastenden Job. Wir brauchen bessere Arbeitsbedingungen, damit die Menschen in der Pflege arbeiten und bleiben wollen“, so die Vorsitzende der ÖGB-Pensionistinnen und -Pensionisten, Monika Kemperle, in einer Aussendung.

Auch die Pensionsbeiträge in diesen Fällen abzuschaffen bringe den Betroffenen nichts, könne aber zu einer Bevorzugung von Pensionistinnen und Pensionisten gegenüber jüngeren Kräften führen „und macht sie gleichzeitig zu billigen Nothelferinnen bzw. Nothelfern für den Arbeitsmarkt“. Ältere Menschen in der Pflege einzusetzen sei eine „Illusion“, so Kemperle.

Seniorenbund sieht keine Verdrängungseffekte

Die Chefin des ÖVP-Seniorenbunds, Ingrid Korosec, sah das in einer Aussendung anders. Pensionistinnen und Pensionisten seien ein wichtiger und rasch verfügbarer Pool an Fachleuten. „Das gilt für alle Bereiche, aber auch besonders für die Pflege“, so Korosec. Angesichts des Notstands müsse man alle infrage kommenden Möglichkeiten nutzen.

Körperlich Geeigneten solle man die Option freistellen, zudem forderte Korosec in diesen Fällen die Abschaffung der Pensionsbeiträge. Dadurch gebe es keine Verdrängungseffekte auf dem Arbeitsmarkt, man solle nicht Alt gegen Jung ausspielen.

Dass der Personalbedarf langfristig vom Nachwuchs gedeckt werden kann, bezweifelte aber Expertin Rappold ohnehin. Angesichts der steigenden Anzahl von Pflegebedürftigen gehe sich das wohl nicht aus. Man müsse in die Arbeitsbedingungen investieren, damit das Personal bis zur Pension Vollzeit arbeiten könne.