Italienische Küstenwache bei einer Rettungsaktion vor Lampedusa
APA/AFP/Italian Coastguard
Bootsunglück vor Lampedusa

Dutzende Tote befürchtet

Nach einem Bootsunglück mit Geflüchteten vor der Insel Lampedusa im Mittelmeer werden nach Angaben der italienischen Nachrichtenagentur ANSA mindestens 40 Menschen vermisst. Drei Männer und eine Frau konnten gerettet werden, laut ihren Angaben kamen die anderen Insassinnen und Insassen des Bootes ums Leben.

Das Boot sei von der tunesischen Küstenstadt Sfax in Richtung Italien gefahren, berichtete ANSA am Mittwoch unter Berufung auf die vier Geretteten, die aus der Elfenbeinküste und Guinea in Westafrika stammen. Sie wurden den Angaben zufolge von einem maltesischen Frachtschiff aus dem Wasser gerettet und von der italienischen Küstenwache nach Lampedusa gebracht. Insgesamt seien 45 Menschen, darunter drei Kinder, auf dem Metallboot gewesen. Eine große Welle habe das Boot im Laufe der Fahrt zum Kentern gebracht. Die Geretteten berichteten außerdem, dass an Bord nur 15 Schwimmwesten zur Verfügung gestanden hätten.

Weder der Frachter noch die Patrouillenboote der Küstenwache fanden laut ANSA Leichen im Wasser. Das könne daran liegen, dass die Überlebenden weit entfernt vom Unglücksort gerettet wurden, hieß es am Nachmittag seitens der Behörden.

Auch Piratenangriff nicht ausgeschlossen

Nicht ausgeschlossen wird, dass Piraten das Boot attackiert haben, da es seit Tagen ohne Motor im Meer trieb. Angriffe tunesischer Fischer auf Boote mit Geflüchetten im zentralen Mittelmeer werden seit Wochen gemeldet. Die Piraten würden dabei die wertvollsten Güter mitnehmen, den Motor des Bootes sowie Bargeld und Mobiltelefone, sagte der stellvertretende Staatsanwalt von Agrigent, Salvatore Vella, kürzlich.

„Wir erleben wieder einmal eine Flüchtlingstragödie. Man spricht dauernd von europäischen Initiativen gegen die Schlepperei, doch heute hat sich vor unserer Insel ein neues Drama abgespielt“, kommentierte der Bürgermeister von Lampedusa, Filippo Mannino, die Katastrophe. Sozialdemokratische Parlamentarierinnen und Parlamentarier in Italien forderten eine europäische Rettungsaktion im zentralen Mittelmeer.

Als Vorbild solle die von der Europäischen Union 2013 gestartete Rettungsaktion „Mare Nostrum“ dienen, die in weniger als einem Jahr mehr als 150.000 Menschen rettete. „Mare Nostrum“ war am 31. Oktober 2014 ausgelaufen, einen Tag später begann die Operation „Triton“ der europäischen Grenzschutzagentur Frontex.

Erst am Montag konnte die Crew des von der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen betriebenen Rettungsschiffes „Geo Barents“ nach eigenen Angaben bei einem Einsatz in maltesischen Gewässern 49 Menschen, die ebenfalls von Sfax ausgelaufen waren, retten. Eine Person wird weiter vermisst. „49 Überlebende, die sich derzeit an Bord der ‚Geo Barents‘ befinden, stehen unter Schock und befinden sich in sehr schlechtem Zustand, nachdem sie sechs Tage lang auf See unterwegs waren“, hieß es von Ärzte ohne Grenzen.

Zahl der Ankünfte auf Lampedusa verdoppelt

Die Insel Lampedusa ist aktuell mit vielen Flüchtlingsankünften konfrontiert. Die Zahl der in diesem Jahr in Italien angekommenen Schutzsuchenden hat sich gegenüber dem Vergleichszeitraum 2022 mehr als verdoppelt. Zwischen Jänner und Anfang August erreichten 91.000 Menschen per Schiff über das Mittelmeer die Küste Süditaliens, im Vergleichszeitraum 2022 waren es 40.000, wie aus Angaben des italienischen Innenministeriums hervorgeht.

Seit Jahresbeginn kamen auch fast 10.000 nicht begleitete Minderjährige in Italien an. Seit sieben Jahren trafen noch nie so viele Geflüchtete in Süditalien ein. Bei der Überfahrt über das Mittelmeer kamen nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) seit 2014 mehr als 20.000 Menschen ums Leben.

Tajani warnt vor Mittelmeer als „großem Friedhof“

Das Mittelmeer dürfe nicht zu einem „großen Friedhof“ werden, warnte Italiens Vizepremier und Außenminister Antonio Tajani in einem Interview mit dem italienischen Radiosender Anch’io schon am Dienstag. „Wir müssen auf europäischer Ebene gemeinsam handeln, damit Afrika wachsen und seine eigenen Probleme lösen kann“, sagte Tajani.

„Flüchtlinge wollen oft nicht nach Italien kommen, sondern in andere EU-Länder ziehen. Deshalb brauchen wir mehr Zusammenarbeit. Wir müssen sicherstellen, dass die Migrationsfrage immer mehr zu einer europäischen Angelegenheit wird“, sagte Tajani.