Heinz Faßmann
ORF.at/Lukas Krummholz
Heinz Faßmann

„Die Debatte ist zu flach“

Der Präsident der Akademie der Wissenschaften (ÖAW), Heinz Faßmann, empfindet die Diskussionen über Normalität und Bargeld als „Sommerlochdebatten“. Als früherer Politiker würde er die Platzierung dieser Themen verstehen. Dennoch sollte sich die Politik mit den „wirklichen Zukunftsthemen“ befassen.

ORF.at: Herr Faßmann, zahlen Sie lieber in bar oder mit Karte?

Heinz Faßmann: Ich zahle viel mit der Karte, auch kleine Beträge.

ORF.at: Wie finden Sie den jüngsten Vorschlag der ÖVP, das Bargeld als Zahlungsmittel in die Bundesverfassung zu verankern?

Faßmann: Es ist Sommer, und es gibt eine Reihe von Debatten, die ich als Sommerlochdebatten bezeichnen würde. Das Bargeld gehört dazu, aber auch die Frage, ob Gesetze nur in weiblicher Form geschrieben werden sollen oder auch die Frage nach der Normalität.

ORF.at: Über Sommerlochdebatten, wie Sie es nennen, könnte man auch debattieren.

Faßmann: Ja, möglicherweise. Ich bin hier aber in der Rolle als Wissenschaftler und als Präsident der Akademie der Wissenschaften, und ich bin sehr froh, dass ich mich daran nicht beteiligen muss. Worum ich mich kümmere, ist die Wissenschaft und Forschung. Wenn es gelänge, die damit zusammenhängenden Themen im Sommer breiter zu diskutieren, dann beteilige ich mich sehr gerne.

Akademie

Die ÖAW ist die größte grundlagenorientierte, außeruniversitäre Forschungsinstitution in Österreich. Sie wird großteils durch die öffentliche Hand finanziert. Heute betreibt die Akademie 25 Institute, etwa in den Bereichen Archäologie, Demografie und Quantenphysik.

ORF.at: Als Professor für Angewandte Geografie könnten sie in der Normalitätsdebatte Input liefern. Was stellen sie sich unter Normen und Normalität vor?

Faßmann: Wenn man so will, haben Normen auch etwas mit statistischen Durchschnitten zu tun. An sich wäre die Debatte harmlos, wenn sie sich nicht in der Definition von „normal“ und „nicht normal“ verloren hätte. Denn um die Diskussion einer statistischen Normalverteilung ist es nicht gegangen.

ORF.at: Worum geht es dann?

Faßmann: Ich bin mir ganz sicher, dass hinter Sommerlochthemen strategische Überlegungen stehen. Wie adressiert man seine Wähler und Wählerinnen? Welche Klientel will man ansprechen? Das ist legitim, das gehört zur Politik, aber nicht zu meinen Aufgaben.

ORF.at: Stört es Sie, dass emotional aufgeladene Themen wie Bargeld, Gender und Normalität inhaltliche Themen überlagern?

Faßmann: Grundsätzlich hätten wir wichtigere Themen zu diskutieren. Wie steht es um den Standort Österreich? Wie gehen wir künftig mit dem sozialen Wohlfahrtstaat um? Wie schaffen wir die Energietransformation? Der demografische Wandel wird Folgen für die Pflege, das Gesundheitssystem und die Pensionen haben.

Die Frage des Fachkräftemangels wird uns weiterhin beschäftigen. Welche Auswirkungen wird KI auf den Arbeitsmarkt haben? Welche Berufe werden sich wie verändern, und wie muss ich das Bildungssystem heute schon darauf einstellen? Das sind Themen, die mich interessieren.

ORF.at: Verstehen Sie als Ex-Politiker, dass im Sommer emotionale Themen überwiegen?

Faßmann: Wegen meiner früheren Rolle verstehe ich manche politischen Mechanismen vielleicht besser als andere. Ich weiß, warum manche Themen platziert werden. Aber genau aus dem Grund erlaube ich mir auch zu sagen, wir könnten andere Themen, auch aus der Forschung, platzieren, die für dieses Land wirklich wichtig sind.

ORF.at: Welche Themen wären das?

Faßmann: Wir sollten uns mit den wirklichen Zukunftsthemen befassen und eine Zukunftsdebatte führen. Wie kann Forschung bei der Bewältigung der Klimakrise, der Energietransformation und des demografischen Wandels helfen? Wie können die Chancen der künstlichen Intelligenz und der neuen Gentechnologie genützt werden? Und wie kann Grundlagenforschung und angewandte Forschung gefördert werden, um einen maximalen Ertrag zu erzielen?

ORF.at: Warum greift die Akademie der Wissenschaften nicht auch die „Sommerlochthemen“ auf, um mehr Inhalt einzubringen?

Faßmann: Das machen wir. Aber beim Thema Bargeld in die Verfassung ist nicht wahnsinnig viel zu holen. Die Debatte ist zu flach. Mehr wissenschaftlicher Input ist allerdings nie verkehrt.

ORF.at: Zuletzt haben Sie gemeinsam mit der Forschungsförderungsgesellschaft FFG eine halbe Milliarde Euro mehr für die außeruniversitäre Forschung gefordert, obwohl der FTI-Pakt 2024 bis 2026 bereits fünf Milliarden Euro umfasst.

Faßmann: Die Löhne und Pensionen werden 2024 steigen, zugleich ist die Inflation weiterhin hoch. Wir machen darauf aufmerksam, dass es eine wachsende Finanzierungslücke geben wird. Wenn wir nicht investieren, werden wir mit anderen Ländern nicht Schritt halten können.

ORF.at: Fühlen Sie sich von der Politik gehört?

Faßmann: Es ist sicher schwierig, aber ich hoffe auf die Rationalität von Politik und Medien. Die sachbezogene Politik darf in den aktuellen Debatten nicht untergehen.

ORF.at: Würden Sie mit dem von Ihnen geforderten zusätzlichen Budget anfallende Kosten decken?

FTI-Pakt

Im FTI-Pakt (Forschung, Technologie und Innovation) wird die Finanzierung der außeruniversitären Forschung in Österreich geregelt. Der Pakt wird auf drei Jahre beschlossen. Die aktuelle Vereinbarung läuft von 2021 bis 2023, die nächste von 2024 bis 2026. Das Budget wird von den Ministerien für Wissenschaft, Technologie und Wirtschaft zusammengestellt.

Faßmann: Wir sehen weiterhin, dass die Kosten steigen. Die Erwartungen, als 2022 das Budgetpaket für die außeruniversitäre Forschung verabschiedet wurde, waren andere. Wenn es zu keinen zusätzlichen Mitteln kommt, müsste ein Rückbau stattfinden. Diesen Rückbau will ich nicht. Der Gesetzgeber auch nicht, denn er verlangt eine Wachstumsorientierung bei der Finanzierung.

ORF.at: Wir sprachen vergangenes Jahr über fast dasselbe Thema. Nach dem Beschluss für das Paket wirkten Sie zufrieden.

Faßmann: Im vergangenen Jahr war man der Auffassung, dass die Inflation ein kurzfristiges Ereignis sein wird. Wir sind eines Besseren belehrt worden.

ORF.at: Bis Herbst wird auch das künftige Unibudget verhandelt. Tauscht sich die außeruniversitäre Forschung mit den Unis über die Finanzierungsprobleme aus?

Faßmann: Wir haben unterschiedliche Budgettöpfe, aber wir sprechen natürlich mit den Universitäten.

ORF.at: Sind Sie zuversichtlich, dass die Regierung Geld nachschießen wird?

Faßmann: Bei aller Wissenschaftsskepsis gibt es die überwiegende Meinung, dass Wissenschaft und Forschung so etwas wie der Motor des Fortschritts und Garant für die Standortqualität des Landes sein kann. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass die Politik die richtigen Schritte setzen wird.