Demonstrierende Ärzte vor Krankenhaus in London
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Lange Wartelisten

England im Sog des Spitalstreiks

Bereits seit Monaten kommt es im britischen Spitalsbetrieb zu abgesagten Operationen und verzögerten Behandlungen. Zuletzt standen in England mit 7,6 Millionen Menschen so viele wie nie seit Beginn der Aufzeichnungen 2007 auf Wartelisten des Gesundheitsdienstes National Health Service (NHS). Der Rückstau wird wegen häufiger Streiks des Spitalspersonals nicht abgebaut. Ein Ende ist noch nicht in Sicht.

Denn auch am Freitag kommt es einmal mehr zu einer Protestaktion – konkret beginnen Assistenzärzte und -ärztinnen den fünften Aufstand. Der Konflikt zwischen Regierung sowie Jungärztinnen und Jungärzten schwelt seit neun Monaten: Grund dafür ist, dass die Gehälter der „junior doctors“ nach Angaben der Gewerkschaft British Medical Association (BMA) seit Langem nicht mit der Inflation mithalten. Sie mussten demnach in den vergangenen 15 Jahren einen Reallohnverlust von 26 Prozent hinnehmen. Dafür verlangen sie nun einen Ausgleich, welcher die Kaufkraft von 2008 wiederherstellen soll.

Den Streiks schlossen sich in den vergangenen Wochen und Monaten unterschiedlichste Berufsgruppen des britischen Gesundheitsdienstes NHS an. So fordern Pflege-, Dienstleistungs- und Fachpersonal höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen.

Gewerkschaftsmitglieder im BMA-Gebäude
APA/AFP/Henry Nicholls
Den Streiks schlossen sich unterschiedlichste Berufsgruppen des britischen Gesundheitsdienstes NHS an

Zuletzt hatten in der zweiten Juli-Hälfte auch die Fachärzte und Fachärztinnen gestreikt. Sie forderten ein „glaubwürdiges Gehaltsangebot“, nachdem die Lohnerhöhungen jahrelang unterhalb der Inflationsrate gelegen hätten. Nach BMA-Angaben sanken die Reallöhne der Fachärztinnen und Fachärzte so seit 2008 um 35 Prozent. Britische Fachärzte verdienen jährlich umgerechnet zwischen rund 101.000 und 137.000 Euro. Sie haben bereits einen zweiten Streik für den 24. und 25. August und einen dritten Streik für den 19. und 20. September angekündigt.

Sunak will nicht einlenken

Neue Zugeständnisse seitens der britischen Regierung sind nicht zu erwarten: Premierminister Rishi Sunak bekräftigte zuletzt, dass das Angebot einer Gehaltserhöhung von fünf bis sieben Prozent im öffentlichen Sektor „final“ sei. Kein noch so umfangreicher Streik werde die Regierung von ihrer Entscheidung abbringen, fügte Sunak hinzu. Derzeit liegt die Teuerung im Land bei etwas unter acht Prozent.

Die Gehaltserhöhungen für Beschäftigte im öffentlichen Dienst – darunter Ärztinnen und Ärzte – kündigte Sunak am 13. Juli an, also just an jenem Tag, an dem der längste Ausstand in der Geschichte des NHS begonnen hatte. Fünf Tage lang sollte der Streik der Krankenhausärzte dauern. Ähnliche Streiks führten im April und Juni zu schweren Störungen, Hunderttausende Termine und Operationen in Krankenhäusern mussten verschoben werden.

„Düsteres Bild“

Der Gesundheitsdienst NHS hat nach der Coronavirus-Pandemie einen gigantischen Rückstand aufzuarbeiten: Ende Juni seien 7,6 Millionen Patientinnen und Patienten auf den Wartelisten gestanden, etwa 100.000 mehr als noch im Mai und so viele wie nie seit Beginn der Aufzeichnungen 2007. Das teilte der NHS am Donnerstag mit.

Etwa 383.000 Menschen warten demnach bereits seit einem Jahr auf einen Eingriff, etwas weniger als im Mai, und etwa 7.200 seit mehr als 18 Monaten, ein deutlicher Rückgang zum Vormonat. Wartezeiten von mindestens eineinhalb Jahren sollte es nach Ankündigung der Regierung eigentlich seit April nicht mehr geben. Die Zahl der Menschen, die mehr als zwölf Stunden in Notaufnahmen auf eine Behandlung warten mussten, sank im Juli um zehn Prozent auf etwa 24.000.

Siva Anandaciva von der Denkfabrik „The King’s Fund“ sagte, die Zahlen zeichneten ein „düsteres Bild“. Es sei wichtig, dass zum Wohle der Patientinnen und Patienten alle Seiten an einen Tisch kommen und sich einigen, sagte er. Der NHS kündigte an, dass Patientinnen und Patienten schneller behandelt werden können, wenn sie bereit und in der Lage sind, für den Eingriff in andere Landesteile zu reisen.

Sunak versprach 300.000 neue Fachkräfte

Bei seiner Gründung 1948 war der öffentlich finanzierte NHS der erste umfassende, allen Einwohnern und Einwohnerinnen offen stehende Gesundheitsdienst der Welt. Er ist jedoch seit Jahren unterfinanziert, überlastet und hoch verschuldet. Ende Juni kündigte der britische Premierminister Sunak an, zur Bewältigung der Gesundheitskrise in den kommenden 15 Jahren mehr als 300.000 Fachkräfte einstellen zu wollen.