ECOWAS-Truppen, 2017
AP/Jerome Delay
„Alle Optionen offen“

ECOWAS stellt Truppe gegen Niger auf

Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) erhöht ihre Drohkulisse gegen Niger. Auf einem Gipfeltreffen hat sie die „sofortige“ Aufstellung einer Eingreiftruppe für einen möglichen Einsatz in dem Land beschlossen. Man halte sich „alle Optionen offen“, hieß es, Gewaltanwendung sei aber das „letzte Mittel“.

Der Einsatz der Eingreiftruppe solle die verfassungsmäßige Ordnung in dem Land nach dem Militärputsch wiederherstellen, hieß es in der Abschlusserklärung, die der Präsident der ECOWAS-Kommission, Omar Touray, am Donnerstag nach einem Gipfel der Staatschefs in Nigerias Hauptstadt Abuja verlas. Es habe aber Priorität, die verfassungsmäßige Ordnung mit friedlichen Mitteln wiederherzustellen, sagte er weiter.

Zuvor hatte auch der Präsident des regionalen Schwergewichts Nigeria, Bola Tinubu, in seiner Abschlussrede auf dem Gipfel erneut für eine friedliche Lösung des Konflikts mit der Militärjunta geworben. „Noch ist nicht alles verloren“, so Touray. Gleichzeitig sagte auch er: „Keine Option wird vom Tisch genommen. Das gilt auch für die Anwendung von Gewalt. Als letztes Mittel.“

ECOWAS-Gruppe für Einsatz in Niger

Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) hat ihre Militärchefs angewiesen, „sofort“ eine Eingreiftruppe für einen möglichen Einsatz in Niger zusammenzustellen. Es gehe nach dem Militärputsch in dem Land um die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung, sagte der Präsident der ECOWAS-Mission, Omar Touray, nach einem Gipfel in Abuja. Die ECOWAS halte sich „alle Optionen“ offen. Es habe aber Priorität, die Ordnung mit friedlichen Mitteln wiederherzustellen, so Touray.

Diplomatie bisher ohne Erfolg

Mehrere internationale Bemühungen zur diplomatischen Lösung des Konflikts hatten in den vergangenen Tagen aber keinen Durchbruch ergeben. Ein Hoffnungsschimmer kam zwar am Mittwoch auf, als Anführer der Putschisten Gesandte des ECOWAS-Vorsitzenden Tinubu empfingen. Doch die spätere Vorstellung der Regierung zeigt offenbar, dass die Junta daran festhält, ihre Agenda durchzusetzen.

Die ECOWAS sprach von einem Einsatz der Eingreiftruppe, ließ dabei aber noch vieles unklar. Weder auf die Größe und Zusammensetzung der Truppe noch auf einen möglichen Zeitplan für einen Militäreinsatz in Niger gab es Hinweise. Zwar müssten die Stabschefs noch die Details ausarbeiten, aber sie hätten die Zustimmung der ECOWAS-Staatsoberhäupter, „dass die Operation so schnell wie möglich“ beginnen könne, sagte der ivorische Präsident Alassane Ouattara.

Abgeordnete bei ECOWAS-Treffen
IMAGO/Focal Point Agency
Zur Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) gehören 15 Staaten, darunter auch Niger

Die ECOWAS-Ankündigung schien darauf ausgerichtet, den Druck auf die neuen Militärmachthaber aufrechtzuerhalten, ohne sofort militärische Fakten zu schaffen. „Die Putschisten können schon morgen früh entscheiden zu gehen, und es wird keine Militärintervention geben, alles hängt von ihnen ab“, sagte Ouattara. Dabei könnte eine ECOWAS-Truppe in einer Konfrontation durchaus auch unterlegen sein, meinen Militärexperten. Niger selbst hatte 2020 angekündigt, die Zahl seiner Soldaten bis 2025 von 25.000 auf 50.000 zu verdoppeln.

Festnahme des Präsidenten „illegal“

Die ECOWAS verurteilte zudem erneut die „illegale Festnahme von Präsident Mohamed Bazoum“ sowie die Bedingungen, unter denen der gestürzte Präsident und seine Familie von der Junta festgehalten werden. Die Gruppe forderte die internationale Gemeinschaft auf, alle weiteren Schritte der ECOWAS zu unterstützen, die nötig seien, um die verfassungsmäßige Ordnung wiederherzustellen.

Frankreichs Außenministerium erklärte am Donnerstag, Paris unterstütze „in Gänze die angenommenen Beschlüsse“ des ECOWAS-Gipfels. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres forderte die sofortige Freilassung des festgehaltenen Präsidenten. Bazoum und seine Familie würden unter „verachtenswerten Bedingungen“ willkürlich von Mitgliedern der Präsidentengarde festgehalten, kritisierte ein UNO-Sprecher in New York. Berichten zufolge werden Bazoum und seine Familie ohne Strom, Wasser, Essen oder Medikamente in seiner Residenz festgehalten.

Sanktionen bleiben aufrecht

Die ECOWAS beschloss zudem, alle Sanktionen gegen Niger weiterhin aufrechterhalten zu wollen. Bereits bei ihrem ersten Treffen am 30. Juli hatte die Wirtschaftsgemeinschaft Handels- und Finanztransaktionen ausgesetzt, die Grenzen der Nachbarstaaten zu Niger geschlossen und die Zentralbanken angewiesen, Vermögenswerte nigrischer staatlicher und halbstaatlicher Unternehmen sowie der am Putsch beteiligten Militärs einzufrieren. Nigeria stellte zudem die Stromlieferungen nach Niger ein, die das Nachbarland benötigt.

Am 26. Juli hatte Nigers Präsidialgarde unter General Abdourahamane Tiani den demokratisch gewählten Präsidenten Bazoum in seiner Residenz festgesetzt, weil dieser Beobachtern zufolge Tiani an der Spitze der Eliteeinheit auswechseln wollte. Nach ersten Spekulationen über einen internen Machtkampf schlossen sich auch die anderen Zweige der Streitkräfte dem Putsch an, verkündeten „das Ende des Regimes“ und lösten alle verfassungsmäßigen Institutionen auf. Tiani übernahm die Macht. Unter dem Vorsitz Tinubus hatte die ECOWAS kurz nach dem Putsch Maßnahmen bis hin zu einer Militärintervention angedroht.

Die ECOWAS hatte der Junta ursprünglich eine Woche Zeit gegeben, Bazoum zurück auf seinen Posten zu lassen und die verfassungsmäßige Ordnung wiederherzustellen. Die Putschisten ließen die gesetzte Frist jedoch in der Nacht auf Sonntag verstreichen, ohne darauf einzugehen. Stattdessen ordneten sie noch am Sonntag vorsorglich und bis auf Weiteres eine Sperrung des nigrischen Luftraums an. Internationale Flüge in dem Gebiet wurden daraufhin teils gestrichen oder umgeleitet.

Flächenbrand „sehr schnell“ möglich

Die suspendierten ECOWAS-Mitglieder Mali, Burkina Faso und Guinea stellten sich auf die Seite der Putschregierungen. Mali und Burkina Faso erklärten, jegliche Intervention auch als „Kriegserklärung“ aufzufassen. Demonstrativ besuchte eine Delegation aus Mali Tiani zu Gesprächen über die militärische Zusammenarbeit, während eine US-Spitzendiplomatin und Verhandlungsdelegationen der ECOWAS ihn nicht zu Gesicht bekamen.

„Ein Militärschlag kann sehr schnell ein Flächenbrand werden. Praktisch kann ich mir das nicht vorstellen“, sagte Sahel-Regionalleiter Ulf Laessing von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Der Afrikaanalyst Ben Hunter von der britischen Beratungsfirma Verisk Maplecroft warnte: „Das wäre kein Vorgehen gegen Rebellen mehr, sondern ein zwischenstaatlicher Krieg und einer der größten Kriege, den Westafrika je erlebt hat. Es hätte katastrophale Auswirkungen auf die gesamte Sahelzone. Es wäre ein gigantisches Risiko für ECOWAS.“

Sollte es zu einem militärischen Konflikt kommen, droht eine weitere Destabilisierung in West- und Zentralafrika, wo allein in den vergangenen drei Jahren nunmehr bereits sieben Putsche verübt wurden. Die von Hunger und Gewalt geplagte Sahelzone zählt zu den ärmsten Regionen der Welt. Tausende Menschen sind ums Leben gekommen, Millionen auf der Flucht, auch mit dem Ziel Europa. Speziell Niger ist zudem wegen seiner führenden Rolle bei der Bekämpfung von Islamisten in der Region sowie seiner Uran- und Ölreserven sowohl sicherheitsstrategisch als auch wirtschaftlich relevant für Europa, die USA, China und Russland.