Angestellter arbeitet in einem modernen Büro an einem Computer
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Weniger oder mehr Job

Nächste Runde in Arbeitszeitdebatte

Die Arbeitszeitdebatte geht im Sommer in die nächste Runde. SPÖ-Chef Andreas Babler hat sich die Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich auf die Fahnen geschrieben und bekommt Schützenhilfe vom Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB). Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer hält nun dagegen: Nötig wäre eher mehr als weniger Arbeit.

Wie die „Presse“ und das Ö1-Morgenjournal am Montag berichteten, hat die Wirtschaftskammer (WKO) Berechnungen angestellt, wie sich die von Babler geforderte Arbeitszeitverkürzung auf 32 Stunden pro Woche auf verschiedene Wirtschaftszweige auswirkt. Demnach würde sich die Zahl der offenen Stellen verdoppeln, zu den aktuell 220.000 kämen rund 230.000 nicht besetzte Arbeitsplätze, so Mahrer.

Auf die einzelnen Wirtschaftszweige heruntergebrochen, kommt die WKO-Analyse zum Fazit, dass der öffentlichen Verwaltung 18.000 Arbeitskräfte fehlen würden, 16.000 im Bereich Gesundheit und Pflege, 14.500 im Bildungswesen und 11.000 in Gastronomie und Hotellerie. Die demografische Entwicklung würde die Lage bis 2040 noch deutlich verschärfen und dann zu mehr als 800.000 offenen Stellen führen.

WKO sieht Bereitschaft zur Stundenaufstockung

Laut Mahrer müsse künftig mindestens gleich viel gearbeitet werden, laut WKO-Umfrage sei aber auch jede und jeder Zweite bereit, mehr Arbeitszeit zu investieren. Dafür seien Anreize nötig, so Mahrer: „Die Leute sind bereit, mehr zu arbeiten, wenn es mehr Netto vom Brutto gibt.“

Nötig wären dafür aber geänderte Rahmenbedingungen, appellierte Mahrer an die Politik – es brauche einen „massiven Ausbau“ der Kinderbetreuung und einen leichteren Zugang zum Arbeitsmarkt für Menschen, die nach Österreich kommen möchten.

ÖGB ortet „reflexartige“ Ablehnung

ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian konterte im Ö1-Morgenjournal, dass die „reflexartige Ablehnung“ der Arbeitszeitverkürzung in die Jahre gekommen sei. Er verwies auf die aktuellen Arbeitsmarktzahlen, laut denen 310.000 Arbeitslose einer deutlich niedrigeren Zahl an offenen Stellen gegenüberstehen würden.

„Dass es einen Arbeitskräftebedarf gibt, ist klar. Dass es einen Mangel gibt, hat andere Ursachen als eine Arbeitszeitverkürzung, die noch nicht einmal stattgefunden hat“, so Katzian. Grund für fehlende Arbeitskräfte seien eher die Arbeitsbedingungen oder das Lohnniveau in den jeweiligen Bereichen.

„Nicht von einem Tag auf den anderen“

Der ÖGB habe die Arbeitszeitverkürzung als „politisches Ziel“ definiert, Katzian weist aber zurück, dass die Forderung eine sofortige Umstellung in allen Bereichen umfasse. "Alle Arbeitszeitverkürzungen der Geschichte sind nicht von einem Tag auf den anderen gemacht worden, sondern mit entsprechend langen Übergangszeiten. Gerade in Branchen, in denen es einen Fachkräftemangel gebe, würde eine Arbeitszeitverkürzung den Job für Suchende attraktivieren – etwa in der Pflege.

In das gleiche Horn blies der FSG-Gewerkschafter und SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch. „Natürlich passiert das nicht von heute auf morgen, sondern dauert einige Jahre und passiert branchenspezifisch – das weiß WK-Präsident Mahrer natürlich ganz genau, weshalb seine Zahlen über Arbeitskräftemangel, wenn man sofort die Arbeitszeit reduziert, natürlich reine negative Propaganda sind“, so Muchitsch per Aussendung.

Arbeitszeitdebatte geht weiter

Wirtschaftsvertreter stellen sich gegen eine mögliche Arbeitszeitverkürzung quer. Eine Reduktion auf 32 Wochenstunden würde einen dramatischen Arbeitskräftemangel bedeuten, warnt Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer. Gewerkschaft und Arbeiterkammer sehen das anders und werfen den Arbeitgebern vor, Schreckensszenarien zu verbreiten.

Auch SPÖ-Chef Babler hatte am Samstag im Ö1-Interview „Im Journal zu Gast“ erklärt, es gehe nicht um eine Umstellung von heute auf morgen: „Es geht um das konkrete Modell, es geht um den Rahmen, und meine Aussagen sind relativ klar. Das soll ja nicht von einem Tag auf den anderen passieren.“ „Flächendeckend, glaube ich, dass wir innerhalb von acht, neun Jahren sicherlich einen großen Schritt der Arbeitszeitverkürzung auch wieder gehabt haben werden.“

Für eine „spürbare Arbeitszeitverkürzung“ plädierte zudem die Katholische Arbeitnehmer:innen Bewegung Österreich (KABÖ). Diese ermögliche eine bessere Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit, das „ehrenamtliche Mitgestalten in Kirche und Gesellschaft“ und „insgesamt ein gesünderes Leben“, heißt es in einer Aussendung.

IHS-Chef: „Eine Frage des Tempos“

Der Chef des Instituts für Höhere Studien, Holger Bonin, wies im Ö1-Mittagsjournal darauf hin, dass eine Arbeitszeitverkürzung branchenabhängig betrachtet werden müsse – das sei eine Aufgabe der Sozialpartner. Es sei außerdem eine Frage des Tempos. Man könne auch den Beschäftigten die Wahl lassen, ob sie individuell höhere Lohnabschlüsse oder verkürzte Arbeitszeiten wählen würden – „dann wird das ganz allgemein allmählich passieren“. Das verhindere auch, dass bestimmte Branchen überfordert würden.

Ein wichtiger Punkt sei auch die Flexibilisierung der Arbeitszeit, auch hier könnten die Sozialpartner in den Kollektivvertragsverhandlungen ansetzen, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Für den Gesetzgeber sieht Bonin wenig Aufgaben: „Der Gesetzgeber gibt Arbeitshöchstgrenzen vor, aber das tut er vor allem darum, um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Überforderung zu schützen.“

WIFO-Studie sieht BIP-Reduktion, aber mehr Produktivität

Zuletzt hatte das WIFO im Auftrag der Arbeiterkammer (AK) ausgerechnet, dass eine geringfügige Arbeitszeitverkürzung relativ geringe Auswirkungen auf das Bruttoinlandsprodukt haben würde: Eine Reduktion der Arbeitszeit nach den Wünschen der Beschäftigten um 3,5 Prozent würde das Bruttoinlandsprodukt (BIP) demnach um 0,9 Prozent senken.

Laut der Studie würden die Stundenlöhne langfristig real um bis zu 3,3 Prozent steigen, die Produktivität würde um bis zu 1,5 Prozent anziehen, die Beschäftigung würde um bis zu 1,4 Prozent zulegen. Die Arbeitslosenquote läge um 0,7 bis 1,0 Prozentpunkte niedriger, und das Budgetdefizit würde um 0,3 Prozent sinken. Auch die Preise würden steigen, der Preiseffekt läge aber unter einem Prozentpunkt.

Auch das industrienahe Institut EcoAustria stellte dazu Berechnungen an: Bei einer Arbeitszeitverkürzung auf 32 Stunden die Woche ohne Lohnausgleich würde das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im ersten Jahr je nach Modellannahmen zwischen 4,7 und 6,5 Prozent geringer ausfallen als in der Prognose ohne Verkürzung. Mit vollem Lohnausgleich liege der prognostizierte Rückstand zwischen 6,8 und 9,6 Prozent.

Der wirtschaftsliberale Thinktank Agenda Austria warnte im Juni davor, weniger zu arbeiten. Der Ökonom Jan Kluge erklärte gegenüber dem Ö1-Morgenjournal, selbst eine geringe Verkürzung der Arbeitszeit von etwas mehr als einer Stunde pro Woche koste jährlich drei Milliarden Euro. AK-Ökonom Markus Marterbauer relativierte diese Aussagen mit dem Hinweis auf das Wirtschaftswachstum. Mit der Annahme, dass die Wirtschaft in den nächsten zehn Jahren insgesamt etwa um 15 Prozent wachse, steige das BIP um mehr als 60 Milliarden. Die drei Milliarden würden dann weniger ins Gewicht fallen.