Parlament in Warschau
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Polen

Wahlkampftaktik lässt Wogen hochgehen

Am 15. Oktober wählt Polen ein neues Parlament. Wenn es nach der rechtsnationalen Regierung unter der Partei für Recht und Gerechtigkeit (PiS) geht, soll am selben Tag auch ein Referendum abgehalten werden. Die Opposition schäumt, dürften sich die Themen von Asyl bis Pensionsantrittsalter doch mit jenen des PiS-Wahlkampfes decken.

Das polnische Parlament machte am Donnerstag den Weg zu dem Referendum frei. Eine Mehrheit von 233 der 452 Abgeordneten stimmte für einen entsprechenden Antrag der PiS-Regierung. Damit wird die Bevölkerung am Wahltag auch zu vier Themen befragt. Eine Frage bezieht sich auf den EU-Asylkompromiss und die Aufnahme von Flüchtlingen. Die anderen drei Fragen betreffen die Privatisierung staatlicher Unternehmen, die Heraufsetzung des Pensionsantrittsalters und den Grenzzaun zu Belarus.

Besonders das Thema Migration lässt die Wogen hochgehen. Denn im Juni hatten sich die EU-Innenminister und -ministerinnen auf eine Reform der Asylpolitik geeinigt. Diese sieht vor, dass die Aufnahme von Flüchtlingen künftig nicht mehr freiwillig, sondern verpflichtend sein soll. Polens Regierung rund um die PiS kritisierte den Kompromiss und kündigte wenige Tage später ein Referendum an – auch wenn der Ausgang keinerlei Einfluss auf den EU-Entscheidungsprozess hat.

Der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki
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Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki lehnt den EU-Asylkompromiss ab

Konkret soll die Frage lauten: „Unterstützen Sie die Aufnahme von Tausenden illegalen Einwanderern aus dem Nahen Osten und Afrika nach dem von der europäischen Bürokratie auferlegten Mechanismus der verpflichtenden Aufnahme?“ Während diese Frage schnell an die Öffentlichkeit drang, wurden die weiteren Themen des Referendums von der PiS erst Wochen später publik gemacht.

Versuch, Stammwähler zu mobilisieren

Fachleute betrachten das Referendum als Versuch der PiS, die eigenen Stammwähler und Stammwählerinnen für die Wahl zu mobilisieren. Der polnische Soziologe Janusz Majcherek schrieb, dass die PiS auf den gesellschaftlichen Widerstand gegen die Aufnahme von Flüchtlingen aus außereuropäischen Ländern setze. Jene, die in einem Referendum gegen die EU-Linie stimmen, würden wohl auch eher einer Partei ihre Stimme geben, die ebenfalls gegen den Kompromiss kampagnisiert.

Die seit 2015 regierende PiS führt zwar in Umfragen, muss aber um ihre Koalitionsmehrheit fürchten. Die Partei, die mit der Betonung konservativer Werte und einer großzügigen Sozialpolitik große Popularität genießt, geriet bei mehreren Themen unter Druck. So profitierte die liberale Opposition von Massenprotesten gegen die Regierungspolitik und der Verärgerung vieler Menschen über das restriktive Abtreibungsrecht. Zudem steht die PiS wegen diverser Skandale um Freunderlwirtschaft unter Druck.

Duda wollte Referendum am Wahltag 2015

Es ist nicht das erste Mal, dass die PiS-Regierung ein Referendum am Tag der Wahl durchführen will. 2015 kündigte der damals frisch gewählte Präsident Andrzej Duda – er trat zwar aus symbolischen Gründen aus der PiS aus, bleibt aber ihrer Linie treu – an, er wolle über das Herabsetzen des Pensionsalters abstimmen lassen. „Ich glaube, das Volk ist der höchste Souverän, und die Stimme der Polen muss gehört werden“, sagte Duda damals.

Der polnische Präsident Andrzej Duda im Jahr 2015
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Als frisch gewählter Präsident kündigte Duda gleich eine Volksabstimmung am Wahltag an – allerdings vergeblich

Die PiS befand sich wie alle anderen Parteien im Wahlkampf und versprach – wie eben Parteikollege Duda bei der vorangegangenen Präsidentschaftswahl – die Rückkehr zum alten Pensionsantrittsalter. 2012 hatte die liberalkonservative Regierung dieses auf 67 Jahre erhöht und damit für viel Unmut bei den Bürgerinnen und Bürgern gesorgt.

Zwar verhinderte der Senat, die zweite Kammer des Parlaments, mit Stimmen der Regierungsfraktionen ein Referendum am Wahltag. Doch der PiS hat die Ablehnung wohl mehr genutzt als geschadet. Die Partei trat als Sieger hervor, die damals regierende Bürgerplattform (PO) verlor 15 Prozentpunkte und musste in die Opposition.

PiS verschärft antideutschen Kurs

Der heutige Parteivorsitzende der PO, Donald Tusk, bezeichnete das geplante Referendum als ungültig. „Dieses Referendum ist im tiefsten und weitesten Sinne des Wortes ungültig. Manche behaupten, es handle sich um ein politisches Spiel, aber die PiS macht mit staatlichen Geldern Wahlkampf für sich selbst“, sagte der frühere polnische Regierungschef bei einer Vorstandssitzung am Mittwoch.

Das Referendum richtet sich aber nicht nur gegen Brüssel, sondern auch gegen Deutschland. PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski setzt die Frage nach der Privatisierung staatlicher Unternehmen in Zusammenhang mit Tusk und deutschen Interessen. „Unterstützt du den Ausverkauf staatlicher Unternehmen?“, fragte der PiS-Chef vor wenigen Tagen. „Die Deutschen wollen Donald Tusk in Polen einbetten, um polnische Vermögenswerte zu privatisieren und zu veräußern“, sagte er.

Polens Oppositionsführer Donald Tusk
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Gegen Oppositionsführer Tusk fährt die PiS einen scharfen Kurs

Die PiS attackiert den Ex-EU-Ratsvorsitzenden Tusk seit Langem mit der Unterstellung, er handle im Auftrag Deutschlands. „Das Gesicht der Lüge in der Politik hat heute ein Gesicht – Donald Tusk“, schrieb etwa Ministerpräsident Mateusz Morawiecki Ende Juni auf Twitter (X). Kaczynski bezeichnete Tusk als „wahren Feind unseres Volkes“. Dieser dürfe in Polen nie wieder an die Macht kommen. „Soll er in sein Deutschland gehen und dort Schaden anrichten!“, sagte Kaczynski.

Die Abgeordnete der Bürgerplattform, Malgorzata Kidawa-Blonska, verwies darauf, dass unter der PiS-Regierung Teile des Mineralölkonzerns Lotos an Saudi Aramco veräußert wurden. „Sie haben Lotos zum Schleuderpreis an die Saudis verkauft, und jetzt fragen sie die Polen ganz dreist, was sie davon halten? Lügner und Manipulierer“, so die Politikerin.