Christian Lindner und Karl Lauterbach
IMAGO/Emmanuele Contini
Dicke Luft

Deutsche „Ampel“ nur bei Cannabis einig

In der deutschen Politik ist die Sommerpause vorbei, und gleich am Mittwoch hat ein wichtiges symbolisches Gesetzesvorhaben das Kabinett passiert: die geplante Freigabe von Cannabis. Doch sogar hier offenbaren sich tiefe Risse in der Koalition. Bei einer anderen Thematik wird der Streit offen ausgetragen: Die Grünen verweigern FDP-Finanzminister Christian Lindner die Zustimmung zu einem seiner Prestigeprojekte.

Der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach bezeichnete den auf den Weg gebrachten Gesetzesentwurf zur Legalisierung von Cannabis als „Wendepunkt einer leider gescheiterten Cannabisdrogenpolitik“. „Niemand darf das Gesetz missverstehen. Cannabiskonsum wird legalisiert. Gefährlich bleibt er trotzdem“, sagte der SPD-Politiker am Mittwoch laut einer gemeinsamen Mitteilung seines Ministeriums und des Agrarministeriums.

Von einer einfachen Freigabe kann aber keine Rede sein: Ab 18 Jahren wird der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis straffrei gestellt werden. Der Bezug soll über Cannabisclubs ermöglicht werden. Diese benötigen eine behördliche Genehmigung und dürfen maximal 500 Mitglieder haben. An diese dürfen maximal 25 Gramm pro Tag und 50 Gramm pro Monat abgegeben werden. Im Eigenanbau zu Hause sollen zudem bis zu drei Pflanzen erlaubt sein.

Der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach
APA/dpa/Kay Nietfeld
Mit der Cannabisfreigabe setzte die deutsche Regierung – hier Gesundheitsminister Lauterbach – ein Wahlversprechen um

Weitere Einschränkungen

Bei Heranwachsenden zwischen 18 und 21 Jahren ist die Menge auf 30 Gramm pro Monat begrenzt. Der Gehalt des Rauschmittels THC darf bei ihnen nicht über zehn Prozent liegen. „Diese Einschränkung ist notwendig, denn Cannabis schadet besonders dem noch wachsenden Gehirn“, erklärte Lauterbach.

Es gilt ein Werbe- und Sponsoringverbot. Cannabis darf in den Anbauvereinigungen selbst nicht konsumiert werden. Erlaubt ist das nur in einem Abstand von 200 Metern. Das gilt auch für Schulen, Kinder- und Jugendeinrichtungen, Kinderspielplätze sowie öffentlich zugängliche Sportstätten.

Psychiater Kloimstein über legales Cannabis

Psychiater und Suchtexperte Philipp Kloimstein, ärztlicher Leiter des Suchtkrankenhauses Maria Ebene in Frastanz, spricht über die in Deutschland geplante teilweise Legalisierung von Cannabis.

Ziel der Freigabe sei es, „den Schwarzmarkt und die Drogenkriminalität zurückzudrängen“, erklärte Lauterbach. Das „Dealen mit gestreckten oder toxischen Substanzen“ solle eingedämmt und die Konsumentenzahlen verringert werden. Ähnlich argumentierte Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne), er sprach von einer „überfälligen Entkriminalisierung der zahlreichen Menschen, die Cannabis lediglich zum Eigenbedarf nutzen“.

Kritik von Union, Polizeigewerkschaft – und FDP

Scharfe Kritik kam von der CDU und der CSU: Das Gesetz sei „ein Anschlag auf den Jugend- und Gesundheitsschutz in Deutschland“, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sprach von einem „schweren Fehler“.

Die Gewerkschaften der Polizei und des Zolls sind ebenfalls unzufrieden. Das Cannabisgesetz bringe „ein Bürokratiemonster ersten Grades hervor, das schon wegen seiner Überkomplexität zum Kontrollverlust in der Realität führen wird“, erklärte der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt. „Von einer eigentlich vorgesehenen Entlastung von Polizei und Justiz kann keine Rede sein.“ So sei bisher völlig offen, wie mit Kraftfahrern im Straßenverkehr umgegangen werden soll, die unter Cannabiseinfluss stehen. Auch die Kontrolle der geplanten Cannabisvereine sei sehr aufwendig.

Ähnlich liest sich die Kritik der Bundestagsfraktion der FDP, die eigentlich das Gesetz mitträgt, nun aber Nachbesserungen fordert: „Durch viele kleinteilige Regularien entsteht ein unkontrollierbares Bürokratiemonster, das die Strafverfolgungsbehörden zusätzlich belastet“, sagte die sucht- und drogenpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Kristine Lütke. Eine Besitzobergrenze für Cannabis lehnt man „entschieden“ ab.

Lindner-Gesetz von Familienministerin gestoppt

Dass die FDP-Kritik so schroff ausfällt, mag damit zu tun haben, dass der Haussegen in der „Ampelkoalition“ auch nach der Sommerpause gehörig schief hängt. Der Streit über die geplanten Steuererleichterungen für Firmen mit dem Wachstumschancengesetz soll nach einer Blockade im Kabinett jetzt auf der Kabinettsklausur in Meseberg Ende August geklärt werden, sagte Finanzminister Lindner. „Es ist bedauerlich, dass heute ein Kabinettsbeschluss trotz des Einvernehmens mit dem Bundeswirtschaftsministerium nicht möglich war“, betonte Lindner.

Annalena Baerbock, Karl Lauterbach, Nancy Faeser, Cem Özdemir und Christian Lindner
IMAGO/Jean MW
Finanzminister Lindner (unten rechts) war in den vergangenen Monaten immer wieder im Clinch mit den Grünen

Er spricht damit an, dass Wirtschaftsminister Robert Habeck seine Zustimmung gab, allerdings die grüne Familienministerin Lisa Paus ein Veto einlegte. Sie hegt Vorbehalt gegen das Vorhaben für milliardenschwere Steuersenkungen für Unternehmen, wenn Lindner nicht gleichzeitig mehr Geld für die ab 2025 geplante Kindergrundsicherung zur Verfügung stelle.

Während Paus die Kosten anfänglich auf zwölf Milliarden Euro pro Jahr beziffert hatte, schrieb Lindner dafür zunächst nur zwei Milliarden in die Finanzplanung der deutschen Bundesregierung, die ab 2025 zur Verfügung stehen sollen. Paus dementierte aber gegenüber der „Welt“, dass sie mit ihrer Haltung mehr Geld für die Kindergrundsicherung herausschlagen wollte. Gleichzeitig schränkte sie den Finanzierungsbedarf ein: „Insgesamt bewegt sich das Vorhaben in einem Korridor von zwei bis sieben Milliarden Euro.“

Lindner musste Pressekonferenz absagen

Für Lindner war das Veto wohl auch ein persönlicher Affront: Er hatte bereits am Montag, trotz ausstehender Einigung, eine Pressekonferenz ankündigen lassen, um das Wachstumschancengesetz und das ebenso geplante – und mit einem ebenso blumigen Namen versehene – Zukunftsfinanzierungsgesetz zur Förderung von Unternehmensgründungen zu erläutern. Den Termin musste er jetzt absagen.

Die deutsche Koalition von Kanzler Olaf Scholz setzt damit ihre Querelen dort fort, wo man vor der Sommerpause aufgehört hatte. Wochenlang hatte man – vor allem Grüne und FDP – über das Heizungsgesetz gestritten. Doch vor allem die SPD spielt den neuen Streit herunter: Regierungssprecherin Christiane Hoffmann wies die Einschätzung eines Fehlstarts der Regierung zurück. „Das Glas ist zu 90 Prozent voll“, betonte sie mit Verweis auf eine lange Liste an Beschlüssen im Bundeskabinett.

Die Vertagung des Wachstumschancengesetzes bis zur geplanten Kabinettsklausur erklärte sie damit, dass man dort „einen wirtschaftspolitischen Schwerpunkt“ setzen wolIe. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) will keinen Konflikt in der Koalition bermerkt haben: „Ich stelle keinen Ärger in der Bundesregierung fest“, sagte Faeser. Scholz selbst wiederum versicherte, dass das Gesetz noch im August das Kabinett passieren werde.

Deutschland legalisiert Cannabis

In Deutschland wird künftig Cannabis freigegeben. Unter Auflagen können Erwachsene bis zu 25 Gramm der Substanz besitzen und konsumieren. Der deutsche Gesundheitsminister erwartet sich von der Legalisierung mehr Sicherheit für Konsumenten. Das sehen aber nicht alle so.

Zerstrittene Koalition im Imagetief

Das Image der zerstrittenen Koalition färbt freilich auch auf die Umfrageergebnisse ab, vor allem SPD und FPD liegen weit hinter ihrem Wahlergebnis von 2021. Auch die Landtagswahlergebnisse der vergangenen zwei Jahre waren nicht besonders ermutigend.

Allerdings geht es der Union kaum besser. CDU-Chef Friedrich Merz konnte bisher keinen neuen Höhenflug verbuchen, zuletzt wurde das Murren auch in den eigenen Reihen lauter. Die CSU wiederum ist vor allem mit der im Herbst anstehenden Landtagswahl in Bayern beschäftigt. Parteichef Markus Söder kann mit den derzeitigen Umfrageergebnissen von rund 30 Prozent auch nicht zufrieden sein.

Selbst in der Linkspartei kriselt es. Kofraktionschef Dietmar Bartsch kündigte am Mittwoch an, sein Amt im September aufzugeben, ebenso wie Amira Mohamed Ali, die die Aufgabe bisher mit ihm geteilt hatte. Die Linke wartet seit Monaten paralysiert darauf, ob Ex-Parteichefin Sahra Wagenknecht endlich die Gründung einer eigenen Partei bekanntgibt. Profiteurin ist derzeit allein die rechtspopulistische AfD, die derzeit in Umfragen von Höchstwert zu Höchstwert eilt und klar auf Platz zwei hinter der CDU liegt.