Person drückt auf Netflix-Taste auf Fernbedienung
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Profit statt Komfort

Riskanter Kurswechsel der Streamingdienste

Höhere Preise, strengere Regeln: Streamingdienste wie Netflix, Disney+ und Co. haben zuletzt ihr Geschäftsmodell deutlich überarbeitet, zum Leidwesen einiger Kundinnen und Kunden. Die Ära des günstigen Streamens könnte damit vorbei sein, sagen Fachleute nun. Doch im Hinblick auf anhaltende Streiks in Hollywood dürfte dieser Schritt riskant sein, denn die Folgen werden sich im Angebot der Dienste bald widerspiegeln – und wohl Kunden abschrecken.

In den USA hat Netflix vor rund 15 Jahren die Streaming-Revolution angeführt: Für einen geringen monatlichen Beitrag konnte man plötzlich werbefrei Filme und Fernsehserien schauen, jederzeit – und legal. Konkurrenz war das vor allem für das exorbitant teure Kabelfernsehen in Amerika, für das man auch schon dreistellige Dollar-Beträge zahlen musste, um alle Sender zu bekommen, die dann selbst aber oft noch zusätzlich Werbung zeigten.

Das Konzept war unglaublich erfolgreich – wer bei Serien wie „Orange Is the New Black“ und „House of Cards“ mitreden wollte, brauchte ein Abo für den Streamingdienst. Und die Hürde war im Gegensatz zu Pay-TV klein genug, dass viele Netflix eine Chance gaben. Das rief natürlich auch die Konkurrenz auf den Plan, die mit dem Streamingboom mithalten wollte.

Ein Streamingdienst reicht nicht

Damit ist das Serienangebot zunehmend zerspragelt vorzufinden: Wer „Squid Game“ schauen will, braucht Netflix, wer dann aber „WandaVision“ auch sehen will, kommt um ein Disney+-Abo nicht herum, „Star Trek“ gibt es nur auf Paramount+. Und die Streamingdienste werden immer teurer, wie die „Financial Times“ („FT“) zuletzt vorrechnete. Für den kommenden Herbst müssen in den USA 87 Dollar (rund 80 Euro) für ein Paket der führenden Streaminganbieter gezahlt werden, letztes Jahr beliefen sich die Kosten noch auf 73 Dollar (67 Euro).

Disney Plus auf Laptop
ORF/Ákos Heves
Mehrere Streamingdienste sind heutzutage nötig, um beim Hype mithalten zu können

Fast alle Dienste korrigierten ihre Preise zuletzt nach oben, nicht nur in den USA. Auch in Europa ist im Herbst noch mit neuen Teuerungen beim Streaming zu rechnen. Überraschend kommt diese Entwicklung jedoch nicht, wie Fachleute sagen: „Aus geschäftlicher Sicht musste sich das Streaming in diese Richtung bewegen – der Preis musste steigen“, so David Rogers, Professor an der Columbia Business School, gegenüber der „FT“. Grund dafür sei, dass man nicht mehr so problemlos Schulden machen könne, um „den Markt mit Streaminginhalten zu überschwemmen“, so Rogers.

Teilen von Passwörtern als neues Tabu in Branche

Das ist allerdings nicht der einzige Weg, über den sich die Dienste mehr Einnahmen erhoffen. Ein ganz heikles Thema griff zuerst Netflix an, auch Disney+ will jetzt mitziehen und wird damit nicht der letzte Streaminganbieter bleiben: das Teilen von Passwörtern aktiv zu bekämpfen. Zwar war das ohnehin in den Geschäftsbedingungen nur sehr beschränkt, wenn überhaupt, erlaubt. Doch die Regeln jetzt streng durchzusetzen hat bereits viele Kundinnen und Kunden (und ihre Freundinnen und Freunde) verärgert – wenngleich es von Netflix im Juli hieß, dass man mit der Aktion mehr Neukunden bekommen als bestehende Kunden verloren habe.

Doch die Änderungen zeigen, dass es Netflix und Co. offenbar nicht mehr darum geht, in erster Linie popkulturelle Relevanz zu haben, um damit Menschen anzulocken. Stattdessen verdeutliche das Vorgehen, bei dem „bestehenden Kunden neue Beschränkungen auferlegt wurden“, dass „in dieser späten Phase der ‚Streaming-Kriege‘ der Profit Vorrang vor dem Nutzungskomfort habe“, wie es in einem Artikel der Plattform The Verge heißt.

Schwierige Suche nach dem Serienhit

Auch weil es einfach schwieriger geworden ist, im Gespräch zu bleiben. Die nächste große Serie ist plötzlich nur bei einem einzigen der großen Streamingdienste verfügbar – schon ist die Diskussion in der Mittagspause auf jeden Menschen beschränkt, die bereit waren, sich diesen Luxus zu gönnen. Das beeinflusst auch die Diskussion in sozialen Netzwerken, womit Plattformen wie Netflix nicht mehr automatisch auf die Wirkung des Hypes zählen kann. Abgesehen davon, dass es an sich schon schwierig ist, den Geschmack der Kundinnen und Kunden so zu treffen, dass daraus ein Welterfolg wird.

Sparkurs erschwert Anwerbung von Kunden

Da hilft natürlich nicht, dass Konzerne wie Disney das Budget für eigene Inhalte weiter zurückfahren wollen – Fachleute in der „FT“ warnen davor, dass man bei den Preisen nicht unendlich anziehen und dabei gleichzeitig weniger eigene Inhalte anbieten könne. Erschwert wird das zusätzlich durch den anhaltenden Streik in Hollywood: Seit Mai streiken Drehbuchautorinnen und -autoren, seit Juli auch Tausende Mitglieder der Schauspielgewerkschaft SAG-AFTRA. Das legt die Arbeit an Filmen und Serien praktisch lahm. Es geht um mehr Geld und bessere Bedingungen für jene, die die Streamingdienste am Leben halten.

Streikende Schauspieler und Drehbuchautoren vor Netflix-Hauptquartier
IMAGO/ZUMA Wire/Kathy Hutchins
Hollywood streikt seit Monaten – das wird sich auch auf Netflix und Co. auswirken

Dass Hollywood-Größen wie Disney dann einen radikalen Sparkurs fahren, könnte zum riskanten Schritt werden. Der Konzern verlange „immer mehr von den Kunden, während das Angebot an neuen Inhalten wahrscheinlich abnehmen wird“, zitierte die „FT“ die Medienberatungsfirma Enders. „Der Mangel an neuen Inhalten, insbesondere für Disney+, wird die Abwanderung steigern“, hieß es von den Fachleuten weiter.

Werbung, Piraterie, Kündigungen

Als eine mögliche Maßnahme gegen die Abwanderung bieten die meisten Dienste mittlerweile auch werbefinanzierte Optionen an. Doch das schreckt wohl viele User ab, die extra vom US-Kabelfernsehen abgewandert sind. Dass Werbung beim Streaming aber künftig eine größere Rolle spielen wird, machte zuletzt ausgerechnet YouTube klar: Dort werden momentan Wege gesucht, um die Seher davon abzuhalten, Werbung mittels Adblock zu überspringen – auch das stößt vielen Userinnen und Usern sauer auf, wie Diskussionen in sozialen Netzwerken zeigen. Der Unterschied zum einst als teuer gesehenen Kabelfernsehen wird damit zunehmend kleiner.

Die Entwicklung hin zu höheren Preisen und strengeren Regeln könnte auch Piraterie befeuern. Seit der Pandemie steigt das Interesse an Streams und Downloads von urheberrechtlich geschütztem Material deutlich, wie das Branchenmagazin „Variety“ im Frühling berichtete. Die allgemeine Teuerung und die höheren Preise für legale Dienste könnten diesen Trend womöglich noch befeuern.

Letztlich wird es aber an den zahlenden Kundinnen und Kunden liegen, die selbst entscheiden müssen, ob sie die konstanten Preiserhöhungen weiter mitmachen, oder für sich feststellen, dass sie nicht mehr bei jedem neuen Film- oder Serienhype mitmachen wollen. Das Lebewohl wird vor allem dann leichter fallen, wenn bei den Inhalten weiter gespart wird – und auch, wenn sich die Streiks wegen schlechter Bezahlung in der Branche fortsetzen und die Dienste ihr Angebot überhaupt nicht mehr füllen können.